Dirk Schumacher erwartet, dass die EZB aller Wahrscheinlichkeit nach demnächst das Ende ihres Kaufprogrammes ankündigen wird. Ein starker Anstieg der Zinsen nach Ende der Käufe würde auch Aktienbewertungen in einem anderen Licht erscheinen lassen. Ein deutlicher Anstieg der Zinsen ist seiner Ansicht nach unwahrscheinlich, nicht zuletzt weil der große Bestand an Staatsanleihen auf der Bilanz der EZB und des Eurosystems dämpfen werde.
20. April 2018. FRANKFURT (Natixis). Vor etwas mehr als drei Jahren begann die Europäische Zentralbank (EZB) mit den Käufen von Staatsanleihen im Rahmen des sogenannten Public Sector Purchase Programme (PSPP). Die Rendite deutscher zehnjähriger Staatsanleihen befindet sich nach diesen drei Jahren mehr oder weniger auf demselben Niveau wie zu Beginn des Programmes von etwa 0,4 Prozent.
Hieraus lässt sich allerdings nicht schlussfolgern, dass die Käufe der EZB keinen Einfluss auf das Zinsniveau gehabt hätten (und im Umkehrschluss ein Ende des Programmes ebenfalls keine Auswirkungen haben wird). Zum einen ist im selben Zeitraum die deutsche Wirtschaft rasant gewachsen. Dies hätte normalerweise, selbst bei unveränderten geldpolitischen Zinsen, zu einem Zinsanstieg am "langen Ende" der Zinskurve geführt.
Darüber hinaus sind die Zinsen bereits in Antizipation vor dem offiziellen Start des Programmes gesunken. So gab Draghi bereits im Sommer 2015 auf einer Konferenz in den USA einen starken Hinweis auf das kommende Programm. Zu diesem Zeitpunkt betrugen die zehnjährigen Zinsen rund 1 Prozent und fielen um etwa einen halben Prozentpunkt in den folgenden Monaten. Etliche Studien haben diesen sogenannten "Ankündigungseffekt" nachweisen können. Eine ähnliche Entwicklung war auch bei den Zinsen in anderen Ländern der Eurozone, wenn auch auf einem anderen Niveau, zu beobachten.
Wenn also das Kaufprogramm zu einem Rückgang der Zinsen beigetragen hat, stellt sich offensichtlich die Frage, ob das Ende des Programms zu einem nachhaltigen Anstieg führen wird. Nicht zuletzt für Aktienbewertungen ist dies keine unerhebliche Frage. In einem einfachen Dividend-Discount Model zur Aktienbewertung ist der Zinssatz zur Abdiskontierung der zukünftigen Dividendenzahlungen eine entscheidende Größe. Je nach Spezifizierung des Models zeigt sich, dass der Anstieg europäischer Aktien über die letzten Jahren auch durch einen niedrigen Diskontierungsfaktor getrieben wurden.
Letztlich wird die Höhe des Zinsanstiegs nach dem Ende des Kaufprogrammes von der relativen Dominanz des "Bestand"- (stock) und "Fluss" (flow)-Effektes abhängen. Damit ist gemeint, dass die Höhe des Bestandes an Staatsanleihen, die auf der Bilanz der Zentralbank liegen, unabhängig von den monatlichen Nettokäufen, einen dämpfenden Effekt auf die Zinsen haben wird.
Die Erfahrungen in den USA in 2013 sprechen prima facie gegen einen signifikanten Bestandseffekt. Die Ankündigung der Federal Reserve, die Käufe zurückzufahren führte zu einem unmittelbaren rasanten Anstieg der Zinsen um mehr als 100 Basispunkte in den folgenden Wochen. Dieses sogenannte taper tantrum "schwappte" nach Europa hinüber und führte auch in Deutschland zu einem starken Anstieg der Zinsen.
Die Situation in der Eurozone ist allerdings nicht vergleichbar. So hat die EZB bereits die monatlichen Nettokäufe von 80 Milliarden auf 60 Milliarden und weiter auf mittlerweile 80 Milliarden reduziert, ohne dass es zu nennenswerten Bewegungen bei den Zinsen gekommen wäre. Da ein Ende der Käufe im Verlauf des Jahres mittlerweile allgemein erwartet wird, sollte ein Ende der Nettokäufe nur eine geringe Reaktion auslösen. Somit sollten auch die Aktienmärkte zumindest von der Geldpolitik keinen Gegenwind im weiteren Verlauf des Jahres bekommen - auch wenn der bisherige Rückenwind dann fehlen wird.
von Dirk Schumacher
© 20. April 2018 © Natixis
Über den Autor
Dirk Schumacher ist Managing Director und Senior Economist bei Natixis, einer international tätigen Investmentbank, die zu Groupe BPCE gehört, Frankreichs zweitgrößter Bank.
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