
Von Andreas Kißler
BERLIN (Dow Jones)--Wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Montag im Kanzleramt den griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras empfängt, dann werden beide ganz besonders auf eine Verbesserung des Klimas zwischen Athen und Berlin hinarbeiten. Im Mittelpunkt ihres Treffens stehen natürlich die griechische Schuldenkrise und die Lösungsansätze für eine Rettung des Landes vor der drohenden Insolvenz. Aber um das zu erreichen, müssen Merkel und Tsipras erst einmal beginnen, wenigstens einen Teil des zerschlagenen Porzellans wieder zu kitten.
Tsipras kommt acht Wochen nach seinem Amtsantritt auf Einladung Merkels nach Berlin. Die Kanzlerin sprach diese lang erwartete Einladung erst kurzfristig vor einer Woche aus. Am Montagnachmittag wird der linksgerichtete griechische Premier nun im Bundeskanzleramt mit militärischen Ehren empfangen, wie es für den Antrittsbesuch eines Regierungschefs üblich ist.
Schon im Vorfeld kamen von beiden Seiten versöhnlichere Töne als zuletzt. So berichtete Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) nach einem Treffen mit seinem griechischen Amtskollegen Nikos Kotzias am Sonntagabend in Berlin über den Kurznachrichtendienst Twitter von einem "sehr angenehmen und fruchtbaren Gespräch bei einem guten Abendessen" und forderte vor Journalisten eine bessere Zusammenarbeit beider Länder. Kotzias signalisierte seinerseits in der Süddeutschen Zeitung einen Kompromiss im Streit um Reparationszahlungen.
SPD-Chef Sigmar Gabriel äußerte im "Bericht aus Berlin" in der ARD die Erwartung, "dass wir wirklich einen Neustart schaffen". Unions-Fraktionsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer (CDU) bekräftigte diese Linie am Montag und sagte im Deutschlandfunk, es sei gut, "wenn die Sprüche aufhören und die Taten beginnen". Mehrere Vertreter der Opposition forderten Merkel auf, zur Entspannung der Situation beizutragen.
Mit ihrer Einladung macht die deutsche Kanzlerin die Verhandlungen mit Griechenland über die Lösung der Schuldenkrise endgültig zur Chefsache zwischen Tsipras und sich. Denn zwischen den beiden Finanzministern Wolfgang Schäuble (CDU) und Yanis Varoufakis ist die Stimmung inzwischen so vergiftet, dass auf ihrer Ebene in der Sache kaum noch ein Vorankommen möglich erscheint.
Auch die Kanzlerin blieb in den vergangenen Tagen in der Diskussion um die Hilfen für Griechenland offiziell bei der kompromisslosen deutschen Haltung, Athen könne nur nach der Prüfung des abgeschlossenen Hilfsprogramms durch die Geldgeber-Institutionen und einem Beschluss der Eurogruppe weitere Mittel erhalten. "Wir halten vollumfänglich an der Vereinbarung der Eurogruppe vom 20. Februar fest", sagte Merkel am Freitag bei einer Pressekonferenz in Brüssel.
Doch zwischen den Zeilen klangen anders als bei Schäuble Kompromisslinien durch. Bei ihrer Pressekonferenz in Brüssel wich Merkel mehrfach und auffällig einer konkreten Antwort auf die Frage aus, ob eine teilweise Auszahlung von Mitteln an Athen bei Erfüllung einzelner Reformschritte möglich sei. Stattdessen verwies die Kanzlerin stets auf das vorgeschriebene Verfahren, das einzuhalten sei. Sie tut das oft, wenn sie sich eine Hintertür offen halten will.
Merkel erklärte, es könnten sehr wohl Gelder nach Griechenland fließen, wenn einige vorrangige Maßnahmen bereits parlamentarisch beschlossen seien, in den EU-Regularien sogenannte und von ihr auch bewusst so titulierte "prior actions". Merkel verwies damit einerseits auf ein auch gegenüber anderen Ländern angewandtes Verfahren, Geld erst auszuzahlen, wenn ein Teil der Maßnahmen bereits in trockenen Tüchern im Parlament sind. Doch sollte man diese Äußerung wohl auch als Fingerzeig verstehen, dass Merkel letztlich einer Teilauszahlung ihr Okay geben würde.
Hierüber, und über die Bedingungen, die Athen dafür erfüllen muss, werden Merkel und Tsipras am Montag sprechen. Den großen Knoten aber müssen sie in dieser Frage nicht mehr durchschlagen, seit sich der griechische Premier vergangene Woche bei dem bis in die Nacht dauernden Sondertreffen zur Griechenland-Krise in Brüssel zur Vorlage einer "vollständigen Liste spezifischer Reformen" verpflichtete. Dieses Versprechen muss ihm Merkel nun in Berlin nicht mehr abnehmen.
Stattdessen hat die CDU-Vorsitzende bereits einen Weg gewiesen, wie es am Montag gelingen soll, aus der bilateralen Eskalationsspirale auszubrechen: Es soll vor allem auch über die gut nachbarschaftliche Zusammenarbeit geredet werden - über eine Fortsetzung bilateraler Hilfen Deutschlands für die Kommunen, das Gesundheitssystem und die Verwaltung.
Die Kanzlerin und ihre Presseabteilung haben deshalb schon im Vorfeld versucht, die Bedeutung des Treffens für die Lösung der Krise herunterzuspielen. Weil Merkels Verhältnis zu Tsipras von persönlichen Anfeindungen noch unbelastet ist, soll der Besuch des Griechen im Kanzleramt vor allem einer "Vertiefung" des Kontaktes dienen. Beide wollen laut der Vize-Regierungssprecherin Christiane Wirtz nun "noch mehr miteinander reden, sich noch besser kennenlernen, und der Kontakt wird vertieft werden".
Merkel betonte, der Besuch sei ein bilateraler, so wie Tsipras ihn anderen europäischen Hauptstädten abgestattet habe. Und am Montag in Berlin sei es weder die richtige Zeit noch der geeignete Ort, um die Athener Reformliste entgegenzunehmen. Damit wirkte die deutsche Kanzlerin sehr bewusst dem drohenden Eindruck entgegen, die Verhandlungen seien nun eine Sache von Berlin und nicht mehr von Troika und Eurogruppe.
Denn schon die Siebener-Veranstaltung in Brüssel, bei der Merkel und der französische Ministerpräsident Francois Hollande Tsipras zusammen mit den Vertretern der EU-Institutionen ins Gebet nahmen, hat zu Murren bei anderen Ländern geführt. Der belgische Premier Charles Michel machte seinem Ärger überdeutlich Luft, und auch andere europäische Staatenlenker hatten offenbar die geballte Faust in der Tasche.
Ein Keil in Europa ist aber so ziemlich das Letzte, was Deutschland gebrauchen kann. Auch deshalb wird Merkels "Nebengipfel" mit Tsipras weniger dem Einschlagen weiterer Pflöcke in den Verhandlungen mit Athen dienen, als vor allem dem Zweck, das Klima zwischen beiden Seiten wieder etwas zu entgiften.
Das ist um so bitterer nötig, seit in der vergangenen Woche der Ton zwischen Berlin und Athen immer schärfer wurde. Nicht nur Schäuble und Varoufakis trugen mit ihren persönlichen Animositäten ihren Teil dazu bei. Auch die griechischen Drohungen mit Enteignung deutscher Immobilien und dem Weiterleiten von Flüchtlingen nach Deutschland entsetzten Berlin.
Tsipras wird diese Dinge am Montag klarrücken müssen. Doch er kann zugleich darauf hoffen, nach Gesprächen auf Augenhöhe mit der Kanzlerin zu Hause punkten zu können.
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March 23, 2015 03:45 ET (07:45 GMT)
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