DJ EZB: Niedrige Kapazitätsauslastung beeinflusst Inflation kaum
Von Hans Bentzien DOW JONES NEWSWIRES
FRANKFURT (Dow Jones)--Die Europäische Zentralbank (EZB) erwartet nicht, dass sich die voraussichtlich auch weiterhin niedrige Kapazitätsauslastung maßgeblich auf die Inflation im Euroraum auswirken wird. Es könne aus verschiedenen Gründen davon ausgegangen werden, dass die Teuerung trotz der bis zuletzt verzeichneten drastischen Verschlechterung der wirtschaftlichen Bedingungen relativ stabil bleiben werde, heißt es in dem am Donnerstag veröffentlichten EZB-Monatsbericht.
Mitglieder des EZB-Rats haben in den vergangenen Monaten im Unterschied zu einigen Bankökonomen stets betont, dass sie für den Euroraum mittelfristig eine gedämpfte Inflationsentwicklung, aber keine Deflationsrisiken sähen. Direktoriumsmitglied Jürgen Stark erklärte jüngst, diese seien "praktisch verschwunden". Der volkswirtschaftliche Stab der EZB hatte in der vergangenen Woche seine Projektionen für die Entwicklung des Harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) leicht angehoben. Für 2009 und 2010 rechnet er nun im Mittel mit jahresdurchschnittlichen Teuerungsraten von 0,4% bzw. 1,2%.
Die Kapazitätsauslastung im Euroraum ist trotz des nur noch leichten Rückgangs des Bruttoinlandsprodukts (BIP) im zweiten Quartal um minus 0,1% bis zuletzt weiter gesunken. Ende Juli lag sie bei 69,5% und damit deutlich unter ihrem langjährigen Durchschnittswert von 81,6%. Besonders stark betroffen waren die Hersteller von Investitionsgütern (67,6%). In der Kfz-Industrie ging die Kapazitätsauslastung sogar auf unter 60% zurück.
Die EZB verweist in ihrem Sonderbeitrag zunächst darauf, dass der in modernen Phillips-Kurven abgebildete Zusammenhang von Inflation und Produktionslücke für den Euroraum schwer nachweisbar sei, weil sich die Kapazitätsreserven in den vergangenen zwanzig Jahren nur wenig verändert hätten. Daher sei auch die Frage, wie sich die derzeitige Produktionslücke auf die Inflation auswirke, schwer zu beantworten. Erfahrungen aus früheren Perioden deuteten "tendenziell" darauf, dass sich Änderungen des Auslastungsgrades nicht maßgeblich auf den Inflationsprozess im Euroraum auswirkten.
Zudem variierte die Beziehung zwischen Produktionslücke und Preisentwicklung laut EZB in der Vergangenheit und die Produktionslücke habe relativ stark schwanken müssen, um die Inflation beeinflussen. "Unter anderem aus diesem Grund kann erwartet werden, dass sich die Teuerungsrate im Euro-Währungsgebiet trotz des drastischen Konjunktureinbruchs weiterhin als verhältnismäßig stabil erweist", schreibt die EZB.
Sie verweist ferner auf Probleme, die sich bei der "Echtzeitmessung" von Wirtschaftspotenzial und Auslastungsgrad ergeben. Derzeit sei die Unsicherheit besonders hoch, weil weiter unklar sei, inwieweit der abrupte Konjunktureinbruch auch den negativen Einfluss angebotsseitiger Faktoren spiegele, die das Produktionspotenzial deutlich verringern würden.
"In der Tat kann der aktuelle Abschwung auch einen Rückgang des Angebotspotenzials beinhalten und zwar entweder eine sinkende Potenzialhöhe oder ein verlangsamtes künftiges Wirtschaftswachstum oder beides", analysiert die EZB. Eine derartige Verringerung der Höhe resultiere möglicherweise aus der plötzlichen Anpassung von vor der Finanzkrise entstandenen Überkapazitäten durch den Abbau von Sachkapital oder eine stärkere Abzinsung vergangener Investitionen.
Außerdem könnten ein sehr starker Anstieg der Arbeitslosigkeit und ein Personalabbau in einigen Sektoren dazu führen, dass sich die strukturelle Arbeitslosigkeit erhöht. Soweit diese Faktoren auf ein niedrigeres Produktionspotenzial hinwiesen, würde dies bedeuten, dass das Ausmaß der konjunkturellen Auslastung geringer sei und dass sich die disinflationären Kräfte verhaltener auswirken dürften, als das bei einem ausschließlich nachfragedeterminierten Wirtschaftsrückgang der Fall wäre.
Als weitere Argumente für eine stabile Inflationsentwicklung führt die EZB die "nahe 2%" verankerten Inflationserwartungen sowie mögliche Asymmetrien bei der Preissetzung durch die Unternehmen an. So könnten Firmen Preissenkungen zögerlicher vornehmen als Preiserhöhungen, sich Arbeitnehmer insbesondere einer Verringerung ihres Nominallohns widersetzen, Verträge in unregelmäßigen Abständen neu verhandelt oder Löhne an die Preisentwicklung in der Vergangenheit gekoppelt werden.
Zusammenfassend analysiert die EZB, dass nach wie vor Unsicherheit über das Ausmaß der Konjunktureintrübung und auch darüber bestehe, inwieweit die Produktionslücke das Inflationsprofil bestimme. "Unklarheit besteht insbesondere dahingehend, inwieweit der plötzliche Wirtschaftseinbruch eine Folge von negativen Auswirkungen angebotsseitiger Faktoren ist, die das Produktionspotenzial verringert haben könnten. Möglicherweise ging mit dem aktuellen Abschwung auch eine Verringerung des Angebotspotenzials einher, was auf eine kleinere Produktionslücke und schwächere disinflationäre Kräfte hindeuten würde."
-Von Hans Bentzien, Dow Jones Newswires, +49 (0)69 29725 300, hans.Bentzien@dowjones.com DJG/hab/ptt Besuchen Sie auch unsere Webseite http://www.dowjones.de
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September 10, 2009 06:21 ET (10:21 GMT)
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