Die rund 50 Millionen Mitglieder der gesetzlichen Krankenkassen müssen seit dem Jahreswechsel tiefer in die Tasche greifen. Der Beitragssatz stieg von 14,9 auf 15,5 Prozent, wobei Arbeitnehmer und Arbeitgeber letztmalig je die Hälfte des Anstiegs tragen. Angesichts der Finanzprobleme der gesetzlichen Versicherung regte der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, eine Debatte über die Einschränkung von Leistungen an. Verdi-Chef Frank Bsirske sieht Deutschland auf dem Weg zur Drei- Klassen-Medizin.
Bsirske kritisiert besonders die Pläne, Versicherte bei Behandlungen freiwillig in Vorkasse gehen zu lassen. Wer sich darauf einlasse, bekomme möglicherweise eher Termine beim Facharzt. "Am Schnellsten bekommen die Zugang zu Terminen, die Privatpatienten sind. Dann kommen die Kassenpatienten, die in Vorkasse gehen. Und am Ende bleibt die Holzklasse, die dafür bestraft wird und möglicherweise gesundheitliche Schäden in Kauf nehmen muss, weil sie sich die Vorkasse nicht leisten kann", sagte er der Nachrichtenagentur dpa. Er kündigte Protestaktionen an.
Auch DGB-Chef Michael Sommer hatte an Weihnachten verkündet, die Reform wieder kippen zu wollen. Für ihn bedeutet sie das Ende der bisherigen solidarischen Finanzierung, weil die Arbeitgeber im Gegensatz zu den Versicherten von künftigen Kostensteigerungen verschont bleiben.
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) verteidigte die Gesundheitsreform in ihrer Neujahrsansprache: "Wir wollen unser Gesundheits- und Pflegesystem weiter verbessern, damit auch in Zukunft jeder Mensch die Gesundheitsversorgung und Pflege bekommt, die er braucht."
Die Koalition plant, gesetzlich Versicherten die Möglichkeit zu erleichtern, selbst beim Arzt zu bezahlen und sich das Geld dann bei der Krankenkasse zurückzuholen. Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) sieht in der freiwilligen Kostenerstattung auch ein Modell der Zukunft.
Die Krankenkassen lehnten Leistungskürzungen ab. "Wir brauchen eine Debatte über die Weiterentwicklung des Gesundheitswesens und nicht über Leistungskürzungen", sagte der Sprecher des GKV- Spitzenverbandes, Florian Lanz, am Sonntag der dpa. "Die Honorare der niedergelassenen Ärzte steigen dieses Jahr um über eine Milliarde Euro, die Pharmaindustrie macht gute Gewinne und bis zu 1,5 Milliarden Euro müssen die Beitragszahler für fehlerhafte Klinikabrechnungen auf dem Tisch legen", gab er zu Bedenken.
Dagegen sagte Zollitsch der dpa: "Bei aller Dringlichkeit der Finanzierungsproblematik sind auch strukturelle Reformen erforderlich." So sollten zunächst Einsparpotenziale und Wirtschaftlichkeitsreserven überprüft werden, bevor mehr Geld ins System gepumpt werde. "Ein Begrenzen des Leistungsspektrums und - umfangs wird im Rahmen individuell tragbarer und beeinflussbarer Risiken wohl unumgänglich sein", wenn die für den Einzelnen unbezahlbaren Leistungen weiterhin abgesichert bleiben sollten. Auch Ärzteverbände erheben immer wieder die Forderung nach einem Katalog grundsätzlich zu bezahlender Leistungen und die Abdeckung von Sonderrisiken durch Zusatzversicherungen.
Die Beitragslast zur GKV von jetzt 15,5 Prozent ist ungleich verteilt: 8,2 Prozent vom Bruttoeinkommen entfallen auf Arbeitnehmer und Rentner; für die Arbeitgeber sind es 7,3 Prozent. Für sie wird der Satz bei diesem Stand eingefroren. Künftig ist der Wechsel in eine Privatkasse leichter. Wer brutto über der Versicherungspflichtgrenze von 4125 Euro (2011) verdient, kann nach einem Jahr wechseln. Bisher musste man drei Jahre warten./bg/ruf/DP/he
AXC0021 2011-01-02/15:01