
Von Andreas Kißler
BERLIN (Dow Jones)--Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat zurückhaltend auf den Ratschlag der fünf Wirtschaftsweisen reagiert, angesichts der guten Konjunkturlage eine Neujustierung der Wirtschaftspolitik mit strukturellen Reformen anzugehen. "Wir sind im Augenblick in einer relativ guten wirtschaftlichen Situation - das bedeutet nach Meinung der Sachverständigen immer, dass man gerade dies als Zeit nutzen sollte, um Strukturmaßnahmen zu machen", sagte Merkel bei der Entgegennahme des Jahresgutachtens der Wirtschaftsforscher im Kanzleramt.
"Politisch ist das nicht ganz so einfach, wie das wissenschaftlich einleuchtend ist", betonte sie aber. "Denn gerade in guten Zeiten ist auch der Wunsch nach Verteilung ein sehr dominanter." Die CDU-Vorsitzende verwies auf Diskussionen in den letzten Monaten im Wahlkampf. Dabei seien "viele Dinge zur Sprache gekommen, wo Menschen auch aus ihrer sozialen Perspektive heraus Erwartungen an den Staat haben".
Bei den laufenden Sondierungen über eine Jamaika-Koalition könne man die guten Ratschläge der Wirtschaftsweisen natürlich "besonders gut gebrauchen", hob Merkel aber hervor. Wie immer sähen die unterschiedlichen Parteien diese Ratschläge aber auch in unterschiedlicher Art und Weise. In jedem fall sei es aber "richtig, dass wir auf eine zukunftsorientierte Wirtschaftspolitik achten sollten", konstatierte die Kanzlerin.
Balance zwischen Kontinuität und Neujustierung
Die fünf Wirtschaftsweisen haben ihre Wachstumsprognosen für die deutsche Wirtschaft angehoben und von der kommenden Regierung angesichts der guten Lage eine "zukunftsorientierte Wirtschaftspolitik" verlangt. Das deutsche Bruttoinlandsprodukt werde dieses Jahr um 2,0 Prozent und kommendes um 2,2 Prozent zunehmen, sagen die Mitglieder des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR) voraus.
Die gute konjunkturelle Lage biete "der Bundesregierung in der nächsten Legislaturperiode die Chance, eine Balance zu finden zwischen Kontinuität und Neujustierung", meinte der SVR-Vorsitzende Christoph Schmidt bei der Übergabe des Gutachtens an Merkel. Der Sachverständigenrat sehe "einen wichtigen Anker einer nachhaltigen Wirtschaftspolitik in der Mischung aus finanzpolitischer Stabilität und einer Stärkung des Wachstumspotenzials".
Nach dem Gutachten der Ökonomen soll die neue Regierung fiskalische Spielräume wegen der guten Konjunktur für wachstumsfreundliche Reformen einsetzen. Die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte solle aber hohe Priorität haben. Die Wirtschaftsweisen plädieren zudem für eine Tarifreform der Einkommensteuer, um Mehreinnahmen aus der sogenannten kalten Progression zurückzugeben, und eine Abschaffung des Solidaritätszuschlages. Diese soll nach ihrem Dafürhalten aber "allmählich" erfolgen, damit der finanzpolitische Spielraum nicht überschritten wird.
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November 08, 2017 05:57 ET (10:57 GMT)
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