
--Eurogruppe und sechs weitere EU-Länder gründen Fiskalunion --Großbritannien und Ungarn verweigern sich --Schweden und Tschechien haben Vorbehalte --IWF erhält 200 Mrd EUR --ESM bleibt ohne Banklizenz --Analysten erwarten baldige Ratingabstufung (NEU: Auch Ungarn will Parlament konsultieren) Von Andreas Plecko DOW JONES NEWSWIRES
BRÜSSEL/FRANKFURt (Dow Jones)--Die Euro-Staaten und sechs weitere EU-Länder gründen eine Fiskalunion - und riskieren damit eine Spaltung der EU. Zuvor war es den Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Länder trotz zehnstündiger Verhandlungen in der Nacht zum Freitag nicht gelungen, sich auf eine Änderung der EU-Verträge zu einigen. Großbritannien hatte eine gemeinsame EU-Lösung blockiert, weil es keine Sonderrechte für die Regulierung des heimischen Finanzmarkts erhielt. Verhandlungen über die von den Finanzmärkten erhoffte Mittelaufstockung des Euro-Rettungsschirms EFSF und des dauerhaften Rettungsfonds ESM wurden auf März 2012 verschoben.
"Die 17 Mitglieder der Eurozone und sechs weitere Länder werden einen zwischenstaatlichen Vertrag schließen", sagte der ständige EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy am Freitagmorgen zu Journalisten. Großbritannien wird an der Fiskalunion nicht teilnehmen, Schweden, Tschechien und Ungarn haben Vorbehalte angemeldet. Der Vertrag soll bis März ausgehandelt sein. Neben den 17 Euro-Ländern nehmen Dänemark, Polen, Litauen, Lettland, Bulgarien und Rumänien an der Fiskalunion teil. Schweden, Tschechien und Ungarn wollen vor einer Entscheidung erst ihre nationalen Parlamente konsultieren.
Die Fiskalunion soll durch strikte Haushaltsdisziplin, Schuldenbremsen und automatische Sanktionen die Glaubwürdigkeit der Staaten an den Kapitalmärkten zurückgewinnen. "Wir werden eine neue Fiskalunion schaffen", erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). "Wir werden einen stabilen Euro innerhalb einer stabilen Union haben." Merkel fügte hinzu, dass die Fiskalunion für andere Länder, die daran teilnehmen wollten, offen sei.
Nach Angaben von EU-Ratspräsident Van Rompuy gibt es außerdem eine Übereinkunft, dass der Internationale Währungsfonds bis zu 200 Mrd EUR erhält. Der dauerhafte Europäische Stabilisierungsmechanismus (ESM) soll hingegen keinen Zugang zu Krediten der Europäischen Zentralbank (EZB) erhalten, um seine Mittel im Kampf gegen die Schuldenkrise aufzustocken. Der Fonds werde nicht mit einer Banklizenz ausgestattet, sagte Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy nach den nächtlichen Beratungen in Brüssel. Gegen einen solchen Schritt hatte sich insbesondere Deutschland gewehrt.
Von Rompuy räumte ein, dass ein zwischenstaatlicher Vertrag nicht die Optimallösung darstelle, "aber ein vollständiger Vertrag war nicht möglich". Auch sein Vorschlag, gemeinsame Staatsanleihen, sogenannte Euro-Bonds, zu begeben, habe keine Zustimmung bekommen, weshalb dieses Vorhaben "in ruhigeren Tagen" diskutiert werden müsse. Die Bundeskanzlerin hat sich somit mit ihrer Ablehnung gemeinsamer Staatsanleihen der Euro-Länder sowie eines Zugangs des ESM zu Krediten der EZB durchgesetzt.
Beobachter sehen in dem Scheitern einer gemeinsamen Lösung einen schweren Rückschlag für die EU, die sich nun mit zwei Geschwindigkeiten bewegen wird: Die Euro-Staaten und die sechs Länder, die dazugehören wollen, werden ihre Volkswirtschaften enger verzahnen. Das euroskeptische Großbritannien wird weiter in die Isolation gedrängt - oder sich selbst ins Abseits stellen. Mit schwer absehbaren Folgen für die Union.
Die Spaltung wird auch die von Merkel angestrebte stabile vertragliche Basis für die schärferen Haushaltsregeln schwächen. Denn ohne Zustimmung aller 27 EU-Staaten kann das Gemeinschaftsrecht und die Kompetenz der EU-Kommission nur auf Umwegen gestärkt werden. So darf der zwischenstaatliche Vertrag, der nun geschlossen wird, nicht gegen geltendes EU-Recht verstoßen. Darin sind aber unter anderem die bisherigen laxeren Sanktionsregeln festgelegt. Der neue Vertrag sei "nicht die rechtlich sauberste Lösung", wurde nach Angaben der Agentur dapd auch in Delegationskreisen eingeräumt.
Eine radikale Lösung der Euro-Schuldenkrise lässt somit weiter auf sich warten. Bereits am Vortag hatte die EZB den Hoffnungen auf eine stärkere Beteiligung an der Bewältigung der Krise eine Absage erteilt. Auf die Frage, ob die EZB zu Gegenleistungen für einen angestrebten "Fiskalpakt" der Eurozone-Staaten bereit sei, antwortete EZB-Präsident Mario Draghi am Donnerstag in Frankfurt: "Die Antwort ist Nein." Bei einer Anhörung in der vorigen Woche hatte er hingegen die Erwartung geweckt, die EZB würde sich nach Abschluss eines "Fiskalpakts" zu größeren Staatsanleihekäufen bereit finden.
An den Finanzmärkten machte sich Ernüchterung über die mageren Ergebnisse breit. Die bisher bekannt gewordenen Beschlüsse vom EU-Gipfel wurden von Marktteilnehmern nicht als der erhoffte Befreiungsschlag gewertet. "So wie es momentan aussieht, werden wir in der kommenden Woche die angekündigte Herunterstufung von 15 Euro-Staaten sehen", sagte ein Händler. Die Ratingagentur Standard & Poor's hatte am Montag eine Senkung der Kreditwürdigkeit angedroht, wenn es keinen durchschlagenden Erfolg beim EU-Gipfel gebe. Analysten von Geschäftsbanken sagten nun, mit diesem enttäuschenden Gipfelergebnissen seien die Voraussetzungen für eine baldige Abstufung erfüllt.
-Von Andreas Plecko, Dow Jones Newswires, +49 (0)69 - 29725 300, konjunktur.de@dowjones.com (Mary M. Lane and William Boston und Matina Stevis haben zu dem Bericht beigetragen) DJG/apo/sgs/hab
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December 09, 2011 07:22 ET (12:22 GMT)
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