29. Juli 2011. Viel spricht dafür, dass es im Streit über die Erhöhung der Schuldengrenze in den USA nicht zu dem befürchteten Eklat an den Finanzmärkten kommt.
In den USA eskaliert der Streit um die Erhöhung der Schuldengrenze. Einige meinen, es könnte schlimmer als bei der Lehman-Pleite im Jahre 2008 werden. Die amerikanische Notenbank und die privaten Banken bereiten sich auf den Ernstfall vor. Müssen wir uns auf eine neue Katastrophe einstellen? Oder ist es - dafür spricht ein Blick in die Geschichte - eher Theaterdonner? Wenn Amerika seine Schulden wirklich nicht mehr bedienen würde, dann wäre das in der Tat ein Horror. Der größte Schuldner der Welt wäre pleite. Der größte Kapitalmarkt der Welt wäre funktionsunfähig. Viele in- und ausländische Gläubiger der USA müssten ihre Papiere von heute auf morgen verkaufen. Kaum jemand wäre bereit, sie aufzunehmen. Die Zinsen würden dramatisch nach oben schnellen, der Dollar sich entsprechend abschwächen. Die amerikanischen Banken hätten nicht mehr genug Eigenkapital, um ihre Wertpapierbestände ordentlich zu decken. Die Federal Reserve und die Börsenaufsicht SEC müssten versuchen, die größten Brände zu löschen. Ich glaube nicht, dass es so weit kommen wird. Anders als Griechenland stehen die Amerikaner nicht vor der Pleite. Die Finanzmärkte sind bereit, ihnen zu niedrigen Zinsen genug Kredit zu geben. Alles wäre mit einem Federstrich zu lösen, wenn das Parlament die Schuldengrenze erhöhen würde. Das Problem ist politisch. Der Präsident und der Kongress sind heillos zerstritten. So etwas kommt in den USA häufiger vor. Es ist in der Struktur der amerikanischen Verfassung mit einem starken Präsidenten und einem starken Kongress angelegt. Freilich hat sich immer wieder gezeigt, dass solche Auseinandersetzungen nicht ewig dauern. Kein Politiker will mit dem Makel in die Geschichte eingehen, für eine Katastrophe verantwortlich zu sein. Im Übrigen sind die USA selbst bei Nichteinigung nicht völlig handlungsunfähig. Sie dürfen nur keine Kredite mehr aufnehmen. Zur Begleichung ihrer Ausgaben (3,8 Billionen US-Dollar) stehen ihnen im Haushalt 2011 aus regulären Einnahmen knapp 2,2 Billionen US-Dollar zur Verfügung. Das reicht, um neben den absolut unabdingbaren Regierungsausgaben auch die Schulden ordentlich zu bedienen (Zinsausgaben laut Haushaltsplan: 206 Milliarden US-Dollar. Um zu sehen, was passieren kann, muss man nur einmal in die Geschichte schauen. Mitte der 90er Jahre stand Präsident Clinton vor einer ähnlichen Situation. Er konnte sich mit dem damaligen Führer der Republikaner im Kongress, Newt Gingrich, nicht auf ein Budget einigen. Es kam zu zwei "Government Shutdowns", also der Schließung der Regierungsgeschäfte. Sie dauerten insgesamt 25 Tage. Einige Verwaltungsstellen wurden geschlossen. Die Beschäftigten mussten in Zwangsurlaub gehen. Es wurden unter anderem keine Pässe und Visa mehr ausgestellt. Nationalparks wurden geschlossen. Krankenhäuser nahmen nicht mehr alle Patienten auf. Die Zahlungen an militärische Veteranen wurden zum Teil eingestellt. Die Schulden wurden aber nach wie vor ordentlich bedient. Für die jeweils Betroffenen waren das schwierige Zeiten. Die gesamtwirtschaftlichen Kosten hielten sich jedoch in Grenzen. Das reale Bruttoinlandsprodukt hat sich praktisch nicht abgeschwächt. Die Kapitalmärkte waren nervös, es kam aber nicht zu größeren Abstürzen. Die Zinsen ermäßigten sich sogar etwas. Die Aktienkurse bewegten sich seitwärts. Der Dollar wertete gegenüber der damaligen DM auf. Noch interessanter sind die langfristigen Wirkungen. Präsident Clinton zog aus dem Streit mit dem Kongress die Schlussfolgerung, dass er so etwas nicht noch einmal erleben wollte. Er reduzierte das Budgetdefizit drastisch. Die Folge: Zwei Jahre später erzielte er im Bundeshaushalt einen Überschuss von 69 Milliarden US-Dollar. Dieser Überschuss wuchs bis zum Jahr 2000, dem letzten Jahr seiner Präsidentschaft, auf insgesamt 236 Milliarden US-Dollar (siehe Grafik). Das führte an den Finanzmärkten zu einer Knappheit an Staatspapieren.Erst unter Clintons Nachfolger Bush gab es wieder Defizite. Könnte es sein, dass Obama ähnliche Schlüsse aus dem Streit zieht und dem Staatshaushalt eine Umkehr verordnet? Interessant ist auch die politische Konsequenz aus dem damaligen Streit.Während des "Government Shutdown" sanken die Umfragewerte von Clinton dramatisch (mehr als heute die von Obama). Es gelang ihm jedoch während des Streits, durch geschickte Kommunikation, die öffentliche Meinung auf seine Seite zu ziehen. Das trug entscheidend zu seiner Wiederwahl im Herbst 1996 bei. Auch jetzt steht die Kommunikation in dem Streit ganz vorne.
Für den Anleger
Nehmen Sie die aktuellen Ereignisse in den USA nicht zu ernst. Natürlich ist die hohe Staatsverschuldung der Amerikaner ein großes Problem. Die jetzige Krise hat damit aber wenig zu tun. Zu größeren Gefährdungen der Konjunktur und der Finanzmärkte wird es nur kommen, wenn die Schulden nicht bedient werden. Das aber ist aus meiner Sicht unwahrscheinlich. Ein Problem wäre auch, wenn das Rating der USA herabgestuft würde. Im Übrigen bleibt es bei nervösen Schaukelbewegungen bei Aktien, Bonds und Wechselkursen. Es ist bemerkenswert, dass die Renditen der langfristigen Treasuries trotz aller Unkenrufe bisher erstaunlich stabil geblieben sind. Das zeigt, dass die Anleger gar nicht so nervös sind, wie es an der Wall Street und in der öffentlichen Diskussion erscheint.
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© 29. Juli 2011/Martin Hüfner
Martin W. Hüfner ist Chief Economist bei Assenagon Asset Management S.A. Er war viele Jahre Chefvolkswirt beziehungsweise Senior Economist bei der HypoVereinsbank und der Deutschen Bank. In Brüssel leitete er den renommierten Wirtschafts- und Währungsausschuss der Chefvolkswirte der Europäischen Bankenvereinigung. Hüfner schreibt für große internationale Zeitungen wie die Neue Züricher Zeitung oder die Schweizer Finanz und Wirtschaft sowie für große Zeitungen in Deutschland. Er ist Autor mehrerer Bücher, u. a. "Europa - Die Macht von Morgen" und "Comeback für Deutschland".
(Für den Inhalt der Kolumne ist allein Deutsche Börse AG verantwortlich. Die Beiträge sind keine Aufforderung zum Kauf und Verkauf von Wertpapieren oder anderen Vermögenswerten.)
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