
Von Michael Denzin
Eine Rechnung, die nicht aufgeht, hinterlässt die größten Spuren. So dürften sich Marktteilnehmer beim Blick auf die aktuelle Lage an den Aktienmärkten fühlen. Kein Wunder also, dass der DAX im Bereich um 8.800 Punkte neue Jahrestiefs verzeichnet hat. Anleger sollten auch in der kommenden Woche nicht darauf bauen, dass sich daran etwas ändert - erst die folgende Woche hat die Chance auf eine Wende zum Besseren.
Verkalkuliert hat sich der Markt vor allem beim großen Regimewechsel an den Aktienbörsen: Der reibungslose Stafettenwechsel von einer Notenbank-getriebenen zu einer konjunkturgestützten Hausse hat nicht wie erhofft stattgefunden. Der Internationale Währungsfonds hat seine globalen Wachstumserwartungen gesenkt und die schwachen Konjunkturdaten der Eurozone sorgten für immer längere Gesichter.
Den finalen Stoß für Europas Aktienmärkte dürfte die deutschen Daten geliefert haben: Nach schwachen Auftragseingängen enttäuschte auch noch ein Einbruch bei den Produktionsdaten. Damit fällt vor allem für die außereuropäischen Anleger auch die letzte Konjunkturlokomotive für den Euroraum aus.
Zudem wird der Zinsanstieg in den USA von allen Marktteilnehmern als selbstverständlich gesehen. Nur die Hoffnung auf noch stärkere Gewinnanstiege bei den Unternehmen rechtfertigt daher weiter steigende Kurse. Gerade in Europa sinken diese Erwartungen aber weiter. Und nicht nur die Gewinnperspektiven sehen angesichts der Konjunkturdaten eher mau aus, daneben gibt es auch immer weniger Hoffnung auf ein mögliches Quantitative Easing der Europäischen Zentralbank.
Zwar könnte sie zum Ankauf von Staatsanleihen übergehen, um Europas Zinsen weiter zu drücken, jedoch ist ihr Hebel viel kleiner als der der US-Notenbank. Der Anleihekauf müsste seine Mittel quer über den Euroraum verteilen. Fair und politisch durchsetzbar geht dies nur über den Kapitalschlüssel der EZB, also den Beteiligungsgrad ihrer Mitglieder. Deutschland hat hier mit rund 26 Prozent den höchsten. EZB-Käufe führten demnach dazu, dass Mittel für den Kauf deutscher Staatsanleihen verschwendet würden - also an das so ziemlich letzte Land der Eurozone, dass noch niedrigere Zinsen gebrauchen könnte.
Schwere Zeiten für Europas Aktien also, um die hohen Bewertungen rechtfertigen zu können. Denn der Blick in den europabreiten MSCI Europe Index zeigt, dass sich die Bewertungskennzahlen schon wieder auf den Niveaus der frühen 2000er befinden - also selbst über den Bewertungen vor der Finanzkrise stehen. Gleichzeitig sind die Gewinnerwartungen an Unternehmen aus dem Euro-Raum zum dritten Quartal extrem hoch und liegen über jenen der US-Unternehmen. Wie die Analysten von J.P. Morgan festgestellt haben, wollen Anleger ein Gewinnwachstum von nicht weniger als 8,6 Prozent zum Vorjahr sehen.
Diese Mischung aus hohen Erwartungen plus bereits hohen Bewertungen enthält ein brandgefährliches Enttäuschungpotenzial. Rein rechentechnisch lassen sie sich nur durch eines korrigieren - nämlich noch tiefere Aktienkurse.
Zu diesem Schluss ist wohl auch die Mehrheit der Großanleger in den vergangenen Wochen gekommen. Entsprechend ging es im DAX von rund 9.800 auf 8.800 Zähler runter - also um 1.000 Punkte binnen weniger als einem Monat. Und ein Ende ist noch nicht abzusehen, der Kapitalabzug aus dem Euroraum hält an.
Wasser auf die Mühlen der Bären dürften dazu die ZEW-Konjunkturerwartungen am Dienstag geben. Sie werden im Euro-Ausland als wichtige Frühindikatoren für die Börsen gesehen. Übersehen wird dabei zumeist, dass sie eine Befragung unter mehrheitlich Finanzanalysten darstellen. Diese agieren überwiegend trendfolgend; nach einem Monat Baisse dürfte also klar sein, dass sich ihre Stimmung am Rande der Depression befindet. Entsprechend schlecht dürfte der Index ausfallen und damit als weiterer Grund für Verkäufe von Euro-Aktien genutzt werden.
Solche handwerklichen Fahrlässigkeiten, oder zumindest Überinterpretationen, ausländischer Anleger sind dann vielleicht das erste Hoffnungszeichen. Denn der wichtigere ifo-Index als Umfrage unter Unternehmenslenkern und Entscheidern wird erst in der folgenden Woche veröffentlicht. Sollten die Erwartungen im Vorfeld zu sehr nach unten abgerutscht sein, hätte er dann das Potenzial für eine positive Überraschung.
Die Vorlage dazu liefert die Interpretation der deutschen Auftragseingänge und Produktionsdaten. Sicherlich fielen sie so schwach aus, dass einige Marktteilnehmer bereits die bevorstehende "technische Rezession" für Deutschland ausriefen. Allerdings litt bereits ihre Interpretation unter handwerklichen Mängeln der Anleger: Übersehen wurde dabei, dass die Ferien in Deutschland sehr spät lagen. Besonders im August sei die Tendenz durch negative Ferientageeffekte "dramatisch überzeichnet" worden, betonte das Wirtschaftsministerium.
Die Verwirrung über den vermeintlichen Einbruch der deutschen Produktion von 4,8 Prozent war sogar so hoch, dass der VDMA-Branchenverband der Maschinenbauer sie in einer außerordentlichen Mitteilung an seine Mitglieder kommentieren musste. Tenor: "Kein Grund zur Beunruhigung". Werksferien, Abrechnung von Großaufträgen und anderes hatten dazu geführt. Der VDMA sieht die Produktion 2014 weiter um 1 Prozent wachsen.
Damit hat der ifo-Index in der übernächsten Woche die Chance, einen Boden oder sogar Wendepunkt für die Märkte einzuleiten. Denn erst dann werden solch detaillierte Informationen aus der Industrie auch für Anleger öffentlich sichtbar. Investoren an Europas Aktienmärkten sollten sich bis dahin eher zurückhalten.
Von der Berichtssaison sind noch keine Impulse zu erwarten, sie startet nur in den USA richtig durch. Vor allem die Banken stellen dabei die dominierende Branche. Hier legen unter anderem Institute wie J.P. Morgen, Citigroup, Bank of America-Merrill Lynch und Goldman Sachs ihre Geschäftszahlen vor. Auch große Industrieunternehmen wie Intel, IBM und General Electric sind mit dabei. Vielleicht gelingt es schon ihnen, Investoren davon eine Ahnung zu geben, dass das dritte Quartal nicht so schlimm war, wie befürchtet.
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October 10, 2014 09:14 ET (13:14 GMT)
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