Die Erwartungen zur Reichweite des Erdöls werden neben dem geologischen auch im ökonomischen Zusammenhang gerne ventiliert. Kurzfristig jedoch dürfte die Frage, wer von den Anstrengungen zur ausreichenden Förderung von Öl profitieren wird, viel interessanter sein.
Den unlängst von der Internationalen Energie-Agentur (IEA) vorgelegten Ausblick, der bis ins Jahr 2030 reicht, umweht der Hauch von Radio Eriwan: Im Prinzip sei es kein Problem, die Weltwirtschaft auch im Jahr 2030 mit der ausreichenden Menge an Rohöl zu versorgen – neben politischer Stabilität bedürfe es aber immenser Investitionen, hat die Organisation verlautbart.
In Zahlen: Die weltweite Förderung belief sich 2004 auf 3,85 Mrd. Tonnen. Die IEA rechnet im Schnitt mit 1,8 % Wachstum auf der Nachfrageseite, was im Jahr 2030 einen Bedarf von gut 6 Mrd. Tonnen ergibt. Um diese ungeheure Menge fördern zu können, hat die Agentur einen sofortigen Investitionsbedarf in Förder-Infrastruktur allein in den MENA-Ländern (Middle East North Africa) von jährlich 56 Mrd. US-$ errechnet. Das wäre mehr als das Doppelte dessen, was in den vergangenen Jahren jährlich aufgewendet wurde.
Viele Beobachter halten die von der IEA prognostizierten Zahlen zum Verbrauch aus zwei Gründen für zu optimistisch. 2004 wuchs der Ölverbrauch gemäß der Exxon-Studie „Öldorado“ um 3,3 %, die Weltwirtschat lebte gleichsam von der Hand in den Zapfhahn, und eine Abschwächung sei derzeit nicht zu beobachten. Bedarfe von eher 7 oder gar 8 Mrd. Tonnen seien um 2030 zu erwarten. Dementsprechend müsse noch mehr in die Infrastruktur investiert werden.
Zweitens halten es viele Wissenschaftler unter anderem wegen des „Peak-Oil“-Phänomens für wahrscheinlich, daß die Förderung gar nicht mehr bis auf Mengen von 6 Mrd. Tonnen jährlich gesteigert werden kann. Sollte sich bewahrheiten, daß der Scheitelpunkt der Welt-Ölförderung vor 2030 erreicht wird, bedürfte es zusätzlicher Anstrengungen, die Förderung auf möglichst hohem Niveau zu halten.
Zu den beliebtesten Gleichnissen der Börsianer gehört die Begebenheit, der zufolge die Ausrüster der Goldschürfer immer den besseren Schnitt machen als die Goldschürfer selber. Nun gehören die Ölkonzerne seit Jahrzehnten zu den profitabelsten Unternehmen dieses unseres Planeten. Doch es mehren sich die Zeichen, daß die Gewinne nicht nur durch glänzende Geschäfte, sondern auch durch Unterlassung hinreichender Investitionen in die Höhe geschraubt wurden. So gesehen könnten Anleger, die an das Marktsegment glauben, durchaus an gewisse Umschichtungen in Explorations- und einschlägige Dienstleistungsunternehmen denken oder auch daran, in diesem Zweig der Ölindustrie ein Engagement zu beginnen. Die unbestreitbar steigende Nachfrage läßt vermuten, daß die Preise der Anbieter kaum unter Druck kommen können – auch auf einem „nur“ 56 Mrd. US-$-schweren Markt wird es jede Menge Gewinner geben.
Stefan Preuß
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