STUTTGART (dpa-AFX) - Ex-Drogeriemarktchef Anton Schlecker kann im Stuttgarter Strafprozess neue Hoffnung schöpfen. Der Vorsitzende Richter am Landgericht deutete am Montag an, dass ein Großteil der Vorwürfe der Staatsanwaltschaft auf wackligen Füßen stehe. Die Ankläger werfen Schlecker unter anderem vorsätzlichen Bankrott vor. Ein Knackpunkt ist die Frage, wann genau Schlecker die Pleite drohte - laut Anklage war das Ende 2009. Nun sagte der Richter zur drohenden Zahlungsunfähigkeit aber: "Der Zeitpunkt, an dem wir uns das vorstellen könnten, wäre Anfang 2011."
Der Schlecker-Konzern meldete erst im Januar 2012 Insolvenz an, Zehntausende Beschäftigte wurden arbeitslos. Laut Anklage stellte Schlecker zu spät den Insolvenzantrag - sollte der Richter den Zeitpunkt der drohenden Zahlungsunfähigkeit auch im Urteil auf 2011 festlegen und nicht 2009, würde das Strafmaß bei einem Schuldspruch deutlich schrumpfen. Weiterhin möglich ist zudem ein Freispruch.
Der Richter las am Montag das Protokoll eines Gesprächs zwischen Gericht, Anklägern und Verteidigern vor - dadurch wurden die Überlegungen zum Pleitezeitpunkt öffentlich. Mitangeklagt sind die Schlecker-Kinder Lars und Meike, auch für sie dürften die Überlegungen des Richters entlastend sein.
In dem Verfahren war am Montagvormittag zudem eine frühere Chefin der Tochterfirma Schlecker XL in den Zeugenstand getreten. Ihrer Aussage zufolge hatte Anton Schlecker absolut keinen Widerspruch geduldet. Dies habe zu schlimmen Fehlentscheidungen geführt, die den Niedergang der Drogeriekette beschleunigt hätten. Direktoren - Führungskräfte direkt unter dem Konzernchef - hätten keinen Mumm gehabt, über Fehler zu informieren. "Die erzählten Schlecker, was er hören wollte."
Die Zeugin war bis 2010 im Konzern, zuletzt war sie für die Schlecker-XL-Märkte zuständig. Das Konzept für diese 2008 gestarteten, größeren Läden mit Hochglanz-Image sei gut gewesen, so die Zeugin. Dann jedoch seien Fehler gemacht worden. "Man hat den Pfad schnell verlassen und Läden aufgemacht, die schon unter dem alten Schlecker-Konzept katastrophal liefen." Sie selbst habe kaum Raum für Entscheidungen gehabt. So sei ihr aufgetragen worden, den Umsatz in einem Laden in einem 500-Seelen-Dorf nach der Umstellung auf das XL-Format zu vervierfachen. Das habe natürlich nicht geklappt. "Aus einem Ackergaul ein Rennpferd machen, das geht nicht."
Sie habe ihre Bedenken den Direktoren mitgeteilt, die aber nichts gemacht hätten. "Im Grunde hatte jeder Angst um seinen Posten - es ging schnell bei uns, wenn man ein falsches Wort gesagt hat." Im Oktober 2010 habe sie selbst Anton Schlecker auf Fehler aufmerksam gemacht, woraufhin sie ihren Posten räumen musste. Eine andere, formal sogar höhere Stelle in einer anderen Abteilung lehnte sie ab. Der Anwalt von Schlecker stellte die Glaubwürdigkeit der Zeugin in Frage, stieß damit beim Richter aber auf taube Ohren./wdw/DP/nas
AXC0261 2017-09-11/18:01