
Streiks zur Durchsetzung von Sozialtarifverträgen bei drohenden Entlassungen durch Produktionsverlagerungen und andere Betriebsänderungen sind nach einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zulässig. "Gewerkschaften dürfen zu Streiks für einen Tarifvertrag aufrufen, in dem wirtschaftliche Nachteile aus einer Betriebsänderung ausgeglichen oder gemildert werden sollen", urteilte der Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG).
In dem am Mittwoch in Erfurt veröffentlichten Urteil heißt es, typische Sozialplaninhalte wie Ansprüche auf Abfindungen oder Qualifizierungsangebote seien tariflich regelbare Angelegenheiten (1 AZR 252/06). Gewerkschaften könnten mit Streiks bei Betriebsänderungen auch "sehr weitgehende Tarifforderungen" gegenüber dem Arbeitgeber oder dem zuständigen Arbeitgeberverband verfolgen. Das BAG wies damit wie die Vorinstanzen eine gegen Streikaufrufe der IG Metall gerichtete Unterlassungsklage des Arbeitgeberverbandes Nordmetall ab.
Die IG Metall begrüßte das höchstrichterliche Urteil. Der Versuch der Arbeitgeber, eine der Verfassung zuwider laufende Einschränkung von Tarifautonomie und Streikrecht zu erreichen, sei damit erneut gescheitert, sagte der Sprecher der IG Metall, Georgios Arwanitidis, in Frankfurt. Nordmetall sprach von einer bedenklichen Entscheidung, die das Streikrecht trotz der bestehenden Sozialplan-Regelungen im Betriebsverfassungsgesetz grundlos ausdehne. Die Gewerkschaften hätten dadurch die Möglichkeit, mit unvertretbar hohen Streikforderungen unternehmerische Maßnahmen zu blockieren. "Dies wird die Investitionsbereitschaft in Deutschland nicht fördern", sagte Nordmetall-Hauptgeschäftsführer Thomas Klischan in Hamburg.
Anlass des Verfahrens war nach Angaben der IG Metall die Auseinandersetzung beim Kieler Unternehmen Heidelberger Druck im Jahr 2003, bei der durch eine Betriebsänderung rund 560 Arbeitsplätze zur Disposition standen. Arbeitskämpfe für Sozialtarifverträge habe die Gewerkschaft beispielsweise auch bei AEG in Nürnberg geführt.
In dem BAG-Urteil heißt es, das Betriebsverfassungsgesetz schränke die Regelungsbefugnis von Tarifvertragsparteien nicht ein. Der Umfang einer Streikforderung, die auf ein tariflich regelbares Ziel gerichtet sei, unterliege zudem wegen der im Grundgesetz gewährleisteten Koalitionsfreiheit von Gewerkschaften und im Interesse einer funktionierenden Tarifautonomie keiner gerichtlichen Kontrolle.
"Das betriebsverfassungsrechtlich geregelte, friedliche Sozialplan-Verfahren wird durch die Genehmigung von Streiks verdrängt", sagte Klischan von Nordmetall. Die IG Metall sieht ihre Position in Auseinandersetzungen gestärkt, bei denen es um Arbeitsplatzabbau, Standortverlagerungen oder Betriebsschließungen geht./ro/DP/fj
AXC0184 2007-04-25/15:57