Von Andreas Kißler
BERLIN (Dow Jones)--SPD-Chef Martin Schulz hat seine Partei auf den Kurs "ergebnisoffener" Gespräche über eine mögliche Regierungsbeteiligung gebracht. Bei ihrem Parteitag in Berlin stimmten die Sozialdemokraten mit großer Mehrheit für einen Antrag der Parteispitze, in dem betont wird, dass die SPD "sich ihrer Verantwortung für unser Land bewusst" sei.
"Deswegen fühlen wir uns verpflichtet, in Gesprächen auszuloten, ob und in welcher Form die SPD eine neue Bundesregierung mittragen kann", erklärte die Partei in ihrem Beschluss. "Diese Gespräche führen wir konstruktiv und ergebnisoffen."
Die Delegierten stellten aber ergänzend zum ursprünglichen Antragstext der Parteispitze klar, die Verantwortung der SPD bestehe "nicht automatisch darin, dass sie sich für den Eintritt in eine große Koalition zur Verfügung halten muss". Auch alle Alternativen jenseits von Neuwahlen und großer Koalition seien "ernstzunehmende und sorgfältig zu prüfende Optionen". Die SPD werde deshalb "ebenso das Modell einer Minderheitsregierung wie auch Formen einer Kooperation auf die Tagesordnung der jetzt zu führenden Gespräche bringen".
Zuvor hatten die 600 Delegierten des Parteitages kontrovers darüber gestritten, ob die Sozialdemokraten in offene Gespräche über eine mögliche Beteiligung an einer Regierung eintreten oder eine erneute große Koalition von vornherein ausschließen sollen. Dies hatten die Jungsozialisten in einem eigenen Antrag gefordert. Dieser wurde aber ebenso abgelehnt wie die Forderung, ein Mitgliedervotum über Sondierungsgespräche durchzuführen.
Kein Automatismus für eine große Koalition
Schulz, über dessen Wiederwahl noch am Donnerstag abgestimmt werden soll, warb auf dem Parteitag für seinen Kurs und forderte zugleich eine Erneuerung der Sozialdemokratie. Direkt vor dem entscheidenden Votum bekräftigte er, "jeder Weg" solle geprüft werden. "Alle Wege werden mit der gleichen Intensität ausgelotet werden", sagte der Parteichef zu. Die Bandbreite umfasse Neuwahlen, Tolerierung, Kooperationsmodelle und eine Koalition.
Der Leitantrag enthält elf zentrale Forderungen - viele davon stehen in offenem Gegensatz zu Positionen der Union. Zu den Vorschlägen zählen eine Vertiefung der Eurozone mit eigenem Finanzminister und einem Haushalt für Investitionen und die Einführung einer Bürgerversicherung im Gesundheitswesen. Auch soll die sachgrundlose Befristung von Arbeitsverträgen abgeschafft werden, und Teilzeitbeschäftigte sollen den Anspruch zur Rückkehr in die Vollzeit erhalten. Die SPD fordert unter anderem auch eine Sicherung des Rentenniveaus und lehnt eine Obergrenze für Flüchtlinge ab.
Schulz bekräftigte diesen Kurs in seiner Parteitagsrede. "Wir müssen nicht um jeden Preis regieren", sagte er in der mehr als einstündigen Rede. "Aber wir dürfen auch nicht um jeden Preis nicht regieren wollen." Man werde "ergebnisoffen reden", und es gebe "keinen Automatismus in irgendeine Richtung". Dafür gab er seine "Garantie".
Jusos lehnen große Koalition ab
Andere Mitglieder der Parteispitze verteidigten das Vorhaben, in Gespräche zu gehen, betonten aber auch, dass daraus nicht zwangsläufig eine neue große Koalition folge. Es gebe auch andere Wege, erklärte die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer. "Das kann aus meiner Sicht auch eine Tolerierung sein". Fraktionschefin Andrea Nahles kündigte an, sie wolle in Gesprächen inhaltliche Optionen "mit Leidenschaft" umsetzen. "Ich persönlich kann für mich wirklich sagen, dass ich da ergebnisoffen reingehe", erklärte sie. "Ich sage euch eins zu: Wir verschenken nichts."
Viele Abgeordnete bekräftigten in der Debatte aber ihre Ablehnung einer neuen großen Koalition. Der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert betonte, er sei "nicht in die SPD eingetreten, um sie immer wieder gegen die gleiche Wand rennen zu sehen". Die Parteispitze habe in Kenntnis des Jamaika-Scheiterns zu Recht eine große Koalition ausgeschlossen. Er warnte die SPD vor verheerenden Folgen eines erneuten Ganges in die große Koalition. "Die Erneuerung der SPD wird außerhalb einer großen Koalition sein, oder sie wird nicht sein", sagte er.
Die Jungsozialisten hatten in einem eigenen Antrag gefordert, die SPD solle eine erneute große Koalition von vornherein als "kein denkbares Ergebnis der Gespräche" ausschließen. Kühnerts Vorgängerin im Juso-Vorsitz, Johanna Uekermann, verwies auf eine eigene Aussage vom Sommer, "dass ich und mit mir eine ganze Generation keinen Bock mehr auf Angela Merkel hat". Sie betonte aber auch, "dass es etwas gibt zwischen Neuwahl und großer Koalition". Diese Möglichkeiten solle man ausloten.
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December 07, 2017 12:59 ET (17:59 GMT)
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