
Laut Hoppe wird mit der Reform die Systemfrage gestellt: "Aus einem ehemals freiheitlichen Gesundheitswesen wird jetzt ein System entwickelt, in dem Patienten und Ärzte entmündigt werden. Statt Therapiefreiheit heißt es demnächst Zuteilungsmedizin", sagte der Ärztepräsident. Er warf der Regierung vor, das Gesundheitswesen auf den Kopf zu stellen, ohne die Finanzprobleme zu lösen. Der Staat lege künftig die Beitragssätze fest und könne sie auf Zuruf der Arbeitgeber senken, so dass die Kassen weiter unter Druck gesetzt, diesen Druck weitergeben und Dumpingverträge mit Ärzten abschließen würden.
Das werde zwangsläufig auch zu Qualitätseinbußen in der Versorgung führen. Zugleich werde der gemeinsame Bundesausschuss definieren, welche Leistungen die gesetzlich Versicherten künftig nicht mehr erhalten sollten. Das sei kein Weg, auf dem man mehr Freiheit wage, wie es Bundeskanzlerin Angela Merkel noch kurz nach ihrem Amtsantritt versprochen habe, kritisierte Hoppe: "Das ist der Weg in die Staatsmedizin." Ähnlich äußerte sich AOK-Chef Hans Jürgen Ahrens, der forderte: "Weite Teile dieser Reform müssen neu geschrieben werden."
Merkel wies die Kritik der Kassen an dem Reformwerk zurück. Der Protest sei "manchmal sehr ungeordnetes Geschrei", sagte sie auf einer CDU-Wahlkampfkundgebung in Hannover. Die Kassen behaupteten gleichzeitig, es entstehe mit der Reform neue Bürokratie und es gingen 10.000 bis 20.000 Arbeitsplätze verloren. Die Bundesregierung sei aber "nicht dazu da, dass die Kassen möglichst viele Menschen mit dem Einziehen von Beiträgen beschäftigen". Die Regierung sei den Versicherten verpflichtet.
Wie bei Ärzten und Kassen wächst indes auch in Teilen der Union der Unmut über Ministerin Schmidt. CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer kritisierte im Nachrichtenmagazin "Focus" das erste Arbeitspapier zur Umsetzung der geplanten Gesundheitsreform: "Vom Verfahren und von den Inhalten her ist das unter aller Kanone."
Nach Ansicht des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Günther Oettinger ist Schmidt inzwischen zu einer Belastung für die große Koalition geworden. "Frau Schmidt dient mit ihrem Verhalten weder ihrem Ressort noch ihrer eigenen Partei. Und sie erschwert die Zusammenarbeit in der Regierungskoalition", sagte Oettinger der "Bild am Sonntag".
Ministerium weist Vorwürfe zurück
Das Ministerium wies die Äußerungen in scharfer Form zurück und forderte Oettinger und Ramsauer auf, "ihre unsachlichen Angriffe" auf Schmidt einzustellen. Die Parlamentarische Staatssekretärin Marion Caspers-Merk warf Oettinger vor, selbst die Linie der Gesundheitspolitik der Koalition verlassen zu haben. Schließlich habe er vor wenigen Wochen gefordert, die Zuzahlungen für Patienten auf zehn Prozent zu erhöhen.
Doch auch in der SPD gibt es Unmut: Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sagte dem Nachrichtenmagazin "Focus" zu dem ersten Entwurf: "Nichts davon passt mir". Der Vorsitzende der bayerischen SPD-Landtagsfraktion, Franz Maget, mahnte in der "Welt am Sonntag" eine Kurskorrektur an: "Die Einrichtung eines Fonds ist wenig überlegt und nicht praktikabel."
DJG/cbr
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