Von Stefan Lange
BERLIN (Dow Jones)--Eine Änderung des Wahlrechts als Gegenmaßnahme zu einer weiteren Aufblähung des Bundestages ist überraschend in greifbare Nähe gerückt. Unionsfraktions-Chef Volker Kauder erklärte am Dienstag in Berlin, er würde eine Änderung notfalls auch ohne die Opposition und allein zusammen mit der SPD umsetzen. Bisher war die Zustimmung mindestens der Grünen vorausgesetzt worden. Dies hatte eine Umsetzung des Vorschlags von Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) verhindert.
Über das Thema Wahlrecht wollten die Fraktionen am Dienstagabend mit Lammert sprechen. Hintergrund ist die Sorge, dass der Bundestag zur nächsten Bundestagswahl im September 2017 von derzeit 630 Abgeordneten durch Überhang- und Ausgleichsmandate um mehr als 100 Parlamentarier anwachsen könnte. "Das wäre natürlich ein Problem, sowohl für die Arbeit, als auch dass die Menschen draußen sagen: was ist denn hier eigentlich los?", sagte Kauder.
Jeder wisse jetzt, dass es Handlungsbedarf gebe und der Bundestag nicht so schnell wachsen dürfe, sagte Kauder. Deshalb müsse jetzt eine Lösung gefunden werden. "Es wird schwierig, aber ich kann nur hoffen, dass es gelingt."
Alle sollen mitmachen
Kauder sagte, da er wirklich die Sorge habe, dass der Bundestag eine Größenordnung erreiche, die die Arbeitsfähigkeit erschwere und in der Öffentlichkeit ein schlechtes Bild zeichne, wäre er bereit, "das auch zu machen mit der SPD" und ohne die Stimmen der Opposition. Der CDU-Politiker betonte aber auch, dass es sein Wunsch sei, eine Einigung mit allen Fraktionen im Bundestag hinzubekommen. Eine Wahlrechtsreform könnte jedoch notfalls mit der Mehrheit der Stimmen von Union und SPD beschlossen werden.
Lammert tritt schon seit längerem für eine Änderung des Wahlrechts und eine Begrenzung auf etwa 630 Angeordnete ein. Es sei inakzeptabel, dass man den Wählern nicht sagen könne, wie viele Abgeordnete im nächsten Parlament sitzen werden, meint der CDU-Politiker. Eine Änderung sei deshalb dringend erforderlich.
Auslöser der Problematik sind die Überhangmandate. Sie entstehen, wenn Kandidaten einer Partei über Direktmandate mehr Sitze gewinnen, als der Partei nach dem Ergebnis der Zweitstimmen prozentual zustehen. Wenn es also für eine Partei mehr direkt gewählte Abgeordnete gibt, als der Partei nach den Zweitstimmen an Sitzen zustünden, entstehen Überhangmandate. Da das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil 2012 hier ein Ungleichgewicht festgestellt hatte, einigten sich die Bundestagsparteien vor der letzten Wahl darauf, den Überhang mit weiteren Mandaten auszugleichen.
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November 08, 2016 12:00 ET (17:00 GMT)
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