"Das Vertrauen der Investoren in die Eurozone und die Fähigkeit des Währungsraumes, die eigenen Probleme lösen zu können, beflügelt den Euro", so Sintje Boie, Analystin der HSH Nordbank.
Parität beim Euro gegenüber dem US-Dollar in Sicht. So oder ähnlich lauteten die Schlagzeilen noch zum Jahreswechsel. Denn die Geldpolitik in den beiden Währungsräumen war einfach zu unterschiedlich. Während die Fed ihre Anleihekäufe beendet und einen Zinserhöhungspfad eingeschlagen hatte, kaufte die EZB Monat für Monat neue Anleihen auf und Zinserhöhungen lagen in der Eurozone noch in ferner Zukunft.
Doch auf einmal und fast ein bisschen unbemerkt hat sich der Wind gedreht. Das Währungspaar ist aus seiner lange geltenden Handelsspanne von rund 1,05 bis 1,15 US-Dollar ausgebrochen und notiert erstmals seit Anfang 2015 wieder oberhalb von 1,18 US-Dollar. Was hat sich geändert? Es gibt tatsächlich eine Reihe von Faktoren, bei denen eine Neueinschätzung erfolgt ist.
Zwar hat die Fed ihren Zinserhöhungszyklus fortgeführt und seit Ende 2015 die Leitzinsen vier Mal angehoben. Doch die Inflationsperspektiven zeigen nicht so nach oben, wie sich die Notenbank das vorstellt. Das spricht für eine langsamere Gangart bei weiteren Zinserhöhungen. Auch der anvisierte Bilanzabbau der Fed zeigt den Willen zu einer strafferen Geldpolitik. Dieser ist jedoch bislang nicht beschlossen worden; allenfalls im Herbst ist mit einem solchen Beschluss zu rechnen und die Umsetzung dessen wird vermutlich einige Jahre in Anspruch nehmen. Die geldpolitische Kehrtwende der US-Notenbank läuft vielleicht nicht in dem Tempo ab, den sich die Marktteilnehmer vorgestellt hatten. Nichtsdestotrotz steht der Kurs ganz im Gegensatz zur dem der EZB, die weiterhin Anleihen kauft und an deren Nullzinspolitik noch nicht gerüttelt wird. Allerdings hat auch die EZB eine vorsichtige Rückführung der Anleihekäufe in Aussicht gestellt und damit ein Signal für eine etwas weniger expansive Geldpolitik gesetzt.
Doch nur die Geldpolitik allein für den Anstieg des Währungspaares verantwortlich zu machen, greift zu kurz. Dafür sind die Kursanpassungen der Notenbank nicht umfassend genug. Richtiger ist wohl, die Euro-Aufwertung als Resultat eines ganzen Bündels an Einflussfaktoren zu sehen. Dazu gehören auch der Aufschwung in der Eurozone, der seit dem zweiten Quartal 2013 zu beobachten ist und allmählich an Breite gewinnt. Die politischen Risiken in der Eurozone haben sich zudem verringert, da die europafreundlichen Stimmen wieder mehr werden, zum Beispiel durch die von Emmanuel Macron gewonnene französische Präsidentschaftswahl. Das Vertrauen der Investoren in die Eurozone und die Fähigkeit des Währungsraumes, die eigenen Probleme lösen zu können, hat wieder zugenommen und beflügelt den Euro.
Gleichzeitig wird die Schwäche der neuen US-Regierung, an die große Erwartungen geknüpft waren, und der politische Stillstand in den USA immer offensichtlicher. Die von Donald Trump anvisierten Reformen - Infrastrukturprogramm, Steuer- und Gesundheitsreform - werden immer unwahrscheinlicher. Die Unklarheit darüber, wie die Zukunft der USA aussieht, nimmt zu, was den US-Dollar belastet. Die Regierungskrise könnte sich als der entscheidende Faktor für das Währungspaar erweisen. Eine Zuspitzung der Krise dürfte den Euro gegenüber dem US-Dollar über die Marke von 1,20 befördern.
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