Keine Atempause für die
Autoindustrie: Die Staatsanwaltschaft Braunschweig hat wegen des
Verdachts auf Marktmanipulation erneut Büros in der Wolfsburger VW
Rund 100 Polizisten und Staatsanwälte hätten Räume in der Konzernzentrale, im Forschungs- und Innovationszentrum in München und im Dieselmotorenwerk im österreichischen Steyr durchsucht, sagte ein BMW-Sprecher. Die Razzien stünden "im Zusammenhang mit einer fehlerhaft zugeordneten Software". Das Programm sei für die SUV-Modelle X5 und X6 entwickelt worden, aber irrtümlich auch auf zwei 5er und 7er-Modelle aufgespielt worden. Dort funktioniere die Abgasreinigung dann nicht mehr korrekt.
Die Münchner Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen wegen Betrugsverdachts bei der Abgas-Reinigung eingeleitet. BMW hatte im Februar mitgeteilt, dass rund 11 000 Dieselautos mit einer falschen Abgas-Software ausgestattet worden seien. "Es besteht der Anfangsverdacht, dass die BMW AG eine prüfstandsbezogene Abschalteinrichtung verwendet", teilte die Staatsanwaltschaft mit.
BMW gehe weiter davon aus, "dass es sich bei dem Vorfall um eine fehlerhafte Software-Zuordnung handelt und nicht um eine gezielte Manipulation der Abgasreinigung". Die 11 400 Autos der Modelle M550d xDrive und 750d XDrive sollten nach Genehmigung durch das Kraftfahrtbundesamt zurückgerufen und mit der korrekten Software ausgestattet werden.
Bei den neuen Ermittlungen gegen Unbekannt bei VW dreht es sich
hingegen vor allem um eine Ad-hoc-Mitteilung des Konzerns vom
Dezember 2015. Gut einen Monat vorher, nämlich Anfang November 2015
und damit kurz nach Bekanntwerden des Dieselskandals, hatte VW
zunächst mitgeteilt, es gebe "Anhaltspunkte für weitere
Unregelmäßigkeiten". Bei 800 000 Autos sei es zu "nicht erklärbaren
Werten" bei CO2-Messungen gekommen. Das legte nahe, dass für diese
Autos die Verbrauchsangaben falsch sein könnten. Am 9. Dezember 2015
widerrief VW die Angaben und verschickte eine Ad-Hoc-Mitteilung,
wonach nur neun Modellvarianten und insgesamt rund 36 000 Autos
betroffen seien. Volkswagen
Die Staatsanwaltschaft hat nun Anhaltspunkte dafür, dass diese zweite Ad-hoc-Mitteilung "objektiv inhaltlich falsch" war, wie ihr Sprecher Ziehe sagte. "Wir haben Anhaltspunkte, dass mehr Fahrzeuge betroffen sind." Die genaue Zahl steht noch nicht fest. "Die Staatsanwaltschaft prüft nun, ob Mitarbeiter von Volkswagen grob fahrlässig oder vorsätzlich gehandelt haben", sagte Ziehe.
Manfred Döss, Leiter Rechtswesen bei VW und Vorstandsmitglied der
Porsche SE
Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft lautet auf Marktmanipulation. Kurz nach Bekanntwerden der Nachricht im Dezember 2015, dass dem Autobauer keine weiteren Verwerfungen im Ausmaß des Dieselskandals auch im Falle des CO2-Ausstoßes drohen, hatten VW-Aktien kräftig zugelegt. Die Papiere kletterten an dem Tag um mehr als sechs Prozent. Nach den im Dieselskandal festgestellten Manipulationen bei Stickoxidwerten von Volkswagen reagierten die Aktienmärkte damals besonders nervös auf Nachrichten zu VW.
Sollte sich der Verdacht bestätigen, könnte dies relevant sein für eventuelle Anlegerklagen, sagte Branchenexperte Stephan Bratzel. Die erneuten Durchsuchungen kämen für Volkswagen "zur Unzeit", weil sich der Konzern nach dem Abgasskandal neu aufzustellen versuche. Er betonte aber, dass es bislang nur Verdachtsmomente gebe. Gerade erst hatte der VW-Konzern Milliardengewinne für 2017 verkündet - und trotzte damit den Debatten um Fahrverbote und Dieselkrise.
Grünen-Bundestagsfraktionsvize Oliver Krischer sagte, es sei ein offenes Geheimnis, dass VW bei den Verbrauchsangaben "getrickst" habe. "Aber die Bundesregierung hat das von Anfang an vertuscht, um einen Flächenbrand in der Branche zu verhindern", kritisierte der Politiker. Andernfalls drohten den Konzernen gewaltige Schadenersatzforderungen. "Leider mauert die Bundesregierung hier seit Jahren", monierte Krischer.
Neben den neuen Ermittlungen im Zusammenhang mit dem Ausstoß von CO2 laufen zahlreiche Ermittlungsverfahren gegen Volkswagen-Mitarbeiter, darunter auch Manager. Insgesamt geht es um Verfahren gegen 49 mutmaßlich Beteiligte - bei 39 wegen der Software-Manipulation rund um den Stickstoffdioxidausstoß, gegen 6 wird im Zusammenhang mit falschen CO2- und Verbrauchsangaben ermittelt. In drei Fällen geht es um Marktmanipulation, hinzu kommen Ermittlungen gegen einen Mitarbeiter, der zum Löschen von Daten aufgerufen haben soll.
In den USA wurden bereits zwei ehemalige VW-Mitarbeiter zu Gefängnisstrafen verurteilt. Außerdem klagen zahlreiche Anleger zivilrechtlich auf Schadenersatz für entstandene Kursverluste sowie Tausende Kunden auf Entschädigungen und Umtausch betroffener Dieselautos./tst/DP/he
ISIN DE0005190003 DE000PAH0038 DE0007664039
AXC0289 2018-03-20/20:02