Von Stefan Lange
BERLIN (Dow Jones)--Auf die privaten Betreiber kommen für den Abriss der Atomkraftwerke in Deutschland offenbar weitaus mehr Kosten zu als bislang geplant. Allein die Endlagerung abgebrannter Brennelemente und radioaktiver Abfälle in Deutschland wird Steuerzahler und Betreiber mindestens 22,6 Milliarden Euro kosten. Die Summe ergibt sich aus dem Nationalen Entsorgungsprogramm (NaPro), das Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) am Mittwoch in Berlin vorstellte. Für die Stilllegung und Entsorgung der AKW im Zuständigkeitsbereich der privaten Betreiber werden in dem Bericht weitere 34 Milliarden Euro veranschlagt.
Zwar sind die Endlagerkosten teilweise komplett vom Steuerzahler zu finanzieren, sie werden also nicht in Gänze auf die Konzerne abgewälzt. Doch schon jetzt ist klar, dass die bisher gebildeten Rückstellungen von rund 38 Milliarden Euro der Unternehmen nicht ausreichen können.
Allein Konrad kostet 7,5 Milliarden Euro
Hendricks nannte das Programm eine "Grundlage für eine offene und ehrliche Debatte" über die Entsorgung atomarer Abfälle. Der Bericht war zuvor vom Kabinett gebilligt worden, Deutschland erfüllt damit eine Richtlinie der Europäischen Union. Die darin genannten Kosten geben lediglich Schätzungen wieder, gleichwohl werden sie die Debatte über die finanzielle Verantwortung der großen Betreiber E.ON, RWE, Vattenfall und EnBW weiter befeuern.
Ende 2022 müssen die letzten deutschen AKW vom Netz gegangen sein, die Konzerne müssen ihre Kernkraftwerke abreißen und den strahlenden Müll sicher lagern. Für das Endlager Konrad fallen dabei dem Bericht zufolge Gesamtkosten in Höhe von 7,5 Milliarden Euro an. "Die Gesamtkosten werden verursachergerecht aufgeteilt", heißt es in dem Bericht. Wie groß der Anteil für die Wirtschaft ist, steht damit noch nicht fest.
Die Kosten für die Endlagerung der aus der Schachtanlage Asse II zurückgeholten Atomabfälle schätzt der Bund auf 5 Milliarden Euro. Dieses Geld muss allein der Steuerzahler aufbringen. Beim Endlager Morsleben fallen den Schätzungen zufolge Gesamtkosten von 2,4 Milliarden Euro an, die ebenfalls vom Bund zu tragen sind.
Mindestens 7,7 Milliarden Euro für hochradioaktiven Müll
Während Asse II, Morsleben und Konrad zur Aufnahme von schwach- und mittelradioaktiven Abfällen bestimmt sind, fehlt in Deutschland immer noch ein Standort zur Endlagerung hochradioaktiven Mülls. Das Umweltministerium will dazu keine Kostenschätzung abgeben, verweist aber auf eine Schätzung der privaten Betreiber, die auf einer Preisbasis von 2012 fußt. Hier werden 7,7 Milliarden Euro angesetzt, die - wie beim Endlager Konrad - nach dem Verursacherprinzip zwischen Bund und Unternehmen aufgeteilt werden sollen.
Die Kosten dürften jedoch in Wahrheit sehr viel höher liegen. Dafür gibt es neben der veralteten Preisbasis einen weiteren Grund: Der neue Standort soll nach Überlegungen der Bundesregierung eventuell auch schwach- und mittelradioaktiven Abfall aufnehmen, der nicht mehr in die anderen Lager passt. Dies würde die Anforderungen an einen solchen Standort, der im Rahmen der Endlager-Suche gerade ermittelt wird, gewaltig erhöhen und den Preis in die Höhe treiben.
Streitfall Haftung
Die Zahlen machen insgesamt deutlich, dass auf die Betreiber der Atomkraftwerke deutlich höhere Kosten zukommen werden als geplant. Bisher haben die vier Versorger rund 38 Milliarden Euro als Reserven gebildet. Schätzungen von Wirtschaftsinstituten gehen aber von 50 bis 70 Milliarden Euro aus, die benötigt werden. Auch die Zahlen des NaPro legen eine solche Summe nahe.
Der Sprecher von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD), Tobias Dünow, machte den Konzernen am Mittwoch keine Hoffnung, dass sie aus der Verantwortung herauskommen. "Die Rechtslage ist klar: Selbstverständlich sind die Atomkonzerne dafür verantwortlich, den Rückbau und die Entsorgung der Atomkraftwerke zu finanzieren", sagte er und ergänzte, das Ministerium sei "sehr daran interessiert, eine rechtliche Unklarheit zu beseitigen", die sich auf "gesellschaftsrechtliche Veränderungen" bei den Energieversorgern beziehe.
Hinter den verschwurbelten Worten des Sprechers verbirgt sich gewaltiges Konfliktpotenzial. Die Bundesregierung arbeitet gerade daran, die Fünfjahresfrist bei der Haftung eines Mutterkonzerns aufzuheben. Damit soll verhindert werden, dass die großen Konzerne ihre Atomsparten in Tochtergesellschaften ausgliedern und nach fünf Jahren aus der Haftung entlassen sind.
Gesetzentwurf im Herbst
Die Betreiber kritisieren diese Regelung. So machte E.ON-Chef Johannes Teyssen am Mittwoch in Düsseldorf deutlich, dass er solche Pläne für verfassungsrechtlich bedenklich hält.
Doch die Konzerne werden die Kröte wohl schlucken müssen, und zwar noch in diesem Jahr. Umweltministerin Hendricks betonte in Berlin, die Bundesregierung sei verpflichtet dafür zu sorgen, "dass die bei den AKW-Betreibern gebildeten Rückstellungen dann zur Verfügung stehen, wenn sie auch gebraucht werden". Das bedeute, "dass wir natürlich notwendige Sicherungen einziehen müssen, um eben einen Haftungsausschluss zu verhindern". Deswegen werde die Bundesregierung "noch in diesem Herbst einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen".
(Mitarbeit: Jenny Busche)
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August 12, 2015 09:22 ET (13:22 GMT)
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