
Von Richard Barley
Es ist die Sternstunde Europas: Der Stoxx Europe 600 notiert seit Jahresanfang 14,9 Prozent im Plus, der amerikanische S&P 500 hingegen 0,7 Prozent im Minus. Seit seinem Tiefpunkt im Oktober hat der europäische Index sogar 27 Prozent zugelegt. Die Kurve könnte jetzt abflachen, doch es gibt gute Gründe für Anleger, sich weiterhin an europäische Werte zu halten.
Europäische Aktien sind zwar nicht mehr ganz billig: Beim 16,1-Fachen der erwarteten Gewinne der nächsten zwölf Monate liegt der Index über seinem langfristigen Durchschnitt und hat fast zum amerikanischen Markt aufgeschlossen, der beim 17-Fachen dieser Kennzahl gehandelt wird.
Die Gründe für diesen Optimismus sind wohlbekannt: die quantitative Lockerung der Europäischen Zentralbank, die schwächere Währung und die niedrigeren Ölpreise. Daher dürften diese Faktoren auch längst eingepreist sein. Doch der Euro sinkt weiter und hat gerade ein Zwölfjahrestief zum Dollar erreicht. Das schmeichelt den Aktienkursen, doch selbst in Dollar gemessen entwickelt sich der Stoxx 600 besser als der S&P 500.
Es gibt noch mehr Anlass zum Optimismus in Europa. Die Eurozone scheint viele der Probleme abgeschüttelt zu haben, die die Entwicklung im vergangenen Jahr behindert haben. Das Verbrauchervertrauen wächst und stützt die Einzelhandelsumsätze - selbst in Deutschland, wo Verbraucher nicht gerade für ihre überbordende Zuversicht bekannt sind. Außerdem scheint die Bereitschaft zu steigen, Kredite zu vergeben und aufzunehmen. Ökonomen heben deswegen immer wieder ihre Wachstumsprognosen für 2015 an. Und obwohl der Optimismus schon mehr als einmal verfrüht kam, sieht die derzeitige Entwicklung deutlich nachhaltiger aus.
2015 könnte außerdem das Jahr sein, in dem europäische Unternehmensgewinne endlich wieder steigen, nachdem sie seit 2010 weitgehend stagnierten. Die niedrigeren Ölpreise und der schwache Euro tragen zu diesem günstigeren Szenario bei. Und die ultraniedrigen Anleiherenditen lassen Aktien nicht nur relativ günstig wirken, sie könnten auch die Firmengewinne stützen.
Das gilt vor allem für Firmen, die jetzt ihre Schulden neu finanzieren, die sie kurz vor oder am Höhepunkt der Krise aufnahmen, als die Renditen für hochwertige Anleihen über sieben Prozent stiegen. Anleihen aus dem Jahr 2009 waren im Vergleich zu den heutigen Kreditkosten relativ teuer. Neue Anleihen werden die Zinskosten deutlich verringern, sagen Strategen der Bank of America Merrill Lynch.
Vergangene Woche demonstrierte der Energiekonzern GDF Suez, wie günstig Firmen derzeit an Geld kommen: Die Firma gab zweijährige Anleihen zum Nullzins und 20-jährige Anleihen für nur 1,5 Prozent Zinsen aus.
Die Aktienmärkte werden in den kommenden Monaten sicher noch einige Hürden nehmen müssen. Griechenland ist und bleibt ein Risiko, obwohl das die Märkte nicht mehr so sehr zu kümmern scheint. Stattdessen steht die amerikanische Geldpolitik im Fokus. Wenn die Fed ihren Leitzins anhebt, dürfte auch die Volatilität steigen. Das könnte jedoch auch den Einbruch des Euros verstärken - diese Entwicklung wird von der amerikanischen mehr als von der europäischen Geldpolitik getrieben. In Europa dürften die Kreditkosten indes niedrig bleiben.
Letztendlich steht fest: Sollten europäische Aktien in der nächsten Zeit fallen, ist das für Anleger eine Kaufchance. Noch ist es zu früh, die Finger vom europäischen Markt zu lassen.
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March 11, 2015 12:42 ET (16:42 GMT)
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