Die Unionsparteien haben bei der Europawahl in Deutschland ihre Vorrangstellung verteidigt - allerdings mit herben CSU-Verlusten. Die SPD legte nach ihrem Tief vor fünf Jahren kräftig zu, steht aber nach wie vor ein gutes Stück hinter der Union von Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Der euroskeptischen Alternative für Deutschland (AfD) gelang mit einem hohen Ergebnis, was ihr bei der Bundestagswahl noch knapp verwehrt blieb: der Einzug ins Parlament.
Auch europaweit ging aus der Wahl in allen 28 EU-Ländern die konservative Europäische Volkspartei (EVP) mit dem Spitzenkandidaten Jean-Claude Juncker als stärkste Kraft hervor. Allerdings liegt die Sozialdemokratische Partei Europas (SPE) nur wenig zurück. Zugleich gewannen nach der jahrelangen Eurokrise Extremisten und Populisten stark hinzu: In Frankreich und Dänemark wurden Rechtsaußen-Parteien stärkste Kraft, in Griechenland Linksradikale.
In Deutschland verloren nach dem vorläufigen Endergebnis die Grünen leicht, blieben aber zweistellig. Die Linke erreichte in etwa ihr Ergebnis von 2009. Damit hat sich am Sonntag beim ersten Stimmungstest acht Monate nach der Bundestagswahl der Abstand zwischen großer Koalition und Mini-Opposition kaum verändert. Die FDP, im Herbst aus dem deutschen Parlament geflogen, schaffte nicht einmal mehr ein Drittel ihres bisherigen EU-Ergebnisses, bleibt jedoch in Straßburg vertreten.
Noch am Wahlabend begann zwischen den Berliner Koalitionspartnern Union und SPD ein Tauziehen um den Posten des künftigen EU-Kommissionspräsidenten: Jean-Claude Juncker für den konservativen Parteienblock EVP - oder Martin Schulz für die Sozialdemokraten.
Die Union erreichte 35,3 Prozent - ihr schlechtestes Europa-Ergebnis seit 1979, noch weniger als 2009 (37,9) und auch deutlich schwächer als bei der Bundestagswahl im September (41,5). Diese Verluste gehen allein auf das Konto der CSU, die in Bayern rund acht Prozentpunkte einbüßt. Die SPD verbesserte sich auf 27,3 Prozent - sie hatte 2009 allerdings auch ihr schlechtestes Europa-Ergebnis (20,8) eingefahren (Bundestagswahl 2013: 25,7).
Die Grünen sackten auf 10,7 Prozent (12,1). Die Linke stagnierte bei 7,4 Prozent (7,5). Die FDP stürzte wie zuvor schon bei der Bundestagswahl nun auch auf EU-Ebene ab und kam nur auf 3,4 Prozent (11,0). Die AfD schaffte es bei ihrer ersten Europawahl gleich auf 7,0 Prozent - ein wichtiger Erfolg auch mit Blick auf die Landtagswahl Ende August in Sachsen.
Damit ergibt sich folgende deutsche Sitzverteilung im Straßburger Parlament: CDU/CSU 34 Mandate, SPD 27, Grüne 11, Linke 7, FDP 3 und AfD 7. Die Bundesrepublik als größtes EU-Land stellt 96 der künftig 751 EU-Parlamentarier. Sie sind für fünf Jahre gewählt.
Bei der Europawahl hatten diesmal auch Kleinparteien eine Chance, weil das Bundesverfassungsgericht die Sperrklausel gekippt hatte. So erreichte die rechtsextreme NPD einen Sitz, ebenso die Piratenpartei, Freie Wähler, Tierschutzpartei, Familienpartei, ÖDP und "Die Partei".
Mit 48,1 Prozent war die Wahlbeteiligung in Deutschland besser als 2009 (43,3). Insgesamt waren in den 28 Staaten der EU 400 Millionen Bürger zur Stimmabgabe aufgerufen, darunter 61,5 Millionen Deutsche.
Unions-Fraktionschef Volker Kauder sagte am Abend: "Wir können mit dem Ergebnis leben." Der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer räumte "eine herbe Enttäuschung" ein. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann bescheinigte seiner Partei den "höchsten Zuwachs aller Zeiten" bei einer bundesweiten Wahl.
Die Europawahl war nach Einschätzung der Forschungsgruppe Wahlen vor allem bundespolitisch geprägt. Für 54 Prozent war bei der Stimmabgabe die Bundespolitik entscheidend, nur für 40 Prozent die Europapolitik. Die Wahlforscher ermittelten, 72 Prozent der SPD-Wähler wollten Schulz als EU-Kommissionspräsidenten - aber nur 41 Prozent der CDU/CSU-Anhänger den EVP-Spitzenkandidaten Juncker.
Das Europaparlament hat wichtige Kompetenzen in der EU-Gesetzgebung und muss unter anderem dem jährlichen EU-Haushalt zustimmen. Vom Wahlergebnis soll erstmals auch abhängen, wer Präsident der EU-Kommission wird. Die europäischen Parteienfamilien hatten deshalb Spitzenkandidaten aufgestellt: EU-Parlamentspräsident Schulz und Luxemburgs Ex-Premier Juncker. Kein Parteienblock hat aber im Europaparlament allein die nötige absolute Mehrheit.
Der konservative Parteienblock EVP errang nach einer Hochrechnung vom späten Abend 28,2 Prozent - deutlich weniger als 2009 (35,8). Die Sozialdemokratische Partei Europas (SPE) kam mit 24,6 Prozent auf Platz zwei. Auf Platz drei lagen die Liberalen. Rechtsaußen-Parteien kamen auf insgesamt rund 18 Prozent.
Mit dem EVP-Sieg sind Junckers Chancen auf den Posten des EU-Kommissionschefs gestiegen. Allerdings beanspruchte SPD-Chef Sigmar Gabriel den Posten für die Sozialdemokraten: "Das Wahlergebnis hat einen Namen, und der lautet Martin Schulz." Schulz selbst sagte, er werde sich um entsprechende Mehrheiten bemühen. Die Staats- und Regierungschefs, die den Brüsseler Chef vorschlagen, müssen das Wahlergebnis berücksichtigen. Eine Entscheidung kann Wochen dauern.
In Frankreich gewann die rechtsextreme Front National (FN) die Europawahl (26 Prozent). Die regierenden Sozialisten von Präsident François Hollande (13,9) erlitten erneut eine schwere Schlappe und landeten hinter der UMP (20,7) auf Platz drei.
In Griechenland wurde das oppositionelle Bündnis der radikalen Linken (Syriza) allen Prognosen zufolge stärkste Kraft (26,5 Prozent) - noch vor der regierenden konservativen Nea Dimokratia (23,2). Die rechtsradikale Goldene Morgenröte (9,3) kam auf Platz drei.
In Italien wurde die Demokratische Partei (PD) von Ministerpräsident Matteo Renzi nach Prognosen stärkste Kraft (33 Prozent). Dahinter folgte die populistische und europaskeptische Fünf-Sterne-Bewegung (26,5) und die konservative Oppositionspartei Forza Italia (18).
In Österreich verteidigte die konservative ÖVP Platz eins (27,3 Prozent) vor der sozialdemokratischen SPÖ (24,2) und der rechten FPÖ (20,5).
Parallel zur Europawahl wurden in zehn Bundesländern neue Kommunalparlamente bestimmt: in den fünf ostdeutschen Flächenländern, Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, im Saarland, in Baden-Württemberg und teilweise Niedersachsen. Hochrechnungen zufolge blieb die CDU überwiegend stärkste Kraft./and/ll/DP/zb
AXC0005 2014-05-26/04:45