Von Stefan Lange
BERLIN (Dow Jones)--Es ist ein eher ungewöhnliches Treffen, das am Sonntag in Brüssel stattfindet. Alle 28 EU-Mitgliedstaaten setzen sich mit der Türkei zusammen, um über die Lösung der Flüchtlingsfrage zu sprechen. Ungewöhnlich ist zum einen das umfangreiche Format bei diesem sogenannten Drittstaaten-Gipfel.
Ungewöhnlich ist die am Sonntagnachmittag beginnende Konferenz aber vor allem deshalb, weil die Türkei bislang einen eher ungeliebten Beitrittskandidaten darstellte. Doch die EU hat angesichts der Flüchtlingskrise einige Erwartungen an die Regierung in Ankara. Um diese durchzusetzen, muss sie Zugeständnisse machen, die die Türkei politisch sehr eng an die Europäische Union binden werden. Hier eine Übersicht über die Dinge, die am Sonntag wichtig sind:
- Warum die Türkei?
Die Türkei hat bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise eine Schlüsselrolle inne. "Die meisten Flüchtlinge kommen derzeit über die Türkei nach Europa", hieß es am Freitag aus Regierungskreisen in Berlin. Man habe deshalb beschlossen, "die Zusammenarbeit mit der Türkei auf eine neue Basis zu stellen".
- Gemeinsamer Aktionsplan
"Wir erwarten, dass die versammelten Regierungschefs am Sonntag den Aktionsplan annehmen und in Kraft setzen im Rahmen eines Statements", hieß es am Freitag in Regierungskreisen. Der Aktionsplan - der bereits im Internet veröffentlicht ist - beschreibt in detaillierter Form die Pflichten beider Seiten. Es geht darin um rechtliche wie praktische Fragen bei der Bewältigung der Flüchtlingsströme. Die Verhandlungen über eine Gipfelerklärung, in die der Aktionsplan dann eingebettet ist, liefen noch am Freitag auf Hochtouren, sie sollten vor Beginn des Gipfels zum Abschluss gebracht werden.
- Was soll sich ändern?
Mehr als zwei Millionen Flüchtlinge halten sich offiziellen Angaben zufolge in der Türkei auf. Die meisten leben in den Dörfern und Städten, weniger als 300.000 sind in Flüchtlingsunterkünften untergebracht. Nicht nur die Situation dieser Menschen soll verbessert werden. Zu den Vereinbarungen mit der Türkei gehört auch ein verbesserter Küstenschutz, die Bekämpfung der illegalen Schleuserbanden, eine verbesserte Seenotrettung aber auch eine verstärkte Rückführung von Flüchtlingen, die keinen Anspruch auf Asyl haben.
- 3 Milliarden für die Regierung Erdogan
Die Regierung von Recep Tayyip Erdogan kann sich auf drei Milliarden Euro aus EU-Töpfen freuen. Das Geld soll ab Januar bereitstehen, vor allem, um das "tägliche Leben und die sozioökonomischen Bedingungen für Syrer, die Zuflucht in der Türkei suchen, zu verbessern". Wie genau das Geld aufgebracht wird, steht noch nicht fest. Medienberichte über eine einseitige Belastung der Osteuropäer sind allerdings falsch. Die drei Milliarden sollen nach dem üblichen Haushaltsschlüssel auf die EU-Mitglieder umgelegt werden. Was bedeutet, dass Deutschland zu den Hauptzahlern gehört.
- Was bekommt die Türkei noch?
In deutschen Regierungskreisen wird ein "großes Interesse der Türkei an einer Revitalisierung der Beziehungen zur EU" beobachtet. Mit anderen Worten: Die Türkei wünscht sich schnellere Beitrittsverhandlungen. Zur "Dynamisierung" des Prozesses kommt die EU der Türkei entgegen. Kapitel 17 des Beitrittskatalogs werde "voraussichtlich noch im Dezember geöffnet", erklärte ein hoher Regierungsbeamter in Berlin. Außerdem soll der Visa-Liberalisierungsprozess beschleunigt werden. Die Kommission will dazu bereits im Frühjahr einen Sachstands-Bericht vorlegen, im Herbst 2016 werde man sehen, ob die Kommission den Mitgliedern eine Liberalisierung empfehlen könne, hieß es in Berlin. Ankara wartet schon seit Jahren darauf, dass türkische Bürger visafrei in den Schengen-Raum einreisen dürfen.
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November 27, 2015 08:59 ET (13:59 GMT)
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