Kurz vor der Abstimmung über den Brexit-Vertrag im britischen Parlament hat Premierministerin Theresa May der Europäischen Union doch noch Zugeständnisse abgerungen. Gemeinsam mit EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker verkündete May am Montagabend in Straßburg einen Durchbruch bei der umstrittenen irischen Grenzfrage. Unklar ist, ob der Formelkompromiss ausreicht, May im Unterhaus eine Mehrheit für das Austrittsabkommen zu sichern.
Bereits am Dienstag werden die britischen Abgeordneten darüber abstimmen. Bis zuletzt galt es als wahrscheinlich, dass der mit Brüssel ausgehandelte Deal scheitern wird. Fast in letzter Minute reiste May jedoch zu Juncker nach Straßburg, um noch einen Anlauf zu wagen. Noch bevor die beiden am späten Montagabend vor die Presse traten, informierte Mays Vize-Regierungschef David Lidington das Parlament in London über die Einigung.
Juncker sagte kurz darauf, im Geiste der Kooperation habe man sich auf ein "rechtlich verbindliches Instrument" als Ergänzung zum Austrittsvertrag geeinigt. "Wir sind meterweise, manchmal auch millimeterweise aufeinander zugegangen." Nichts sei unversucht geblieben, betonte der EU-Kommissionschef.
Gleichzeitig stellte er klar, dass dies die letzten Zugeständnisse der EU sein würden. Er beschwor die Abgeordneten im britischen Unterhaus, dem Vertrag nun zuzustimmen. "Es wird keine dritte Chance geben", sagte Juncker. Werde dieser Vertrag nicht angenommen, werde der Brexit womöglich gar nicht stattfinden.
May richtete einen ähnlichen Appell an die Abgeordneten. "Heute haben wir rechtliche Änderungen durchgesetzt. Jetzt ist es Zeit, gemeinsam diesen verbesserten Brexit-Deal zu unterstützen und den Willen des britischen Volks umzusetzen", sagte die Premierministerin.
Die Änderungen beziehen sich auf den sogenannten Backstop, die von der EU geforderten Garantie für eine offene Grenze zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland. Die Klausel sieht vor, dass Großbritannien so lange als Ganzes in einer Zollunion mit der EU bleiben soll, bis eine andere Lösung gefunden ist. Brexit-Hardliner lehnen das ab.
Nun soll das "rechtlich verbindliche Instrument" noch deutlicher machen, dass der Backstop höchstens eine Übergangslösung ist. Und eine gemeinsame Ergänzung der politischen Erklärung über die künftigen Beziehungen beider Seiten soll betonen, dass diese schnellstmöglich geklärt werden. Das soll den Backstop überflüssig machen.
May kündigte eine unilaterale Erklärung an. Demnach sieht sich London berechtigt, Maßnahmen zu ergreifen, die zum Ende der Backstop-Regelung führen, sollten die Verhandlungen über eine künftige Beziehung scheitern. Der britische Generalstaatsanwalt Geoffrey Cox wird nach Angaben Mays am Dienstag ein neues rechtliches Gutachten darüber veröffentlichen, ob die Änderungen ausreichend sind, um zu garantieren, dass der Backstop keine Dauerlösung ist.
Entscheidend darüber, ob der Deal am Dienstag im britischen Parlament eine Chance hat, dürfte das Urteil der DUP sein. Die nordirisch-protestantische Partei, von der Mays Minderheitsregierung abhängt, äußerte sich zunächst zurückhaltend. "Diese veröffentlichten Dokumente bedürfen eingehender Prüfung", hieß es in einer Mitteilung
Labour-Chef Jeremy Corbyn bezeichnete die Verhandlungen als "gescheitert". In der Vereinbarung sei nichts, was den Änderungen nahe komme, die May dem Parlament versprochen habe. Auch der Labour-Brexit-Experte Keir Starmer hält die Änderung für bedeutungslos. Juncker stellte ebenfalls klar, dass er nicht über das bisherige Mandat der übrigen 27 EU-Staaten hinaus gegangen sei.
Für Irland könnte der Kompromiss an die Schmerzgrenze gehen. Während Mays Treffen mit Juncker in Straßburg kam das Kabinett in Dublin zu einer Krisensitzung zusammen. Regierungschef Leo Varadkar, der eigentlich in die USA reisen wollte, wurde vom Flughafen in der irischen Hauptstadt zu dem Treffen zurückgebracht.
Sollten die britischen Parlamentarier den Vertrag am Dienstag trotz der Nachbesserungen ablehnen, will May am Mittwoch über ein Ausscheiden ohne Deal abstimmen lassen. Wird auch das abgelehnt, sollen die Abgeordneten am Donnerstag entscheiden, ob London eine Verschiebung des Brexits beantragen soll.
Mitte Januar war May mit dem Abkommen krachend im Unterhaus gescheitert. Das Parlament ist im Brexit-Kurs vollkommen zerstritten. Großbritannien will sich am 29. März von der EU trennen./si/DP/zb
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