LAXENBURG (dpa-AFX) - Nach einer neuen statistischen Analyse wird die deutsche Bevölkerung bis zum Jahr 2043 älter und dann wieder jünger. Das sogenannte Medianalter, das die Bevölkerung in eine jüngere und eine ältere Hälfte teilt, liegt den Berechnungen zufolge 2043 bei 46,5 Jahren, schreiben Warren Sanderson vom Internationalen Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA) im österreichischen Laxenburg und Kollegen im Fachmagazin "PLOS ONE". Nach früheren Prognosen mit einer anderen mathematischen Herangehensweise wird dieses Maximum später erreicht.
Sanderson und seinem Team zufolge soll das Medianalter bis 2098 dann auf 40,1 Jahre sinken. Das Medianalter wird von Statistikern gerne genutzt, um das Altern einer Gesellschaft zu beschreiben. Andreas Mergenthaler vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB), der nicht an der Studie beteiligt war, hält den Ansatz von Sanderson für innovativ und die Ergebnisse für interessant, sieht aber auch Einschränkungen.
Die "13. Koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung" des Statistischen Bundesamtes aus dem Jahr 2015 kommt zu einem anderen Ergebnis als Sanderson und sein Team. Es zeigt für das Medianalter vier verschiedene Entwicklungsmöglichkeiten auf, wobei das jeweilige Maximum zwischen 2047 und 2055 liegt. Die Umkehr der Altersentwicklung liegt Experten zufolge auch daran, dass Menschen der geburtenstarken Jahrgänge aus den 1960er Jahren sterben und somit aus der Statistik fallen. Die Entwicklung der Bevölkerungsstruktur kann weitreichende Folgen haben, zum Beispiel auf dem Arbeitsmarkt oder im Gesundheitswesen.
Die neue Studie verwendet einen anderen Ansatz als bisherige Prognosen zur Bevölkerungsentwicklung. So bezieht sie sich auf Wahrscheinlichkeitsprognosen der Vereinten Nationen (UN), die auch an der Untersuchung beteiligt waren. Zudem fließt in die komplexen Berechnungen eine neue Altersdefinition ein. "Beide demografischen Techniken sind relativ neu und gemeinsam geben sie uns ein ganz anderes und nuancierteres Bild davon, wie die Zukunft des Alterns aussehen könnte", wird Sanderson in einer Mitteilung der IIASA zitiert.
Üblicherweise gelten Menschen ab einem Alter von 65 Jahren statistisch gesehen als alt. Allerdings steigt in vielen Ländern seit Jahrzehnten die Lebenserwartung an. Deshalb haben Sanderson und Kollegen diejenigen als alt definiert, die in ihrem Land noch eine durchschnittliche Lebenserwartung von 15 Jahren oder weniger haben. Nach dieser Vorgabe galten 2013 Frauen und Männer in Deutschland als alt, wenn sie ein Alter von mindestens 72 Jahren erreicht hatten. Bis zum Jahr 2098 soll diese Altersgrenze aufgrund der steigenden Lebenserwartung auf 79 Jahre ansteigen.
Die Studie von Sanderson und seinem Team vergleicht die Berechnungen für Deutschland mit den Prognosen für China, dem Iran und den USA. Demnach wird der Spitzenwert für das Medianalter in den USA bereits 2038 erreicht. In China, das lange das Bevölkerungswachstum durch eine Ein-Kind-Politik gebremst hat, wird die Trendwende etwa 2048 einsetzen. Im Iran, das in den 1980er-Jahren einen starken Geburtenrückgang zu verzeichnen hatte, soll das Maximum des Medianalters erst 2073 erreicht werden.
Tim Riffe vom Max-Plack-Institut für demografische Forschung in Rostock, der nicht an der Studie beteiligt war, hält die Annahmen der Forscher für realistisch. Andreas Mergenthaler vom BiB weist auf einige Einschränkungen der Untersuchung hin: Sie gehe von einer relativ konstant steigenden Lebenserwartung bis 2098 in den untersuchten Ländern aus. Überhaupt sei eine Prognose für einen solch langen Zeitraum mit Unsicherheiten behaftet.
Auch werde die Altersstruktur der einzelnen Länder, Unterschiede zwischen Frauen und Männern oder zwischen Stadt- und Landbevölkerung nicht berücksichtigt. "Innerhalb der Modellannahmen sind die Berechnungen plausibel", sagt Mergenthaler. Jedoch könnten politische Umbrüche oder starke Zuwanderungen die Entwicklungen stark verändern./fm/DP/zb
AXC0102 2017-06-23/12:20