1. Juli 2015. Nicht die Situation um Griechenland, sondern die Taktik, Buchverluste verbilligen zu wollen, treibt viele Anleger in Aktien - und den Markt in einen Bias.
Seit der vergangenen Stimmungsumfrage ist viel passiert. So hat das nicht enden wollende Griechenland-Drama die Finanzmärkte, aber auch die Kommentatoren ununterbrochen in Atem gehalten. Obgleich viele Akteure angeblich von der Schuldenkrise und dem ganzen damit verbundenen Hin und Her genug hatten, schlug sich beinahe jede Neuigkeit, jedes Hinausschieben von Fristen, Deadlines und Ultimaten zumindest kurzfristig am Aktienmarkt nieder.
Als dann die EU am Wochenende das Aus des Hilfsprogramms für Griechenland bekannt gab und kurz darauf dessen Premier Alexis Tsipras ein Referendum zu den geplanten Einsparungen ankündigte, befürchtete man bereits das Schlimmste für den DAX. Aber die mittelfristig orientierten institutionellen Investoren unseres Panels haben sich allen Befürchtungen zum Trotz ausgesprochen ruhig verhalten. Im Gegenteil: Bis zur heutigen Erhebung hat sich der Optimismus, den wir bereits in der Vorwoche beobachten konnten, noch einmal deutlich erhöht und mit einem Börse Frankfurt Sentiment-Index von +32 Punkten nach +19 Punkten in der Vorwoche einen Wert erreicht, der zuletzt Anfang Februar 2014 festgestellt worden war. Bemerkenswert dabei ist, dass die heutige Erhebung bereits beendet war, bevor Medienberichte kursierten, denen zufolge Alexis Tsipras angeblich doch noch die Reformforderungen der Gläubiger, wenn auch mit gewissen Abstrichen, angenommen haben soll - der DAX machte darauf immerhin einen S
Die vielerorts befürchtete große Verkaufspanik ist also bislang ausgeblieben. Auf den ersten Blick könnte man sogar vermuten, dass die Investoren womöglich insgeheim immer noch auf einen irgendwie gearteten Kompromiss im hellenischen Drama gesetzt haben. Denn bislang meinte man immer noch einen winzigen Lichtblick zu entdecken, ein Zweckoptimismus, der sich wohl vor allen Dingen dem bisher ausgesprochen hohen Einsatz der Gläubiger Griechenlands verdankt: All' diese Kosten und Mühen sollten doch nicht umsonst gewesen sein.
Auf den zweiten Blick lassen die überwiegend optimistische Einstellung der Investoren und die damit verbundenen Long-Engagements in den vergangenen fünf Wochen den Schluss zu, dass diese Positionen zuletzt unter Wasser gelegen haben müssen und zwischenzeitlich zu den günstigeren Kursen sogar erhöht wurden. Im Händlerjargon spricht man auch von "Verbilligen" oder "Hinzumischen".
Unerschrockene Privatanleger
Diese Tendenz ist auch bei den Privatanlegern erkennbar, deren Stimmung sich ebenfalls, wenn auch nicht so stark wie bei den institutionellen Investoren, deutlich verbessert hat. Dies spiegelt sich in einem Börse Frankfurt Sentiment-Index von nunmehr +25 Punkten nach zuletzt +18 Punkten wider, wobei sich dieser Zuwachs vor allem aus denjenigen Marktteilnehmern speist, die sich zuletzt abwartend an der Seitenlinie, also im neutralen Lager, aufgehalten haben.
Während der DAX also zum Zeitpunkt der Erhebung im Wochenvergleich 4,5 Prozent an Wert verloren hat, haben sich gleichzeitig die Engagements der Bullen noch einmal deutlich erhöht. Deshalb können wir nunmehr von einer veritablen Wahrnehmungsverzerrung, einem so genannten Bias, ausgehen, der, insofern sich der DAX stärker als bisher erholen sollte, eine nicht unerhebliche Belastung für diesen darstellen könnte. Abgabedruck dürfte sich daher besonders im Bereich von 11.400/500 DAX-Zählern bemerkbar machen, wo wir die durchschnittlichen Einstandspreise der Optimisten vermuten. Das Gleiche gilt auch im Falle einer deutlichen Abwärtsbewegung. Insbesondere nach einem klaren Unterlaufen der bisherigen Korrekturtiefs von rund 10.800 DAX Zählern müsste die eine oder andere Notbremse wohl gezogen werden.
von Joachim Goldberg, Goldberg & Goldberg für boerse-frankfurt.de
© 1. Juli 2015
[1] Der Börse Frankfurt Sentiment-Index bewegt sich zwischen -100 (totaler Pessimismus) und +100 (totaler Optimismus), der Übergang von positiven in negative Werte markiert die neutrale Linie. Die Werte des früheren Cognitrend Bull/Bear-Index sind auf die neue Skalierung umgerechnet worden.
(Für den Inhalt der Kolumne ist allein Deutsche Börse AG verantwortlich. Die Beiträge sind keine Aufforderung zum Kauf und Verkauf von Wertpapieren oder anderen Vermögenswerten.)
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