Von Hans Bentzien
FRANKFURT (Dow Jones)--Der Chief Rating Officer für Staatenratings von S&P Global (S&P), Moritz Kraemer, hält nach den deutschen Bundestagswahlen eine tiefere europäische Integration zunächst für unwahrscheinlich. Seiner Einschätzung nach wird sich die nun formierende Jamaika-Koalition aus CDU, FDP und Grünen andere Themen suchen, in denen ein Konsens gefunden werden kann - zum Beispiel den Ausbau der digitalen Infrastruktur und besser koordinierte Anstrengungen für alternative Fahrzeugantriebe. Mit Neuwahlen rechnet Kraemer nicht.
"Eine tiefere Integration oder eine nennenswerte Vergemeinschaftung von Budgets werden nicht auf der Tagesordnung stehen", sagte Kraemer. Viele der ambitionierteren Vorstellungen des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron dürften nicht goutiert werden. Das liege vor allem an der FDP, die im Vorfeld bei diesen Themen klare rote Linien gezogen habe. Zudem sei unklar, wie sich die stark geschwächte CDU/CSU, die 2019 Landtagswahlen vor sich habe, bei einigen Themen positionieren werde.
"Weder Euro-Bonds noch Esbies bekommen durch dieses Wahlergebnis zusätzliche Dynamik, unabhängig davon, wer das Bundesfinanzministerium leiten wird", prognostizierte Kraemer. Mit Blick auf Europa dürfte der Status Quo gewahrt bleiben, und auch bei der Finanz- und Wirtschaftspolitik werde es keine großen Veränderungen geben.
Der Länderrating-Chef von S&P Global erwartet, dass sich die nächste Bundesregierung Themen suchen wird, bei denen Kompromisse möglich sind. "Die wirklichen Chancen von Jamaika bestehen in einem stärkeren Fokus auf digitalem Ausbau und vielleicht auch darauf, eine etwa strategischere und koordiniertere Forschung zu alternativen Antrieben auf die Straße zu bringen", sagte Kraemer.
In Sachen Flüchtlingspolitik wird eine der Parteien laut Kraemer "eine Kröte schlucken müssen", vor allem, wenn die CSU mit Blick auf die Landtagswahlen erwägen sollte, das Thema einer Obergrenze für Flüchtlinge wiederzubeleben. "Das wäre für eine grüne Partei inakzeptabel, damit wird es keine Jamaika-Koalition geben", prognostiziert er. Kraemer geht davon aus, dass sich Grüne und FDP auf das von der FDP geforderte Immigrationsgesetz einigen werden können.
Neuwahlen oder eine CDU/CSU-Minderheitsregierung hält er für sehr unwahrscheinlich.
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September 25, 2017 08:57 ET (12:57 GMT)
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