WASHINGTON (dpa-AFX) - Im US-Senat läuft alles auf eine Entscheidung über eine Neufassung der Krankenversicherung an diesem Freitag zu. Mit aller Macht versuchte die Führung der Republikaner am Donnerstag (Ortszeit), einen Kompromissentwurf zur Abstimmung zu bringen. Nach letzten Stimmen aus den verschiedenen Lagern der Partei war aber alles offen und möglich: Ob es zu einer Abstimmung kommen würde, worüber abgestimmt werden soll, wie die Abstimmung ausgehen würde und was danach geschehen wird.
Ursprüngliches Ziel der Republikaner ist die seit sieben Jahren vehement ausgegebene Losung, "Obamacare" abzuschaffen und zu ersetzen. Einen kompromissfähigen eigenen Plan entwickelte die Partei in dieser Zeit nicht. Die reine Abschaffung scheiterte in dieser Woche bereits im Senat, die Republikaner können sich dort höchstens zwei Abweichler leisten. Bei einem Gleichstand von 50:50 entscheidet Vizepräsident Mike Pence.
Im Verlauf des Donnerstag gewann eine Fassung an Zustimmung, die "Skinny Repeal" genannt wird, etwa "Abschaffung in Teilen". Sie hätte zum Ziel, Teile der von Präsident Barack Obama ins Werk gesetzten Krankenversicherung abzuschaffen, sie aber mitnichten zu beseitigen. Allerdings wäre sie auch nicht "skinny", also mager, sondern sehr weitreichend.
Das vermutlich bis weit in die Washingtoner Nacht reichende Verfahren im Senat wird "vote-a-rama" genannt, eine Vielzahl von Abstimmungen, Zusätzen und Einzelentscheidungen. Konkret sollten mit der Abstimmung über "Obamacare" auch andere Themen verbunden werden, mit denen die Zustimmung Einzelner erreicht werden sollte.
Ziel der republikanischen Parteiführung war, nach quälend langer Debatte über "Obamacare" eine Art Container-Gesetz durchzudrücken: In den Rahmen eines erst einmal verabschiedeten Gesetzes hinein könnte dann eine neue Gesundheitsgesetzgebung aufgebaut werden, und zwar gemeinsam mit dem Repräsentantenhaus in der so genannten "Conference".
Da ein verabschiedetes Gesetz also nicht sofort geltendes Recht würde, sondern weiteren Verhandlungsspielraum böte, sah dieser Weg nach einem gangbaren Kompromiss aus.
Im Verlauf des Donnerstag aber nährte eine Mitteilung aus dem Repräsentantenhaus starke Zweifel an der Tragfestigkeit dieser Brücke. Mehrheitsführer Kevin McCarthy rief das Haus dazu auf, für die nächsten Tage bis einschließlich Dienstag wenig zu planen. Eigentlich wollten die Abgeordneten am Freitag in die Sommerpause gehen.
Damit dürfte sich das Repräsentantenhaus darauf vorbereiten, unter der so genannten "Same day authority" - auch "Kriegsrecht" genannt, "martial law" - eben doch rasch über die Senatsvorlage abzustimmen. Die gemeinsame Beratung mit dem Senat würde so umgangen werden.
Das wiederum erschwerte für Republikaner im Senat umgehend jeden Kompromiss als "Abschaffung in Teilen", hatten doch Moderate wie Rechtskonservative zu befürchten, dass eine inhaltlich halbherzige Senatslösung rasch geltendes Recht würde. Das wollten sie mit dem gewählten Verfahren unbedingt vermeiden.
In einer bemerkenswerten Pressekonferenz erklärten vier republikanische Senatoren am Abend, sie würden "Skinny Repeal" nicht zustimmen, solange sie keine Garentie hätten, dass diese Fassung nicht zum Gesetz gemacht werde. Es sei immer nur als Vehikel gedacht gewesen, erklärten Lindsey Graham und John McCain. "Ich werde keinesfalls für ein Gesetz stimmen, das überhaupt keinen Ersatz von Obamacare darstellt", sagte Lindsey Graham. "Das war auch nie so gemeint. Das "skinny bill" ist ein Desaster, es ist ein Betrug."
Die Demokraten beklagten in einer Vielzahl von Äußerungen mangelnde Transparenz und ein zutiefst undemokratisches Gebaren, dabei gehe es um das Schicksal von Millionen. Der aktuelle Druck auf die Republikaner erklärt sich auch dadurch, dass sie den bisherigen Verlauf der Gesetzgebung fast vollständig hinter verschlossenen Türen organisiert haben. Mit dem Licht der Öffentlichkeit wachsen nun Kritik und Proteste.
"Skinny Repeal", die Abschaffung in Teilen, ließe große Teile von "Obamacare" bestehen, würde aber mindestens zwei Punkte gravierend ändern. Zum einen würde die Versicherungspflicht für weite Teile der Bevölkerung aufgehoben, zum anderen würde eine Art Strafsteuer für all jene wegfallen, die sich nicht versichern.
Kritiker sehen in der Folge der republikanischen Gesetzgebung 20 Millionen US-Amerikaner mehr ohne Versicherung dastehen. Außerdem könnten Versicherungsbeiträge extrem ansteigen, weil junge und gesunde US-Amerikaner auf eine Versicherung verzichten. Das gesamte Versicherungssystem könnte ins Wanken kommen.
Verlierer wären Arme, Alte, Behinderte und Menschen mit Vorerkrankungen. Sie wären auch diejenigen, die von gravierenden Einschnitten in "Medicaid" am meisten betroffen wären, einem Programm für sozial Bedürftige.
Parteiführung und Weißes Haus haben bisher alles getan, um einer neuen Gesundheitsgesetzgebung nicht den Stempel "Trumpcare" zu geben, war deren Erfolg doch auf Sicht zu unsicher. Ein großes Problem von "Obamacare" war immer, dass Medien und Gegner diesem eigentlich "Affordable Health Care Act" genannten Gesetz den Namen des von vielen Republikanern abgelehnten Präsidenten Barack Obama gegeben haben./ki/DP/zb
AXC0011 2017-07-28/05:40