
Von Andreas Kißler und Christian Grimm
BERLIN--Die Pläne von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) zu einer Neugestaltung der Erbschaftsteuer nehmen langsam Gestalt an. Doch kaum sind erste Details der Pläne durchgesickert, bläst dem 72-jährigen Politikveteranen der Wind ins Gesicht: Die Wirtschaft läuft Sturm dagegen - und auch aus den Ländern kommt Kritik.
Schäuble will nach Angaben aus seinem Umfeld zwar grundsätzlich daran festhalten, Betriebsvermögen nicht der Steuer zu unterwerfen. Neu ist aber, dass er notfalls einen Teil des Privatvermögens der Unternehmer heranziehen will. Deren Empörung zielt nun besonders auf dieses Ansinnen.
Aus Schäubles Ministerium wurde bestätigt, dass nach ersten Eckpunkten eine Freigrenze von 20 Millionen Euro geplant ist. Liegt das ererbte Betriebsvermögen darüber, soll das Privatvermögen bis maximal zu seiner Hälfte zur Begleichung der Erbschaftsteuer herangezogen werden. Dazu soll zuvor eine Bedürfnisprüfung gemacht werden.
"Das unternehmerische Vermögen muss zur Erbschaft- und Schenkungssteuer nicht herangezogen werden", sagte ein mit den Plänen vertrauter hochrangiger Regierungsvertreter. "Aber wir prüfen, ob der Begünstigte sie aus seinem privaten Vermögen bestreiten kann." Der Insider bestätigte: "Eine Verschonung bis zur Hälfte des nicht unternehmerischen Vermögens soll möglich sein."
Vertreter der Wirtschaft kritisieren Schäuble
Doch was im Finanzministerium positiv formuliert wird, ist in der Wirtschaft schon auf blankes Entsetzen gestoßen. So zeigte sich die Stiftung Familienunternehmen empört darüber, dass die Erben die Steuer aus ihrem Privatvermögen berappen sollen. "Wir hätten dann eine Doppelbesteuerung, weil das Privatvermögen ja schon einmal besteuert wurde", sagte Matthias Lefarth. Er ist bei der Stiftung verantwortlich für Steuer- und Finanzpolitik.
Schäuble will mit seinen Plänen einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes nachkommen, das die bisherige Regelung im Dezember 2014 verwarf. Die Karlsruher Richter hatten dem Gesetzgeber eine Frist bis zum 30. Juni 2016 für eine Neuregelung gesetzt. Lefarth kritisierte, die geplanten Änderungen hätten aus seiner Sicht nichts mit dem Versprechen des Finanzministers zu tun, das Recht nach dem Karlsruher Urteil nur minimalinvasiv anzupassen.
Auch der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) kritisierte Schäubles Vorschläge wegen vorhandener Risiken, Fehlanreizen und unverhältnismäßigen Belastungen. "Der Wert zur Abgrenzung von großen Unternehmen ist mit 20 Millionen Euro viel zu niedrig angesetzt", sagte DIHK-Präsident Eric Schweitzer der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Zudem sollte es nach Auffassung des DIHK keine Freigrenze, sondern einen Freibetrag geben. Der Unterschied: Bei einer Freigrenze muss die Steuer bei Überschreitung des Schwellenwertes für den gesamten Betrag gezahlt werden, bei einem Freibetrag dagegen nur für den darüber liegenden Teil. Auch berge es "erhebliche Risiken", wenn jedes Finanzamt feststellen solle, über welches nicht-produktive Vermögen ein Betrieb verfüge.
Kritik stößt im Finanzministerium auf taube Ohren
Schäubles Pläne waren am Montag den Fraktionsspitzen vorgestellt worden und sind daraufhin auch an die Wirtschaft durchgesickert. Nach den Berechnungen der Familienunternehmen fielen mit der angestrebten Regelung mehr als 10.000 Firmen in Deutschland unter die verschärften Vererbungsregeln. Die Stiftung sieht den Firmenwert von 20 Millionen Euro, der als Grenzwert für die Steuer eingezogen werden soll, bei einem Jahresumsatz von 38 Millionen Euro als gegeben an.
Der Regierungsvertreter reagierte mit Unverständnis auf die Kritik der Unternehmen. "Wir halten uns genau an das, was das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil ausgeführt hat", betonte er.
Die Karlsruher Richter hatten im Dezember 2014 die bisherige weitgehende Verschonung des Betriebsvermögens von der Erbschaftssteuer für verfassungswidrig erklärt und zielgenauere Regelungen verlangt. Die Privilegierung des Betriebsvermögens bei der Erbschaftsteuer sei in ihrer derzeitigen Ausgestaltung nicht in jeder Hinsicht mit der Verfassung vereinbar, urteilten die Karlsruher Richter.
Besonders störten sie sich daran, dass unternehmerische Vermögen unabhängig von ihrer Größe begünstigt werden. Die Privilegierung betrieblichen Vermögens sei unverhältnismäßig, soweit sie über den Bereich kleiner und mittlerer Unternehmen hinausgreife, ohne eine Bedürfnisprüfung vorzusehen.
Ausgerechnet die Opposition springt Schäuble bei
Schäuble nimmt mit seinem Vorschlag nun diesen Punkt auf und will einen Schwellenwert festsetzen, ab dem eine Prüfung vorgenommen werden muss. Es ist die wirtschaftsfreundlichere Lösung gegenüber einer ebenfalls möglichen Obergrenze, ab der die Verschonung gedeckelt worden wäre. Die Wirtschaft hat aber genau wie einige Länder einen deutlich höheren Schwellenwert verlangt. Die Rede ist von 100 Millionen Euro.
Aus dem Finanzministerium wurde die Grenze von 20 Millionen ausdrücklich verteidigt. Die Argumentation in Schäubles Haus: Nach den gängigen Statistiken erreichten überhaupt nur rund zwei Prozent der vererbten Unternehmen diese Wertschwelle. Setze man die Freigrenze deutlich höher an, würden sich die Karlsruher Richter mit ihrem diesbezüglichen Hinweis aber kaum ernstgenommen fühlen. "Wir gehen fest davon aus, dass auch das neue Recht zur Prüfung in Karlsruhe vorgelegt wird", sagte der Offizielle. "Ich möchte aber nicht einen neuen Auftrag zur Überprüfung bekommen."
In der Politik haben sich angesichts dieser Gemengelage nun schon seltene Allianzen gebildet. So sprang ausgerechnet die Opposition der Koalition von Union und SPD in dieser Frage bei - gegen die Wirtschaft und einige Länder.
"Je niedriger die Freigrenze, desto sicherer besteht die reformierte Erbschaftsteuer vor dem Verfassungsgericht", betonte die Grünen-Steuerexpertin Lisa Paus. "Wer seine Steuer zahlen kann, soll sie auch bezahlen." Freigrenzen von 100 Millionen Euro und mehr, wie sie die Wirtschaft fordert, bedeuteten faktisch, "dass Erben von millionenschweren Betriebsvermögen ohne weitere Prüfung der Gefährdung von Arbeitsplätzen pauschal steuerfrei sind".
Genauer Zeitplan steht noch gar nicht fest
Angesichts der herben Kritik ist allerdings noch völlig unklar, wie das weitere zeitliche Verfahren in diesem Fall konkret ablaufen kann. Denn erst einmal will Schäuble jetzt mit den Koalitionsfraktionen und den Ländern sprechen, bevor er überhaupt einen formellen Gesetzentwurf vorlegt. "Es gibt keinen genauen Zeitplan, weil wir nicht wissen, wie die Gespräche mit den Fraktionen und den Ländern verlaufen", räumte der Insider ein. "Gegenwärtig bewegen wir uns mit unseren Überlegungen in einem Stadium von Eckpunkten."
Das Finanzministerium strebt zwar ein Gesetzgebungsverfahren an, das rechtzeitig vor dem 30. Juni 2016 abgeschlossen ist - dem Datum, das das Verfassungsgericht zur Vorgabe machte. Doch kommen auch aus den Ländern, in deren Kassen letztlich die Steuer fließt, bisher wenige Signale der Zustimmung.
Einige von ihnen halten die Freigrenze ebenfalls für zu streng. Der Finanzminister Baden-Württembergs, Nils Schmid (SPD), hat sich nach einem Bericht der Stuttgarter Zeitung dafür ausgesprochen, 100 Millionen Euro als Maßstab zu nehmen. Sein hessischer Amtskollege Thomas Schäfer (CDU) schrieb in einem Beitrag für das Handelsblatt, die 20 Millionen Euro seien "viel zu niedrig". Ohne die Länder aber kann Schäuble das Gesetzgebungsverfahren nicht zum Abschluss bringen. Sie müssen der Änderung der Erbschaftsteuer im Bundesrat zustimmen.
Kontakt zum Autor: andreas.kissler@wsj.com
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February 25, 2015 10:59 ET (15:59 GMT)
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