
Von Michael Denzin
Gezeitenwechsel an der Börsen kommen selten - dann aber heftig. Die Kapitalströme kehren sich nun wieder in Richtung Europa um. Auslandsinvestoren haben endlich bemerkt, wie untergewichtet sie in Europa sind und werden aktiv. Eine unübersehbare Performancelücke klafft zwischen US-Markt und Europas Börsen und reizt zum Einstieg. Für die Börsen heißt das klar, der Kurs in den nächsten Wochen zeigt gen Norden. Der Startschuss für die Jahresendrally dürfte gelegt sein.
Allerdings müssen Investoren manchmal auch erst mit der Nase darauf gestoßen werden. Denn seit April diesen Jahres hat sich eine Performancelücke zwischen Europa und den US-Börsen aufgetan, die ihresgleichen sucht. Mit Ängste vor einem Rückfall der Eurozone in die Rezession sowie deflationäre Tendenzen ließ sich dies zunächst begründen. Irgendwann wurde es aber zuviel. Während die US-Börsen seit Frühjahr gut im Plus liegen, überwiegen in Europa dicke Minuszeichen.
Der Investmentbank J.P. Morgan war es zu Wochenbeginn zu verdanken, dass auf diese immense Lücke hingewiesen wurde. Auf volle 22 Prozent bezifferten sie den währungsbereinigten Unterschied in der Börsenentwicklung zwischen Europa und den USA. Ihre frühere Empfehlung zum "Untergewichten" der Eurozone drehten die Analysten darauf um gleich zwei Stufen nach oben auf "Übergewichten".
Die Meinung eines einzelnen Hauses nützt natürlich nicht viel, wenn kein Bedarf zur Anpassung der Positionen von internationalen Fonds besteht. Doch dieser ist nun immens. Denn offensichtlich hatten Fondsmanager Europa von ihrer Anlageliste gestrichen und sich ausschließlich in Japan engagiert. Wie die jüngste Umfrage von Bank of America-Merrill Lynch unter Fondsmanagern zeigt, sind hier Extremwerte erreicht worden. Der Anteil europäischer Aktien im Vergleich zu japanischen befindet sich auf Allzeittief. Solch ein extremes Ungleichgewicht wurde nur siebenmal seit dem Jahr 2000 beobachtet.
Entsprechend gering ist die Zahl der Fondsmanager, die bereits in der Eurozone engagiert sind. Die Anzahl der "bullischen" und "bearischen" Investoren gegenüber Europa gleicht sich bislang fast aus. Sie stieg zwischen Oktober und November gerade einmal auf einen Bullenüberhang von 8 Prozent nach zuvor 4 Prozent. Das ist ein gigantischer Unterschied zu den Zeiten, als der alte Kontinent noch en vogue war: Da gab es üblicherweise einen Überhang von fast 40 Prozent an Fonds, die in Europa übergewichtet waren. Damit gibt es also genügend Investoren, die sich erst noch in den Markt einkaufen müssen.
Besonders für den DAX sind das gute Nachrichten. Befragt nach ihren künftigen Favoriten und Anlagezielen steht Deutschland in der Merrill-Umfrage an der Spitze der Einkaufsliste unter Fondsmanagern. Während im Oktober nur 13 Prozent unter ihnen in den deutschen Markt einsteigen wollten, planen dies nun 49 Prozent. Eine künftige Outperformance des DAX gegen andere Indizes in Europa ist daher wahrscheinlich, sobald sie ihre Pläne in die Tat umsetzen.
Freies Kapital zum Aktien-Shopping ist zudem noch im Überfluss vorhanden. Laut Merrill Lynch sind die Fondsmanager nicht nur zu einseitig positioniert, sie sitzen auch noch auf Bergen von Cash. Die Liquiditätsquote in den Fonds liegt bei sehr hohen und selten beobachteten 4,7 Prozent.
Die zu erwartenden Volumina der Aktienkäufe sind daher hoch genug, um die Kurse hierzulande deutlich nach oben zu treiben. Interessant ist hier vor allem der Blick auf die in den USA zum Handel zugelassenen Indexfonds für Europa. Sie werden von US-Anlegern gerne als Investmentvehikel gekauft, um sich in Europa zu engagieren. Zu den größten gehören der Vanguard FTSE Europe ETF und der iShares MSCI EMU Index Fund.
Allein diese beiden repräsentieren ein Anlagevolumen von rund 19 Milliarden US-Dollar. Seit Jahresbeginn liegt ihre Performance mit bis zu 9 Prozent im Minus. Der auf Deutschland konzentrierte iShares MSCI Germany Index Fund mit fast 5 Milliarden Dollar Anlagekapital liegt sogar noch fast 13 Prozent im Minus - kein Wunder also, wenn US-Anleger Hoffnungen auf das Schließen dieser Performancelücke hegen - und damit schnelle und hohe Gewinne bis zum Jahresende.
Ängste vor anderen Problemen könnten einen Einstieg in Europa natürlich verhindern. Doch auch hier stehen die Zeichen auf Entwarnung: Für 43 Prozent der von Merrill Lynch befragten Fondsmanager steht die Hoffnung auf geldpolitische Stimuli durch die EZB als Kurstreiber im Fokus. Just zum Ende der laufenden Woche dürfte ihnen EZB-Präsident Mario Draghi nun die Antwort auf ihre Sehnsüchte geliefert haben:
Er betonte auf dem Frankfurt European Banking Congress die Bereitschaft auch zu unkonventionellen Maßnahmen. Sollte die aktuelle Politik dieses Ziel "nicht erreichen können oder sollten sich weitere Risiken für die Preisstabilität zeigen, würden wir den Druck erhöhen und die Kanäle verbreitern, über die wir intervenieren, indem wir die Größe, die Geschwindigkeit und die Zusammensetzung unserer Käufe ändern", sagte Draghi.
Eine klarere Ansage für weitere Lockerungsmaßnahmen können sich Anleger nicht wünschen. Entsprechend sprang der DAX am Freitag um rund 200 Punkte nach oben. Händler werten diese scharfe Kursreaktion als klares Zeichen, dass große Fonds im deutschen Börsenbarometer zugreifen.
Bei den Daten der kommenden Woche dürften daher die Inflationszahlen aus der Eurozone im Fokus stehen. Sollten sie erneut sehr niedrig oder sogar im Negativbereich liegen, steigt die Wahrscheinlichkeit für rasche Maßnahmen der EZB. Bei den Konjunkturdaten setzen Anleger dagegen auf den ifo-Index am Montag. Nachdem der als Vorlaufindikator betrachtete ZEW-Index bereits nach oben geschossen war, ist die Hoffnung auf gute Daten berechtigt. Mit Konjunktur, Geldpolitik und Kapitalströmen auf seiner Seite wird sich der DAX wohl oder übel wieder mit dem Gedanken beschäftigen müssen, die Marke von 10.000 Punkten zu erklimmen.
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November 21, 2014 09:19 ET (14:19 GMT)
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