WIESBADEN (dpa-AFX) - In Deutschland hat sich die Inflation trotz unveränderter Energiepreise überraschend erhöht. Die Verbraucherpreise seien im Juni im Vergleich zum Vorjahresmonat um 1,6 Prozent gestiegen, teilte das Statistische Bundesamt am Donnerstag nach einer ersten Schätzung mit. Volkswirte hatten stattdessen im Mittel mit einer Abschwächung der Teuerungsrate von 1,5 Prozent im Mai auf 1,4 Prozent gerechnet.
"Die Rate ist höher als erwartet. Und das vor dem Hintergrund sinkender Ölpreise", kommentiert Uwe Burkert, Chefvolkswirt bei der Landesbank Baden-Württemberg. Der Ölmarkt ist seit Ende Mai deutlich unter Druck geraten. Anders als in den vorangegangenen Monaten blieb im Juni das Niveau der Energiepreise im Vergleich zum Vorjahresmonat unverändert und trug somit nicht mehr positiv zur Teuerung bei.
PREISE FÜR NAHRUNGSMITTEL UND MIETEN GESTIEGEN
Besonders stark legten stattdessen die Preise für Nahrungsmittel zu - mit einem Anstieg um 2,8 Prozent. In diesem Bereich seien Zuwächse bei der Inflation aber im allgemeinen nur temporär, so Burkert. Das Niveau der Mieten stieg um 1,8 Prozent.
Die Europäische Zentralbank (EZB) strebt für den gesamten Euroraum eine Inflation von knapp zwei Prozent an, bei der sie Preisstabilität als gewährleistet ansieht. EZB-Präsident Mario Draghi hat sich am Dienstag in einer Rede zuversichtlich zur Wirtschaft und zur Inflation im Euroraum gezeigt. Dies lässt nach Einschätzung vieler Anleger auf eine baldige Abkehr von der lockeren Geldpolitik schließen - eine Einschätzung, die durch die robusten Zahlen aus Deutschland tendenziell noch mehr Anhänger bekommen dürfte. Der Euro legte seit Draghis-Rede kräftig zu und stieg im Verhältnis zum US-Dollar um über zwei Prozent auf den höchsten Stand seit Mai 2016.
EXPERTE: INFLATION WIRD IN KOMMENDEN MONATEN SINKEN
Aufgrund der zuletzt gesunkenen Ölpreise und des gestärkten Euro sei aber in den kommenden Monaten mit einer sinkenden Inflation zu rechnen, meint Carsten Brzeski, Chefvolkswirt bei der Bank Ing Diba. Die Zahlen vom Donnerstag bestätigen Brzeski zufolge trotz des leichten Anstiegs den Eindruck, dass es der EZB trotz einer robusten Wirtschaft nicht gelinge, die Teuerungsrate deutlich anzuheben. Die relativ niedrige Inflation werde die Notenbanker aber nicht daran hindern, im kommenden Jahr mit der Reduzierung ihrer monatlichen Anleihekäufe zu beginnen.
Im Monatsvergleich stiegen die deutschen Verbraucherpreise den Statistikern zufolge im Juni um 0,2 Prozent. Hier hatten Experten stattdessen eine Stagnation erwartet, nachdem die Preise im Mai rückläufig gewesen waren.
ZAHLEN ZUR EURORAUM-INFLATION AM FREITAG
Bei dem für europäische Vergleichszwecke harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) meldete das Bundesamt für Juni einen Anstieg um 1,5 Prozent im Jahresvergleich sowie einen Anstieg um 0,2 Prozent im Monatsvergleich. Auch hier wurden die Erwartungen übertroffen. Der HVPI ist für die Geldpolitik der EZB relevant. Die endgültigen Zahlen zur Inflation werden die Statistiker in ihrer zweiten Schätzung am 13. Juli veröffentlichen.
An diesem Freitag werden zudem die Juni-Inflationszahlen für den gesamten Euroraum veröffentlicht. Ulrich Wortberg, Experte bei der Landesbank Helaba, rechnet nach den stärker als erwarteten Zahlen aus Deutschland auch bezogen auf die Euro-Inflation nicht mit einer Enttäuschung. "Sollte zudem die Kerninflationsrate zulegen, dürften sich die forcierten EZB-Spekulationen wohl kaum zurückbilden", so Wortberg. Bei der Kerninflation werden die schwankungsanfälligen Preise für Nahrungs- und Genussmittel sowie für Energie ausgeklammert./tos/bgf/mis
AXC0200 2017-06-29/14:58