25. September 2009. Was wäre, wenn die Konjunktur nicht an Tempo verliert, sondern sich im Gegenteil beschleunigt? In den Schwellenländern ist in den letzten Monaten genau das eingetreten. Das Hauptproblem wären die Gefahren für die Stabilität durch höhere Rohstoffpreise.
Vorsicht, wenn alle der gleichen Meinung sind. Lange Zeit glaubten die Märkte bei der Konjunktur fast unisono an das Japan-Szenario, also dass es nach der Krise Stagnation gibt. Das erwies sich als falsch. Im zweiten Quartal ging es mit der Weltwirtschaft wieder nach oben. Jetzt erwarten die meisten, dass das nur ein kurzes Aufflackern ist und dass das Wirtschaftswachstum spätestens Anfang nächsten Jahres wieder in sich zusammenfallen könnte. Das ist das berühmte konjunkturelle "W". Auch ich halte es nach wie vor für den wahrscheinlichsten Fall. Aber je mehr Leute daran glauben, umso dringlicher stellt sich die Frage, ob es nicht wiederum anders kommen könnte.
Zwei Alternativen sind denkbar. Die eine ist die erneute Eskalation der Finanzkrise, etwa ein neuer Lehmann- Fall, und ein Rückfall in die Rezession. Das können sich viele vorstellen. Der Präsident des Münchner ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, fordert für Deutschland bereits weitere staatliche Beteiligungen an den Banken und ein neues Konjunkturpaket. Die andere Alternative ist, dass sich die Weltwirtschaft besser als erwartet entwickelt. Also ein Ausbruch nach oben. Ein "Blow-out" wie es Joachim Fels, der Leiter von Global Economics bei Morgan Stanley, vor kurzem nannte. Das geht heute immer noch vielen gegen den Strich.
Schauen wir uns diesen Fall deshalb etwas näher an. Passieren kann er, wenn die private Nachfrage, also Konsum und Investitionen, anspringt, bevor die staatlichen Ankurbelungsmaßnahmen und die monetäre Lockerung auslaufen. Dann würde die Konjunktur gleichzeitig von zwei Motoren getrieben, von der privaten Nachfrage und von der öffentlichen Hand. Das ist einer zu viel.
Auf den ersten Blick mutet so etwas unwahrscheinlich an. Der Eindruck täuscht aber. Die Philosophie des "deficit spending" beruht darauf, dass die private Nachfrage genau zu dem Zeitpunkt anspringt, zu dem die öffentlichen Programme auslaufen. Es wäre jedoch reiner Zufall, wenn das zeitlich wirklich so exakt zusammenfällt. Plausibler ist, dass die private Nachfrage sich entweder früher belebt - dann kommt es zu einer über Erwarten guten Konjunktur. Oder dass es später passiert, dann sackt die Konjunktur vorübergehend ab. Es besteht dann freilich die Gefahr, dass das "deficit spending" ganz verpufft. Die Regierungen werden daher alles tun, dass dieser zweite Fall nicht eintritt. Lieber etwas mehr staatliche Ankurbelungen als zu wenig. Das erklärt die riesigen Summen, mit denen derzeit beinahe rund um den Globus alles getan wird, um die Wirtschaft in Gang zu bringen.
Wir sollten uns daher nicht wundern, wenn das Erfolg hat. In China sieht es so aus, als sei das schon der Fall. Auch am Aktienmarkt hat man in letzter Zeit manchmal den Eindruck, als setze er nicht auf das "W", sondern eher auf eine bessere Konjunktur. Was freilich dagegen spricht ist die anhaltende Finanzkrise. Sie führt dazu, dass es trotz überschäumender Liquidität an Kredit fehlt.
Wenn die Konjunktur besser laufen sollte, würde das gesamtwirtschaftliche Wachstum nicht nur in diesem Jahr günstiger ausfallen, sondern auch im nächsten. Derzeit erwarten die meisten, dass das reale Bruttoinlandsprodukt zum Beispiel in Deutschland 2009 um rund 5 Prozent zurückgeht. Wenn sich aber der Umschwung, den es vom ersten zum zweiten Quartal gegeben hat, auch nur ansatzweise fortsetzen würde, dann wäre der Rückgang nur noch halb so groß (3 Prozent). So etwas hätte man sich bisher nicht vorstellen können. Für das nächste Jahr ergäbe sich unter solchen Umständen nicht nur ein Wachstum von 1 bis 2 Prozent, wie es die Mehrheit erwartet. Bei einer Konjunktur mit zwei Motoren könnte die Expansion sogar 3 oder 4 Prozent betragen.
Das könnte dann so aussehen, als wäre aller Wachstumspessimismus verflogen, der heute überall zu hören ist. Freilich ist zu bedenken, dass eine solche Situation nicht ewig dauert. Denn früher oder später läuft die Wirkung der staatlichen Maßnahmen aus. Die Realität langsameren Wachstums holt die Wirtschaft dann spätestens 2011 ein. Es könnte sein, dass es dann auch zu einem "W"-förmigen Konjunkturverlauf kommt. Nur tritt der zweite Abstrich des "W" eben etwas später ein.
Insgesamt wäre ein besserer Verlauf der Konjunktur natürlich zu begrüßen. Die Arbeitslosigkeit würde nicht so stark ansteigen. Die Kapazitäten der Unternehmen würden wieder besser ausgelastet. Die Unternehmenserträge wären höher. Auch die Staatsverschuldung würde nicht so stark in die Höhe gehen. Hier helfen die automatischen Stabilisatoren. Bei einer besseren Konjunktur steigen die Steuereinnahmen und es sinken die Ausgaben etwa für die Arbeitslosenversicherung . Die Konsolidierungsnotwendigkeiten bleiben natürlich bestehen, sie wären aber nicht so groß.
Negativ wären die Auswirkungen auf die Rohstoffpreise. Hier lauern die größten Gefahren. Der Ölpreis könnte leicht wieder von derzeit 70 auf 100 Dollar je Barrel hochschnellen mit entsprechenden Folgen für die Verbraucherpreise. Die Geldentwertung in Europa könnte schon im Verlauf des Jahres 2010 auf über 2 Prozent steigen.
Natürlich müsste die Politik - wenn das erkennbar wird - schneller umschalten. Hier sind vor allem die Notenbanken gefragt. Sie müssten rasch die Liquidität einsammeln und die Zinsen erhöhen. Sie bräuchte keine Angst mehr zu haben, die Konjunktur abzuwürgen. Freilich müsste sie immer noch Rücksicht nehmen auf die labile Lage der Bankbilanzen.
Ob der Staat die schon in Gang gesetzten Ankurbelungsprogramme wieder stoppen kann, ist fraglich. Insgesamt wäre die Welt in einem solchen Szenario in der Krise noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen. Der Ausstieg aus der Rezession wäre schneller, aber er wäre nicht grundlegend anders. Was wir zum Beispiel bei der Inflation für 2010/2011 erwarten, käme schon 2009/2010.
Für den Anleger Machen Sie sich mit dem Gedanken vertraut, dass die Konjunkturerholung schneller als erwartet kommen kann. Die Wahrscheinlichkeit dafür beträgt mindestens 30 oder 40 Prozent. Ein solcher Fall erfordert zwar keine grundlegende Neuorientierung der Portfolios. Allerdings bekommen die Argumente für noch mehr Vorsicht bei Festverzinslichen zusätzliches Gewicht. Denn an den Märkten würden in einem solchen Szenario vor allem die Bonds reagieren. Die Renditen festverzinslicher Wertpapiere würden deutlich anziehen. Bei den Aktien helfen die besseren Unternehmenserträge. Dagegen steht allerdings der negative Effekt der steigenden Zinsen. Was sich als Saldo ergibt, ist schwer zu sagen.
© 25. September 2009/Martin Hüfner
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Dr. Martin W. Hüfner ist Chief Economist bei Assenagon Asset Management S.A. Er war viele Jahre Chefvolkswirt beziehungsweise Senior Economist bei der HypoVereinsbank und der Deutschen Bank. In Brüssel leitete er den renommierten Wirtschafts- und Währungsausschuss der Chefvolkswirte der Europäischen Bankenvereinigung. Hüfner schreibt für große internationale Zeitungen wie die Neue Züricher Zeitung oder die Schweizer Finanz und Wirtschaft sowie für große Zeitungen in Deutschland. Er ist Autor mehrerer Bücher, u. a. "Europa - Die Macht von Morgen" und "Comeback für Deutschland".
(Für den Inhalt der Kolumne ist allein Deutsche Börse AG verantwortlich. Die Beiträge sind keine Aufforderung zum Kauf und Verkauf von Wertpapieren oder anderen Vermögenswerten.)
AXC0137 2009-09-25/15:04