DJ BÖRSEN-AUSBLICK/Die Kraft der "Überraschung" lässt nach
FRANKFURT (Dow Jones)--Den Märkten geht langsam die Luft aus. Die alte Formel "bessere Zahlen = positive Überraschung" funktioniert nicht mehr wie früher. Natürlich legen viele Unternehmen weiter Quartalsberichte vor, mit denen die Konsenserwartungen übertroffen werden. Aber die Marktteilnehmer sind skeptischer geworden. Nur weil der Gewinn wieder einmal über dem Konsens liegt, ist das noch lange kein Grund für Käufe.
Der Markt hat begriffen, dass "Überraschungen" meist nur rechnerisch gegenüber einem grottenschlechten Konsens ausgewiesen werden. Der Blick zurück enthüllt dann zumeist, dass die Gewinne um hohe zweistellige Prozente gegenüber dem Vorjahr eingebrochen sind. Gleichzeitig begründen die mitgelieferten Ausblicke auch keine Hausse-Fantasie. Zu bedeckt halten sich hier die Unternehmen. Von "rascher Erholung" und "Rückkehr auf alte Niveaus" spricht niemand. Stattdessen dominieren Phrasen wie "Stabilisierung absehbar", "Rückgang der Einbrüche" und bestenfalls "leichte Verbesserung". Den für einen Gewinnsprung notwendigen Umsatzsprung sieht indes keiner. Die alten Gewinngrößen dürften daher Geschichte sein.
Zudem gibt sich der Markt mit "dem Gewinn" nicht mehr pauschal zufrieden. Stattdessen wird die Gewinnqualität hinterfragt. Denn schließlich sind die meisten Gewinnüberraschungen nur auf radikale Kostensenkungen zurückzuführen. "Das geht ein, zwei Quartale gut, bringt aber keine Nachhaltigkeit in die Gewinne", so ein Analyst. Beispiele dafür gab es zuhauf und in allen Branchen: So waren positive Gewinnüberraschungen bei Hannover Rück auf Einmaleffekte bei den Kapitalanlagen zurückzuführen, bei ProSieben durch Kosteneinsparungen und bei Fuchs Petrolub durch gelungene Absicherungsgeschäfte am Rohstoffmarkt. Allesamt Eintagsfliegen, die nicht quartärlich wiederholt werden können.
Druck baut sich daneben auch von "ganz oben" auf, bei den theoretischen Anlagekonzepten der Fonds. Diese vergleichen laufend, ob sich die Aktienanlage im Vergleich zur Konkurrenzanlage in Renten lohnt. Fallende Zinsen führen dann dazu, dass der Risikoaufschlag auf Aktien, die so genannte "Risikoprämie" nach unten geht. Aktien werden dann rechnerisch attraktiver und gekauft. Die Rally der Rentenmärkte und damit den Trend zu fallenden Zinsen sehen Analysten jedoch nun zu Ende gehen. Für Aktien würde das steigende Risikoprämien und damit fallende Kurse bedeuten.
Und Konjunkturdaten haben als Kurstreiber schon längst ausgedient. Während ihre erste Erholung noch für die Bodenbildung der Aktienmärkte gut war, hat man sich mittlerweile daran gewöhnt. Deutlich wurde dies am wichtigen ISM-Service-Index aus den USA. Er machte deutlich, wie wackelig und unsicher die Erholung der US-Wirtschaft ist.
Die besser als erwartet ausgefallenen US-Arbeitsmarktdaten für Juli dürften daher die Märkte nicht lange beeinflussen. Dass der Einbruch nicht mehr im selben Tempo wie zuvor läuft, ist mittlerweile jedem klar. Dass das absolute Niveau indes eine Katastrophe ist, leider auch. Und Zeichen der Besserung sind nicht in Sicht.
Zudem gilt hier ähnlich wie bei den Einzelunternehmen: Das Gute ist eingepreist und der Überraschungseffekt gering. So lag der Konsens bei den US-Stellenverlusten bei 325.000, die Analysten der Deutschen Bank hatten aber bereits weit "bessere" Erwartungen von 125.000 verlorenen Stellen.
Rasche Kurseinbrüche sind deswegen in den kommenden Tagen noch nicht zu erwarten. Der neue Skeptizismus breitet sich schleichend aus und muss erst alle Marktteilnehmer infizieren. Zudem gibt es noch genügend Anleger, welche die Erholung wie so oft verpasst haben, mit ihrem Geld die Kurse aber treiben können: Die Versicherer. Erst im Laufe dieser Woche berichteten Händler von frischen Käufen dieser Gruppe. Dies dürfte sich noch Tage, wenn nicht Wochen hinziehen. Ein sicheres Zeichen, dass die Rally vorbei ist, die Kurse aber kurzfristig noch steigen. Technische Analysten billigen dem DAX durchaus noch seine 6.000 Punkte zu. Spätestens dann sei es aber Zeit zu gehen.
Für strategische Gedanken lässt die kommende Woche ohnehin keinen Platz: Die Zahlenflut mit ihrem Höhepunkt am Donnerstag rückt nur die Unternehmen in den Fokus. Wie schon oft lässt sich der Montag mit Quartalsdaten von Qiagen und Gagfah ruhig an. Auch Dienstag dominiert die zweite Reihe, unter anderem mit Tognum, Bechtle, Heideldruck und Leoni. Am Mittwoch folgen E.ON und Nestle, sowie ING, Lanxess, Deutz und Norddeutsche Affinerie.
Am Donnerstag, so könnte man zusammenfassen, berichtet der Rest. Nahezu der halbe TecDAX legt seine Zahlen vor, im DAX stehen K+S, RWE, Salzgitter an, VW hält seine entscheidende Sitzung zur Zukunft von Porsche. Im MDAX legen unter anderem Bilfinger, Rheinmetall und Klöckner Daten vor. Die Berichtssaison kann dann als nahezu beendet betrachtet werden. Bereits Freitag flaut der Nachrichtenfluss mit ThyssenKrupp, Hochtief und wenigen Nebenwerten merklich ab.
-Von Michael Otto Denzin, Dow Jones Newswires; +49 (0)69-29725 218; michael.denzin@dowjones.com DJG/mod/jej/ros Besuchen Sie auch unsere Webseite http://www.dowjones.de
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August 07, 2009 09:17 ET (13:17 GMT)
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