Nach turbulenten Tagen, die an die Eurokrise erinnerten, ist erst einmal etwas Ruhe eingekehrt an den Anleihemärkten. Die zuvor gefragten sicheren Häfen werden wieder abgestoßen.
1. Juni 2018. FRANKFURT (Börse Frankfurt). Die Regierungsbildung in Italien besänftigt die Gemüter an den Kapitalmärkten - zumindest vorerst. Nun wird doch die rechtsgerichtete Lega mit der linksgerichteten Fünf-Sterne-Bewegung eine Regierung bilden. Gut an kam, dass die Lega auf den Euro- und Deutschland-Gegner Paolo Savona als Wirtschaftsminister verzichtet. "Der nun designierte Giovanni Tria gilt nicht als Euro-Feind", erklärt Arthur Brunner von der ICF Bank. Generell begrüßt wird außerdem, dass es keine Neuwahlen geben wird. Aus denen wären die Populisten wohl nochmals gestärkt hervorgegangen.
Am Anleihemarkt herrscht daher am heutigen Freitag Erleichterung - nach einer Woche heftiger Schwankungen. Zuvor waren Erinnerungen an die Eurokrise wach geworden, der Renditeaufschlag für italienische Staatsanleihen stieg rasant an. Zehnjährige Papiere rentierten am Mittwoch in der Spitze mit über 3,10 Prozent. Zum Vergleich: Anfang Mai waren es noch 1,76 Prozent. Mit der Beruhigung am heutigen Freitag sind es wieder 2,62 Prozent. "Es war ein Vorgeschmack, auf das, was uns blühen könnte, wenn es zu keiner Stabilisierung in Italien kommt", kommentiert Brunner.
Starke Schwankungen bei Bundesanleihen
Die als sichere Häfen geltenden deutschen Bundesanleihen mit zehnjähriger Laufzeit rentierten in dieser Woche zwischenzeitlich nur noch mit 0,19 Prozent nach 0,64 Prozent Mitte Mai. Am Freitagmorgen sind es wieder 0,38 Prozent. Der Euro-Bund-Future notiert aktuell bei 161,20 Punkten nach 163,73 am Dienstag.
Auch die Renditen für andere südeuropäische Länder waren in dieser Woche nach oben geklettert, und das nicht nur wegen Italien. Aus Spanien kommen ebenfalls keine guten Nachrichten: Dort droht die Abwahl des Ministerpräsidenten Mariano Rajoy.
Weitere Risiken
"Italien bleibt Wackelkandidat. Die Eurokrise wird uns noch lange beschäftigen", meint Brunner. Er verweist auf die hohen Verbindlichkeiten des Landes innerhalb des Target-Systems für kurzfristige grenzüberschreitende Geldüberweisungen innerhalb der Währungsunion. Italien hat inzwischen Verbindlichkeiten von über 400 Milliarden Euro an dieses System aufgebaut, Deutschland hat Forderungen von mehr als 900 Milliarden Euro. Brunner zufolge hat die EZB außerdem versäumt, den "Fuß vom Gas zu nehmen". "Nun ist das Pulver verschossen."
"Zur Entwarnung besteht kein Anlass", meint auch der Chefvolkswirt der Commerzbank, Jörg Krämer. Die neue Regierung in Rom werde das Budgetdefizit deutlich erhöhen und damit auf Konfliktkurs zu Brüssel gehen. Das vergangene Woche vorgestellte Regierungsprogramm mit deutlichen Steuersenkungen, einer weitgehenden Rücknahme der letzten Rentenreform und einem Grundeinkommen für Arbeitslose gelte unverändert. "Letztlich dürfte es aber Italien wie Griechenland vor drei Jahren nicht wagen, die Währungsunion zu verlassen und dadurch ins wirtschaftliche Chaos abzurutschen."
Hohe Umsätze meldet Brunner in US-Staatsanleihen. "Wegen des Renditeaufschlags gegenüber europäischen Anleihen wurde gekauft, es kam aber auch zu Gewinnmitnahmen", stellt der Händler fest.
Überraschender Preisanstieg im Mai
Aufmerksamkeit erregt hat in dieser Woche auch die Mai-Inflationsrate im Euroraum: Wegen höherer Energiepreise ist sie deutlich stärker gestiegen als erwartet. Die Verbraucherpreise kletterten im Mai um 1,9 Prozent nach oben, im April waren es nur 1,2 Prozent. Doch auch die sogenannte Kerninflationsrate ohne Energie- und Lebensmittelpreise stieg von 0,7 Prozent im April auf 1,1 Prozent im Mai. "Insofern könnte die EZB den langsamen Kurswechsel einläuten", kommentiert Ralf Umlauf von der Helaba. Die Frage sei allerdings, ob die politischen Umstände dies opportun erscheinen ließen.
Übernächste Woche tagen US-Notenbank, EZB und Bank of Japan. Für die USA wird fest von einer nächsten Leitzinserhöhung ausgegangen, von EZB-Chef Mario Draghi werden Hinweise zum geplanten Ausstieg aus den EZB-Anleihekäufen erwartet.
Corporates: schwächere Bonitäten verkauft
Auch auf Unternehmensanleihen wirkte sich die Unruhe in dieser Woche aus. "Bei Corporate-Titeln trennte sich sprichwörtlich die Spreu vom Weizen", berichtet Marius Schad von der HSH Nordbank. Erstklassige Ratings blieben gefragt, speziell BBB-Titel gerieten zunehmend unter Druck. Brunner zufolge galt das auch für Hybridanleihen - wie immer bei schlechter Stimmung an den Märkten. "Da lassen sich Hybridanleihen nur mit großem Abschlag verkaufen."
Deutliche Abgaben meldet der Händler für Genussscheine des Seniorenheimbetreibers SeniVita (WKN A1XFUZ). "Wegen Verzögerungen beim Jahresabschluss soll es in diesem Jahr voraussichtlich keine Zinszahlung geben."
Interessante Neuemissionen fehlten in den vergangenen Tagen. "Als hätten die Emittenten geahnt, welche Volatilitäten es in dieser Woche an den Bondmärkten geben würde", kommentiert Klaus Stopp von der Baader Bank. Grund für die Emissionsflaute sei aber wohl die wegen der durch Feiertage in den USA, Großbritannien und Teilen Deutschlands verkürzte Handelswoche gewesen.
von: Anna-Maria Borse
1. Juni 2018, © Deutsche Börse AG
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