Crowdfunding, Crowdinvesting, FinTech, Mobile Payment - die Finanzwelt wandelt sich. Musste man Anfang der 1990er Jahre seine Informationen als Privatanleger noch den Printmedien entnehmen und seine Order persönlich in der Filiale oder via Fax aufgeben, so kamen mit den Beginn des Internets die ersten Online-Broker und Finanzportale auf den Markt. Aber was damals die große Zukunft bedeutete, wirkt heute schon wieder antiquiert. Egal ob man es nun Banking 2.0 oder 3.0 nennt, FinTech oder Social Trading - es tut sich was - für Anleger, wie für Finanzdienstleister.
Doch des einen Wohl ist des anderen Leid. Und so wie die Online-Brokern in den 1990er Jahren den etablierten Banken das Geschäft mit den Wertpapierhandel abliefen, so schicken sich derzeit "soziale Onlineplattformen" an, den etablierten Geldverwaltern und Geldverleihern das Geschäft abzujagen. Social Trading und Crowdfunding sind in aller Munde und erfreuen sich steigender Beliebtheit.
An dieser Stelle soll in loser Reihenfolge der ein oder andere Akteur aus der FinTech-Szene näher betrachtet werden, in diesem Fall als Erfahrungsbericht aus Sicht eines Social Trader, wobei aber kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben werden soll. Wer sich einen tiefer greifenden Überblick in Sachen Crowdfunding oder Social Trading machen möchte, den sein das Buch Crowdinvesting: Die Investition der Vielen von Prof. Dr. Ralf Beck, respektive Social Trading - simplified: Vom Know-How der Champions profitieren von Andreas Braun empfohlen.
Den Anfang macht heute wikifolio.com, die Social Trading Plattform der wikifolio Financial Technologies AG aus Wien. Die Österreicher sind in Deutschland, Österreich und der Schweiz aktiv. Zu den Kooperationspartnern zählt das Who-is-Who der deutschsprachigen Investmentszene, u.a Handelsbaltt, comdirect, S-Broker, OnVista, wallstreet:online, ConSors, Lang & Schwarz oder die Börse Stuttgart. Einige Partner, wie etwa die Wertpapierhandelsbank Lang & Schwarz sind sogar finanziell an der wikifolio Financial Technologies AG beteiligt. Kopf und Initiator des ganzen ist Andreas Kern, ein erfahrener Protagonist in Sachen FinTech und Start-Ups.
Auf wikifolio.com können Laien wie Profis ihre Anlagestrategie in virtuellen Musterdepots, den so genannten "wikifolios", testen. Das ganze ist transparent und jederzeit öffentlich live nachvollziehbar. So haben Investoren die Möglichkeit sich bei anderen Tradern/Investoren auf wikifolio.com Handelsideen abzuschauen, deren Aktionen zu kopieren, oder - und das ist das Besondere an wikifolio - sich durch kauf eines entsprechenden Zertifikats an der Entwicklung des Musterdepots zu beteiligen. Denn die Wertpapierhandelsbank Lang & Schwarz emittiert, sofern bestimmt Mindestanforderungen erfüllt und die BaFin ihr Okay gibt, börsennotierte Endlos-Zertifikate auf entsprechende wikifolios. Der Ersteller des Musterdepots, welches dem Zertifikat zugrunde liegt, erhält einer erfolgsabhängige "Lizenzgebühr" für die zur Verfügungstellung seiner Handelsidee. Die jährliche Verwaltungsgebühr von 0,95 Prozent, sowie die vom wikifolio-Ersteller frei wählbare Performancegebühr sind natürlich hoch transparent und für jedermann einsehbar. Die Verwaltungs- oder Zertifikatgebühr geht an die Wertpapierhandeltbank für die Auflegung des Zertifikats, die erfolgsabhängige Performancegebühr teilen sich zu unterschiedlichen Verhältnissen wikifolio.com und der Herausgeber (Social Trader) des entsprechenden Musterdepots, denn daraus wird die oben genannte "Liezensgebühr" bezogen - unter Berücksichtigung der letzten Hochwassermarke, versteht sich. In sofern sind wikifolios nicht nur in Sachen Transparenz, sondern auch in Sachen Gebühren äußerst fortschrittlich.
Das Modell der "Lizenzgebühr" sieht Klaus Hellwig, Herausgeber des Nebenwerte Journals, problematisch. Nicht, dass es ihm missfällt. Herr Hellwig äußerte in seinem Fachblatt lediglich die durchaus, im überregulierten Finanzmarkt Deutschland, begründete Befürchtung, dass die BaFin sich die Sache bald näher ansehen wird und dann entsprechende Restriktionen erlassen wird, wenn Sie der wikifolio-Idee, zumindest in Deutschland, nicht gleich ganz den Garaus macht. Andere Marktteilnhemer sehen die Sache nicht ganz so kritisch und verweisen auf den Sitz der Gesellschaft in Wien. Denn letztendlich bleibt festzustellen, das wikifolio in Österreich beheimatet ist und sich die Österreicher bisher wenig in Sachen Finanzmarktregulierung haben vorschreiben lassen. Im übrigen ist die Regulierungsthematik auch nur für die Ersteller börsennotierter wikifolios von Interesse. Die Investoren börsennotierter Musterdepots (wikifolios) bleiben davon vorerst gänzlich unberührt.
An dieser Stelle möchte ich noch zwei weitere Punkte ansprechen, die mir kritisch erscheinen. Social Media Plattformen wenden sich in der Regel an Privatpersonen als Social Trader, da die Musterdepots nicht gewerblich betrieben werden dürfen, sofern keine Erlaubnis der BaFin vorliegt. Je nach Umfang und Interpretation sehe ich hier "Interessenkonflikte" mit den §§1 ff HGB, wonach schon ein in "kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb" das Gewerbe mit begründet. Von der beabsichtigten Gewinnerzielung mal ganz abgesehen.
Ein weiterer Ansatzpunkt für aufsichtsrechtliche bzw. steuerrechtliche Störfeuer liefert der Fall der Brüder Strüngmann (Hexal). Die Brüder legten die Gelder aus den Hexal-Verkauf in einen von ihnen selbst gegründeten Fonds an. Das Finanzamt witterte Fondsmisbrauch zwecks Steuerverkürzung, da Fonds keine Veräußerungsgewinne versteuern müssen. Auch in den wikifolios fallen, da sie als Finanzprodukt gelten, keine Steuern an. Wer also seine Gelder im eigenen wikifolio via Zertifikat selber verwaltet, zahlt erst beim Verkauf des Zertifikates Steuern auf den Veräußerungsgewinn, nicht aber zwischenzeitlich auf die im wikifolio getätigten Transaktionen. Mag sein, das findige Steuerbeamte auch hier einen Fall von "Fondsmisbrauch" zwecks Steuerverkürzung erkennen. Aber ich bin kein Steuerexperte, insofern ist dies nur als subjektive Befürchtung zu verstehen.
Es gibt mittlerweile über 3.500 investierbare wikifolios. Die Zahl der nicht börsennotierten Musterdepots bei wikifolio.com liegt noch deutlich darüber. Neben den "normalen" wikifolio, gibt es noch Dachwikifolios, also Musterdepots die weitere wikifolios enthalten, und Themanwikifolos, vergleichbar den "Themes Trading" bei Swissquote. In beiden Fällen wird auf bestimmte Trend, wie z.B. Erneuerbare Energie, selbstfahrende Autos, FinTechs etc. gesetzt.
Die Mehrzahl der Musterdepots, sprich wikifolios, wird von Privatpersonen geführt. Es gibt aber auch Vermögensverwalter und Finanzmedien, die hier, auf wikifolio.com, ihre Musterdepots und ihre Expertise feil bieten. Neben Aktien gibt es auch die Möglichkeit die wikifolis mit Fonds, Optionsscheinen, ETFs oder Rohstoffen zu bestücken. War das Analgeuniversum, also die Auswahl an investierbaren Vermögensgegenständen, anfangs sehr übersichtlich, so findet man nun eine immer breiter werdende Auswahl an Derivaten und Aktien, auch aus den Nebenwerte- und Emerging Marktes Umfeld.
Die anfänglich geringe Titelauswahl führte meines Erachtens nach auch dazu, dass Anfangs den wikifolio-Anlegern ein sog. Home-Bias nachgesagt wurde. Die Heimatlastigkeit der wikifolios lag aber meiner Meinung nach eher an der geringen Auswahl auswärtiger Titel zu jener Zeit. Heute sieht das, wie gesagt, ganz anders aus. Auch wenn man hier noch nachlegen könnte mit weiteren Auslandsaktien.
Nach wie vor lässt die Abdeckung bei Nebenwerten in Deutschland und der Schweiz, aber auch in Skandinavien und UK noch etwas zu wünschen übrig, was zum Teil sicher auch an deren geringer Marktliquidität liegt, wahrscheinlich aber auch an noch fehlenden Kooperationen bei der Skontrobuchführung für den einen oder anderen Wert.
Ein Beispiel zur Marktkapitalisierung: GoingPublic und wallstreet:online hatte vor gar nicht all zu langer Zeit beide eine Börsenkapitalisierung von rund drei Millionen Euro. Während man wallstreet:online über wikifolio.com handeln kann, sucht man GoingPublic vergeblich. Am Börsenwert oder Umsatz allein kann es also nicht liegen.
Bei der Auswahl an Neben- und Auslandswerten kann man sich noch einiges optimieren, wobei das Erreichte mittlerweile schon recht reichhaltig daher kommt.
Neben den stark angewachsenen Anlageuniversum hatte mir der Chef und Mitbegründer von wikifolio, Andreas Kern, vor rund einem Jahr auch weitere Verbesserungen zugesagt. Die Expansion in die Schweiz und die weitere Verknüpfung in den Sozialen Netzwerken sind nur zwei davon, welche auch schon umgesetzt wurden. Aber auch eine mobile Website oder App für Smartphone und Tablet stand damals schon auf der Aufgabenliste und wird hoffentlich auch bald kommen.
Weitere Wünsche, die das Leben eines Social Trader auf wikifolio.com angenehmer machen könnten, währen zum Beispiel SMS-Nachrichten bei Erreichen gesetzter Limits, die eben schon erwähnten mobilen Seiten oder Apps, die Möglichkeit via twitter oder RSS den Kommentaren der Trader zu folgen bzw. eine Funktion um Kommentare via sozialer Netzwerke zu teilen, sowie Möglichkeit zu sehen, wer und wie viele einen bei wikifolio.com folgen bzw. auf der Watchlist haben. Und auch weitere Auswahlkriterien, wie z.B. treue Anleger, kontinuierliches Wachstum, guter Money Manager, Schwerpunkt Europa etc. wären für potentielle Anleger sicher hilfreich. Und zum testen diverser Anlagestrategien wäre es schön, wenn man als Social Trader mehr als ein wikifolio in der Testphase führen dürfte.
Schade ist, dass man zwar unter bestimmten Auflagen für sein wikifolio, nicht aber für das dazugehörige Zertifikat werben darf. Wenn der wikifolio-Manager nicht werben darf fürs Zertifikat, wie steht es dann um eine Bannerwerbung zum entsprechender Zertifikat von Lang & Schwarz (L&S) aus? Wohl auch nicht so rosig - oder wann haben Sie zum letzten Mal Online-Werbung für einen speziellen Fond gesehen? Aber einen Gedanken wäre es wert, dass nicht der Social Trader, sondern L&S die Werbung schaltet.
Zusammenfassend lässt sich sagen, das wikifolio in Sachen Transparenz und Kosten für Anleger, wie für sog. Social Trader, eine vorbildliche und höchst interessante Veranstaltung ist, die viel Fairness und Gestaltungsmöglichkeiten für den Investor bietet.
Mehr zum Thema gibt es direkt unter wikifolio.com
Die vom Autor privat aufgelegten wikifolios finden Sie hier: https://www.wikifolio.com/de/profile/FiveAlive