Oliver Fiechter, CEO ISG St. Gallen Von Helmuth Fuchs Moneycab: Herr Fiechter, im Dezember 2010 hat sich Abraxas mit 40 Prozent am von Ihnen 1998 gegründeten Unternehmen, dem heutigen ISG Institut St. Gallen beteiligt. Was bedeutet diese Beteiligung für die weitere Entwicklung des Institutes und wann wird Abraxas die Mehrheit übernehmen? Oliver Fiechter: Abraxas ist ein sehr solides und im Markt anerkanntes Unternehmen. Aufgrund ihrer staatlichen Besitzstrukturen operiert Abraxas sehr nachhaltig und wertorientiert. Zudem ist Abraxas ein strategischer ISG-Partner im Marktsegment der öffentlichen Unternehmen. Bereits vor der Beteiligung haben wir mit Abraxas kooperiert. Abraxas kannte demnach unsere Produkte, unsere Mitarbeitenden und hatte mit uns bereits erfolgreich Projekte realisiert. Das erschien mir ein optimaler Mix zu sein. Die Frage nach der Übernahme der Mehrheit am ISG stellt aktuell nicht. "Geld für sich allein genommen ist kein Wert. Die Bank der Zukunft wird sich nicht allein als Vermehrerin von Geld positionieren können." Oliver Fiechter, CEO ISG St. Gallen Die vom ISG entwickelte, durch Software gestützte, Methode erlaubt es im Wesentlichen, emotionale Einflussgrössen in Unternehmen zu identifizieren, darzustellen und zu steuern. Dazu fallen einem schnell viele mögliche Anwendungsgebiete ein, aber kaum die öffentliche Verwaltung und staatsnahe Betriebe, bei denen Abraxas den grossen Teil des Umsatzes erwirtschaftet. Wie passt diese Ausrichtung zu Ihrem Institut? Öffentliche Unternehmen sind prädestiniert für den Einsatz nutzenzentrierter Steuerungsansätze. Eine Verwaltung unterliegt per se dem Paradigma der Effektivität. Eine Verwaltung hat keine andere Legitimation, als das Schaffen von Nutzen für Bürger und alle Anspruchsgruppen. Sie operiert nicht gewinnorientiert und folgt nicht einer betriebswirtschaftlichen Logik. Emotionale Einflussgrössen beziehungsweise die Nutzenerwartung der Menschen in die Planung und Steuerung von Verwaltungsprozessen einzubeziehen, macht deshalb besonders viel Sinn. Meines Erachtens ist es falsch, veraltete und auf Effizienz fokussierte Ansätze aus der Privatwirtschaft auf die öffentliche Verwaltung übertragen zu wollen. Dies wurde in den letzten Jahren immer wieder versucht. Aber das System Verwaltung wehrt solche effizienzgetriebene Initiativen wie zum Beispiel das New Public Management als Fremdkörper ab. Viele Verwaltungen befinden sich in einem Transformations- und Changeprozess. Sie wollen sich vermehrt kundenfokussiert ausrichten. In diesem Prozess, von der Transaktion reiner Verwaltungsleistungen zu einer verbesserten Interaktion mit ihren Anspruchsgruppen, schafft das ISG für die Verwaltungen einen hohen Mehrwert. Ihrem Vorgehen zugrunde liegt die Annahme, dass sich ein grosser Teil der Gesellschaft in Richtung der Produktion immaterieller Güter entwickelt. In einer solchen Gesellschaft werden auch immaterielle Werte wie Kreativität, Innovation, neue Formen der Intelligenz (emotionale, soziale, kulturelle Intelligenz) und Emotionen eine hohe Bedeutung haben. Wieso scheitern gerade die meisten Banken, die durch ihre im Kern immateriellen Produkte hier eine Vorreiterrolle in der Gesellschaft spielen könnten, so fundamental in der Entwicklung und Belohnung dieser Werte? ‚Der Mann mit dem Hammer, sieht überall Nägel.' – Banken leiden sehr ausgeprägt an selektiver Wahrnehmung. Zwar boten und bieten Banken immaterielle Produkte an, ihre Denkweise war und ist jedoch immer noch sehr materiell. Banken haben sich seit jeher darauf spezialisiert, aus Geld Geld zu machen. In diesem Bereich waren sie zwar sehr kreativ und innovativ, die Finanzkrise hat jedoch gezeigt, dass die Sinndimension – ausserhalb der Erschaffung monetärer Werte – völlig ausgeblendet wurde. Emotionale, soziale und kulturelle Intelligenz waren nicht ernsthafte Aspekte des Selbstverständnisses. Ich bin überzeugt und weiss aus unseren Beratungsprojekten von diversen Beispielen, dass bei den Banken in dieser Hinsicht ein radikales Umdenken vonstatten gehen muss, wenn sie längerfristig ihre gesellschaftliche, politische und ökonomische Legitimation behalten und erfolgreich sein wollen. Geld für sich allein genommen ist kein Wert. Die Bank der Zukunft wird sich nicht allein als Vermehrerin von Geld positionieren können, denn weder kann sie sich damit von anderen Banken differenzieren, noch stiftet sie ihren Kunden damit unmittelbaren Nutzen. Um diesen Transformationsprozess zur Bank der Zukunft vollziehen zu können, ist die Berücksichtigung von Soft Factors auf einmal auch für Banken absolut zentral. "Meines Erachtens ist es falsch, veraltete und auf Effizienz fokussierte Ansätze aus der Privatwirtschaft auf die öffentliche Verwaltung übertragen zu wollen." Sie selbst haben schon in sehr jungen Jahren Ihr eigenes Unternehmen gegründet und erfolgreich entwickelt. Wie schätzen Sie die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Schweizer Führungsnachwuchses ein? Meiner Ansicht nach wird in der neuen Ökonomie die Führung top-down, also von oben nach unten, gegenüber der bidirektionalen und der Selbstführung an Bedeutung verlieren. In einer immer mehr von Dienstleistungen geprägten Wirtschaft wird es wichtig, die Servicekompetenz und Dienstleistungsmentalität jedes Mitarbeitenden in der gesamten Organisation zu fördern – nicht nur jene der Teppichetagen. Insofern kommt auf das Bildungssystem – nicht nur in der Schweiz – eine neue Herausforderung zu. Einerseits muss das Vertrauen der Führungskräfte in ihre Mitarbeitenden steigen, Prozesse müssen entsprechend flexibilisiert werden und vor allem muss der beziehungsweise die Einzelne den Umgang mit viel mehr Eigenverantwortung lernen. In Zukunft wird von den Mitarbeitenden viel mehr Reflexion gefragt sein, was intensive Bewusstseinsarbeit, viel Eigenverantwortung und Kompetenz zur Selbstführung voraussetzt. Ich weiss von verschiedenen Berufsverbänden, dass sie sich bereits intensiv mit dieser Thematik auseinandersetzen. So hat das Ressort Bildung und Nachwuchsförderung des Textilverbandes Schweiz beispielhafte Initiativen lanciert, um den soft factors in der Ausbildung eine höhere Gewichtung zu verleihen. Auch in der Wirtschaftspolitik sehe ich erste Anstrengungen, die unternommen werden. Das stimmt mich sehr zuversichtlich. Eine der wichtigen Qualitäten von Unternehmen wird in Zukunft die Integration von unterschiedlichsten Mitarbeitenden sein. Wie wichtig ist Diversity für Ihr Unternehmen und welche Massnahmen sind in Ihrem Unternehmen zum Thema geplant oder schon umgesetzt? Die Diversität der Mitarbeitenden liegt dem ISG Business Case als Basis zugrunde. Die Verbindung verschiedener Perspektiven und wissenschaftlicher Disziplinen sowie das Finden von kreativen, überraschenden Antworten auf alte und neue Probleme setzen einen hohen Grad an Diversität voraus. Mühe habe ich, wenn Diversity aus einer vermeintlich moralisch-ethischen Verpflichtung ...Den vollständigen Artikel lesen ...