Von Andreas Kißler
BERLIN--Der deutsche Mittelstand gilt als Rückgrat der hiesigen Wirtschaftsentwicklung und verbreitete bisher vor allem Optimismus für die Zukunft. Doch das scheint sich jetzt zu drehen. Inzwischen herrscht laut einer neuen Umfrage unter den deutschen Mittelständlern immer mehr Krisenstimmung - während die Hoffnung in anderen Ländern steigt.
Gerade einmal 19 Prozent der deutschen Mittelständler rechnen mit einer Verbesserung der Wirtschaftslage, so die Umfrage der Beratungsgesellschaft Ernst & Young. Europaweit sind es demnach hingegen 32 Prozent, in Irland und Spanien sogar 68 und 48 Prozent. Jeder dritte deutsche Mittelständler prognostiziert sogar einen Konjunktureinbruch - höher ist der Anteil der Konjunkturpessimisten nur in Griechenland und Russland.
"Die 'German Angst' erfasst den deutschen Mittelstand", warnte deshalb Peter Englisch, der Partner bei der Beratungsgesellschaft ist, bei einer Pressekonferenz. Vor einem halben Jahr sei die Zuversicht unter den deutschen Unternehmen noch deutlich größer gewesen, denn damals rechneten noch 30 Prozent mit einer Verbesserung der wirtschaftlichen Lage.
Das Mittelstandsbarometer von Ernst & Young wird halbjährlich ermittelt. Ihm liegt eine Umfrage unter 6.000 mittelständischen Unternehmen in Europa zugrunde - davon 650 in Deutschland. Durchgeführt wurde die Erhebung im Dezember 2014.
"Deutschlands Mittelständler sind massiv verunsichert", erklärte Englisch. "Sie sehen derzeit vor allem Risiken." Die vielen weltweiten Krisen erschwerten die Planungen, und insbesondere die weitere Entwicklung des Ukraine-Konflikts bleibe ungewiss. "Das kostet Vertrauen und bremst die Investitionen."
Der Anteil der deutschen Unternehmen, die negative Auswirkungen der Spannungen mit Russland auf das eigene Geschäft spüren, ist laut der Studie im Vergleich zum vergangenen Juli bereits deutlich von 17 auf 26 Prozent gestiegen.
Der Absturz des Ölpreises könnte sich in diesem Zusammenhang nach Einschätzung der Wirtschaftsprüfer als zweischneidiges Schwert erweisen. Denn einerseits dürfte er sich zwar wie ein kräftiges Konjunkturprogramm auswirken - andererseits würde aber die Sorge eines weiteren Abrutschen Russlands in die Krise noch verstärkt.
Dass die Stimmung unter den deutschen Mittelständlern so gedrückt sei, überraschte die Autoren der Studie. "Die Stimmung im deutschen Mittelstand ist deutlich schlechter als die Lage", sagte Wirtschaftsberater Englisch.
Der gesunkene Euro mache deutsche Produkte im Ausland billiger, der niedrige Ölpreis entlaste und die deutsche Wirtschaft bleibe insgesamt auf Wachstumskurs. Auch wichtige Auslandsmärkte wie die USA, China und Großbritannien entwickelten sich erfreulich gut, und einige Krisenländer Europas kämen wieder auf die Beine.
Eine andere Umfrage hatte zum Jahresende 2014 auch eine deutlich günstigere Einschätzung der Klein- und Mittelbetriebe gezeigt. In der Erhebung des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft, für die vom 14. bis zum 28. Dezember rund 2.400 Unternehmer befragt wurden, schätzten 91 Prozent ihre derzeitige Geschäftslage als befriedigend oder besser ein, und gut 37 Prozent der Befragten erwarteten in den kommenden zwölf Monaten höhere Umsätze.
Nach der Analyse von Ernst & Young fürchten die deutschen Mittelständler allerdings offenbar, dass aus den politischen Krisen und wirtschaftlichen Verwerfungen "eine Megakrise wird, die zu einer erneuten weltweiten Rezession führen könnte".
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January 21, 2015 06:08 ET (11:08 GMT)
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