DJ UPDATE2: Wirtschaftsweise zuversichtlich für deutsche Konjunktur
(NEU: Brüderle, Franz)
Von Beate Preuschoff und Andreas Kißler DOW JONES NEWSWIRES
BERLIN (Dow Jones)--Die fünf Wirtschaftsweisen blicken voller Optimismus auf die künftige Konjunkturentwicklung in Deutschland. In ihrem am Mittwoch in Berlin vorgelegten Herbstgutachten sagen sie für 2010 ein Wachstum von 3,7% und für 2011 einen Anstieg des Bruttoinlandsproduktes (BIP) von 2,2% voraus. Die Wissenschaftler sind damit zuversichtlicher als die Bundesregierung, die für 2010 ein Wachstum von 3,4% und für 2011 einen BIP-Anstieg um 1,8% erwartet. Das Vorkrisenniveau wird die deutsche Wirtschaft nach Einschätzung der fünf Wirtschaftsweisen voraussichtlich bereits Ende 2011 erreichen.
Der SVR-Vorsitzende Wolfgang Franz forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der Übergabe des Gutachtens im Kanzleramt in Berlin zu wachstumsfördernden Reformen auf. "Die erfreuliche Aufwärtstendenz der deutschen Volkswirtschaft bietet Chancen für einen stabilen, wenngleich eher schwachen Wachstumspfad," sagte er. "Die Bundesregierung kann die Chancen tatkräftig unterstützen", hob Franz hervor und forderte unter anderem ein zielführendes institutionelles Regelwerk für Reformen im Euroraum und Reformen der nationalen und internationalen Finanzmarktarchitektur sowie eine "konsequente Fortführung des Konsolidierungskurses".
Merkel sagte dies zu. "Wir müssen den Haushaltskonsolidierungskurs fortsetzen", betonte die Kanzlerin und verwies auf einen bestehenden "Quasi-Automatismus" durch die grundgesetzliche Schuldenbremse. Merkel betonte, "dass die Lage in diesem Jahr sehr viel optimistischer ist als vergangenes Jahr, und dass wir einen Wachstumspfad entgegensehen können, der dieses Jahr besonders stark ist". Nötig seien aber weitere Reformen. "Wir wissen dass wir weiter arbeiten müssen an den verschiedensten Reformen", hob Merkel hervor. In Regulierungsfragen sei man "gut vorangekommen", meinte sie.
Die Chancen für ein dauerhaftes Wachstum müssten entschlossen genutzt und mit einer konsequent marktwirtschaftlichen Politik der Aufschwung verstetigt werden", sagte auch Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle. "Wir sollten die durch die Krise bedingten staatlichen Eingriffe im Bereich der Geld- und Fiskalpolitik sowie bei der Unterstützung der Banken zurückführen", sagte der Minister.
Um die Krise im Euroraum zu überwinden, müsse beim Stabilitäts- und Wachstumspakt ein robustes Krisenmechanismus eingeführt werden. Im Steuerrecht sprach sich Brüderle für Steuervereinfachung und den Ersatz der Gewerbesteuer durch einen höheren Anteil der Gemeinden an der Umsatzsteuer und einen kommunalen Zuschlag zur Einkommen- und Körperschaftsteuer aus.
Der SVR-Vorsitzende Franz betonte die Notwendigkeit von weiteren Reformen bestehe auch vor dem Hintergrund, dass 2,2% prognostiziertes Wachstum für 2011 etwas erfreulicher klinge als es die Zahl eigentlich hergebe. Wegen des statistischen Überhangs von 1,5% belaufe sich die eigentliche konjunkturelle Dynamik nur auf 0,7%.
Wegen der abgeschwächten globalen Konjunktur und der auslaufenden fiskalischen Stützungsmaßnahmen werde sich das wirtschaftliche Expansionstempo Deutschlands nicht halten lassen. Stützende Nachfrageimpulse werden aus Sicht der Experten im kommenden Jahr jedoch aus dem Inland kommen.
Da aus vielen Industrieländern nur noch eine abgeschwächte Nachfrage zu erwarten ist, dürften die Exporte im kommenden Jahr mit 6,7% nur noch knapp halb so stark wachsen wie 2010 mit 15,5%. Auch die Ausrüstungsinvestitionen der Unternehmen werden 2011 mit einem Plus von 6,0% langsamer wachsen als 2010 mit plus 9,2%.
Zunehmende Impulse erwarten die Wissenschaftler aus der Binnennachfrage. Die privaten Konsumausgaben dürften im kommenden Jahr um 1,6% steigen nach einem Plus von lediglich 0,1% im laufenden Jahr. Die Preisentwicklung bleibt mit einem Verbraucherpreisanstieg um 1,1% in 2010 und um 1,4% in 2011 moderat.
Die Experten erwarten eine spürbare Verbesserung am Arbeitsmarkt. Im kommenden Jahr wird die Zahl der Arbeitslosen nach ihrer Einschätzung im Schnitt bei 2,986 Millionen liegen, im laufenden Jahr bei 3,245 Millionen. Die Grenze von 3 Millionen Arbeitslosen wurde zuletzt 1992 unterschritten. Die Zahl der Erwerbstätigen wird im kommenden Jahr auf im Schnitt 40,762 Millionen Personen steigen.
Das gesamtstaatliche Finanzierungsdefizit sehen die Forscher dementsprechend im kommenden Jahr bei 2,4% und damit unterhalb der vom Maastrichter Vertrag geforderten 3%-Grenze bei der Neuverschuldung. Im laufenden Jahr beträgt das Finanzierungssaldo noch 3,7%.
Trotz dieser Entwicklung und der deutlich steigenden staatlichen Einnahmen sprechen sich die Experten gegen rasche Steuersenkungen aus. "Bis weit in die nächste Legislaturperiode hinein sind keine Spielräume für nennenswerte Steuersenkungen vorhanden." Vorrang habe die Sanierung der Staatsfinanzen. "Nach Einsetzen der wirtschaftlichen Erholungsphase müssen zunächst die öffentlichen Haushalte entschlossen konsolidiert werden", heißt es im Gutachten.
Der Sachverständigenrat wurde 1963 gegründet und berät seither die Bundesregierung in Wirtschaftsfragen. Vorsitzender ist der Präsident des Mannheimer Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), Wolfgang Franz. Dem Rat gehören außerdem der Regensburger Volkswirtschaftler Wolfgang Wiegard, der Würzburger Professor Peter Bofinger, die Mainzer Professorin Beatrice Weder di Mauro sowie der Präsident des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI), Christoph Schmidt, an.
Webseite: www.sachverstaendigenrat-wirtschaft.de -Von Beate Preuschoff und Andreas Kißler, Dow Jones Newswires, +49 (0)30 - 2888 4122, berlin.de@dowjones.com DJG/bep/ank/kth
(END) Dow Jones Newswires
November 10, 2010 06:53 ET (11:53 GMT)
Copyright (c) 2010 Dow Jones & Company, Inc.