
Von David Crawford THE WALL STREET JOURNAL
BERLIN (Dow Jones)--1983 galt Joachim Gauck, Deutschlands designierter Bundespräsident, dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR als "Feind" des Arbeiter- und Bauernstaates. Seine berufliche und soziale Existenz sollte mit einer Reihe schmutziger Trick zerstört werden. Joachim Gauck war zu dieser Zeit Stadtjugendpfarrer in der Bezirksstadt Rostock. Die Stasi fürchtete den Einfluss des evangelischen Geistlichen auf die Jugendlichen.
Aus der Stasi-Akte von Gauck lässt sich das Vorgehen der Stasi von damals rekonstruieren. Der operative Vorgang (OV) "Larve", bei dem die Stasi mehrere Beobachter auf Gauck ansetzte, sollte der Zermürbung eines Menschen dienen, den die Staatsführung als Gefahr für die DDR wahrnahm. Gaucks Predigten, heißt es in der Akte, "glorifizierten" die Lebensbedingungen in westlichen Ländern wie Schweden und "diskriminierten die sozialen Errungenschaften" der DDR. Empfohlen wurde die "Einleitung von gezielten Zersetzungsmaßnahmen".
Um gegen Gauck vorzugehen, sammelten die auf ihn angesetzten Inoffiziellen Mitarbeiter Informationen, die die Untreue von Gauck beweisen sollten. Unter anderem ist in der Akte von einem unbestätigten Bericht die Rede, wonach Gaucks Ehefrau sehr ungehalten gewesen sein soll, weil ihr Mann eine intime Beziehung zu einer Theologiestudentin unterhalten haben soll, die nicht in der DDR lebte.
Später organisierte die Stasi kompromittierende Situationen, mit denen das Ansehen Gaucks in der Kirche gezielt beschädigt werden sollte. Auch dieses Ziel ist klar in den Akten dokumentiert. Dazu besuchte 1985 ein Stasi-Offizier den Pastor. Anschließend streute das MfS Details des geheimen Treffens im Kollegenkreis und bei Kirchenoberen, um Zweifel an der Loyalität Gaucks zu wecken.
Am 28. Juni meldete ein IM der Stasi, ein "wichtiges Ziel" sei erreicht, Gauck habe einen Nervenzusammenbruch erlitten und werde seinen Posten als Stadtjugendpfarrer aufgeben. In späteren Berichten ist von diesem Zusammenbruch zwar nicht mehr die Rede, doch werten Stasi-Offiziere den Rückzug als Stadtjugendpastor weiter als "Erfüllung eines Schlüsselziels". Jetzt heißt es in den Akten, Joachim Gauck sei mit seiner Frau in den Urlaub gefahren und habe später eine Stelle zur Organisation des Kirchentages in Rostock übernommen.
David Gill, persönlicher Berater und Organisator der Präsidentschaftskampagne von Gauck, nennt die Behauptung der Stasi, sie habe den Pastor in den Nervenzusammenbruch getrieben, komplett falsch. "Ich halte das für abwegig", sagte Gill in einem Interview. "Das hätte ich gewusst." Zu Details in Gaucks Stasi-Akte wollte sich Gill ansonsten aber nicht äußern.
In den späten 1980er Jahren änderte sich die Sicht der DDR-Staatssicherheit auf Gauck. Er galt nun nicht länger als Bedrohung des Sozialismus. Im Gegenteil versuchte man nun, Gauck zu einer Mitarbeit bei der Stasi zu bewegen. Im November 1988 wurde der OV "Larve" mit der unbewiesener Behauptung geschlossen, dass es gelungen sei, Gaucks Verhalten positiv zu beeinflussen. Der zuständige Stasi-Offizier schlägt in seinem Abschlussbericht sogar vor, Gauck als Inoffiziellen Mitarbeiter zu gewinnen. "Es wird vorgeschlagen, den OV Larve zu archivieren und einen IM-Verlauf anzulegen." Zur Umsetzung dieses Vorhabens ist es nach Angaben von David Gill aber nicht mehr gekommen.
Von Oktober 1990 bis Oktober 2000 wurde Gauck Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU), eine Behörde, die die Akten und Dokumente der Stasi verwaltete und den Betroffenen zugänglich machte. Wegen des langen Namens, und weil der Chef sein Amt vehement in der Öffentlichkeit vertrat, hieß sie bald Gauck-Behörde. Schnell schieden sich an Gauck die Geister. Während die einen die Enttarnung früherer Stasi-Spitzel begrüßten, sprachen andere von moderner Hexenverfolgung.
Eine BStU-Sprecherin wollte sich zu Gaucks eigener Stasi-Akte nicht im Detail äußern. Fest stehe aber, dass der designierte Bundespräsident ein Opfer des MfS gewesen sei. Zu seiner Tätigkeit als Chef der Stasi-Unterlagenbehörde sagte sie, "Gauck habe sehr entschieden darauf hingewirkt, dass die Stasi-Akten geöffnet und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden."
David Gill, von dem vermutet wird, dass er nach der Wahl von Gauck zum Bundespräsidenten dessen Bürochef wird, erwartet, dass der frühere Gemeindepfarrer aus Rostock-Evershagen den Dialog mit den Bürgern in seinem neuen Amt fortsetzen wird. Hauptthema von Gauck werde die "Freiheit" bleiben, doch werde der 72-Jährige auch "neue Themen ansprechen".
DJG/wsj/smh
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March 18, 2012 07:07 ET (11:07 GMT)
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