
Von Hans Bentzien
Der Ökonom Heiner Flassbeck und der Publizist Albrecht Müller rufen Juristen dazu auf, die Bundesregierung wegen eines Verstoßes gegen das Ziel eines außenwirtschaftlichen Gleichgewichts zu verklagen. In dem auf den Webseiten flassberg-economics und NachDenkSeiten veröffentlichten Aufruf heißt es: "Wir bitten Sie, sich mit dem unten skizzierten Rechtsverstoß zu beschäftigen und eine Klage gegen die Bundesregierung zu prüfen und vorzubereiten. Wir werden, wenn sich eine Gruppe von Juristen zur Vorbereitung einer Klage zusammenfindet, mit fachlichem Rat aus ökonomischer Sicht helfen."
Hintergrund sind die anhaltenden und zuletzt sogar wieder steigenden Leistungsbilanzüberschüsse Deutschlands, die vor allem von einigen europäischen Partnern als Problem wahrgenommen werden. Nach Schätzungen der Bundesbank hat der deutsche Leistungsbilanzüberschuss 2014 bei 7,4 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung gelegen - nach 6,7 Prozent (2013), 7,1 Prozent (2012) und 6,1 Prozent (2011).
Laut Flassbeck ist jedoch der mittelfristige Ausgleich von Leistungsbilanzdefiziten und -überschüssen von hoher Bedeutung für Europa, besonders für den Euroraum. "Die Kombination von anhaltend hohen Leistungsbilanzüberschüssen und hoher Wettbewerbsfähigkeit bei einigen Ländern und geringer Wettbewerbsfähigkeit und großen Leistungsbilanzdefiziten in anderen Ländern birgt enormen Sprengstoff für die Europäische Währungsunion und Europa insgesamt", heißt es in dem Aufruf.
Ohne eine Rückkehr zu einem Gleichgewicht werde sich die Krise in Europa auf viele andere Länder ausweiten. Deshalb sei die Verpflichtung der Politik, für außenwirtschaftliches Gleichgewicht zu sorgen, von hoher Bedeutung und müsse ernst genommen werden.
Festgeschrieben wurde dieses Ziel schon lange, bevor noch an einen Euro zu denken war. Laut dem Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft (StabG) vom 8. Juni 1967 soll der Staat seine Politik an vier gesamtwirtschaftlichen Zielen ausrichten: Preisstabilität, hoher Beschäftigungsstand, außenwirtschaftliches Gleichgewicht und angemessenes, stetiges Wirtschaftswachstum. Zwar wird laut Flassbeck gegenwärtig auch das Preisstabilitätsziel verfehlt, doch ist dafür die Europäischen Zentralbank zuständig.
Flassbeck verweist darauf, dass die 4 Prozent Leistungsbilanzüberschuss, die Westdeutschland in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre erzielte, als Extremwert galten, der zu einer Aufwertung der D-Mark gegenüber dem Dollar und innerhalb des Europäischen Wechselkurssystems (EWS) führte. "Das Ventil einer Änderung der Wechselkurse zwischen den Währungen steht innerhalb einer Währungsunion nicht mehr zur Verfügung. Das macht die heutigen Abweichungen viel gravierender, weil die Alternative dazu Lohnsenkung ist, die, wie der Fall Südeuropas klar zeigt, extrem negative Wirkungen auf die Ziele des angemessenen Wachstums und hohen Beschäftigungsstandes hat", argumentiert der Ökonom.
Heiner Flassbeck ist Honorarprofessor an der Hamburger Universität für Wirtschaft und Politik. Davor arbeitete er als Chefvolkswirt und Ökonom bei der UNO-Organisation für Welthandel und Entwicklung UNCTAD und als Staatssekretär im Bundesfinanzministerium.
Albrecht Müller publiziert gemeinsam mit dem Juristen Wolfgang Lieb das Internetjournal NachDenkSeiten.
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February 20, 2015 05:51 ET (10:51 GMT)
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