Von Hans Bentzien
FRANKFURT (Dow Jones)--Die Europäische Zentralbank (EZB) ist zufrieden mit den ökonomischen Auswirkungen ihrer Negativzinspolitik. In einem Aufsatz ihres Economic Bulletin legt die EZB dar, wie der negative Bankeinlagensatz die Kosten der an die Realwirtschaft vergebenen Kredite gesenkt und ihr Volumen erhöht hat. Die EZB betrachtet dieses Instrument offenbar nicht als ausgereizt und seine ungewollten Nebenwirkungen als noch beherrschbar.
Laut dem Aufsatz hat der seit 2014 zunehmend negative Bankeinlagensatz das Kreditwachstum bis 2019 um 0,7 Prozentpunkte pro Jahr erhöht. Das passt zu der Erkenntnis aus den Quartalsberichten zur Kreditvergabe, wonach Banken das Volumen ihrer Unternehmenskredite wegen des Negativzinses erhöht haben und das der Verbraucherkredite sogar sehr deutlich. Noch weitaus bedeutender war demnach der zinssenkende Effekt des negativen Einlagensatzes.
Die EZB nimmt an, dass das Bruttoinlandsprodukt Ende 2019 dank ihrer unkonventioneller Maßnahmen um 2,5 bis 3,0 Prozent höher war, als es ohne sie gewesen wäre. Die Inflationsrate lag demnach pro Jahr um einen drittel bis einen halben Prozentpunkt pro Jahr höher. Von diesen Gesamteffekten entfällt laut EZB jeweils ein Sechstel auf den negativen Einlagenzins.
In dem Aufsatz erläutert die EZB, dass Zinssenkungen im negativen Bereich wirksamer sind als Zinssenkungen im positiven Bereich. Sie erklärt das unter anderem damit, dass solche Zinssenkungen die Erwartung der Investoren verstärken, dass es weitere Zinssenkungen geben werde.
Ihre Wirkung entfalten negative Zinsen sowohl über Banken als auch über Nicht-Banken. Banken vergeben mehr Kredite, um den gewinnmindernden Effekt des Negativzinses zu kompensieren. Unternehmen, die ihre Liquidität nicht bei der EZB, sondern nur bei Banken anlegen können, leiden noch stärker unter dem Negativzins und investieren daher mehr.
Die EZB kann nach eigenen Angaben bisher keinen nennenswerten Ausweichbewegungen der Akteure in Bargeld feststellen. Sie führt das darauf zurück, dass Anlagen im monetären System geldwerte Vorteile bieten, die zumindest bisher schwerer wiegen als die Zinslast. Sie räumt aber ein, dass es für die Institute bei längerer Dauer des Negativzinses immer schwerer werden dürfte, dessen gewinnmindernde Effekte auszugleichen.
Gleichwohl scheint die EZB bereit, dieses Instrument auch weiterhin einzusetzen. "Bisher gibt es kein Anzeichen dafür, dass sich der durch diese Maßnahme erreichbare Stimulus erschöpft, da sich neue Wirkungskanäle auftun, während andere sich schließen", heißt es zum Abschluss des Aufsatzes.
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May 13, 2020 04:00 ET (08:00 GMT)
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