MÜNCHEN (dpa-AFX) - Nach jahrelangem Rechtsstreit hat der Bundesfinanzhof (BFH) dem globalisierungskritischen Netzwerk Attac wegen dessen politischer Kampagnen die Gemeinnützigkeit aberkannt. Das oberste deutsche Finanzgericht kommt in dem am Dienstag in München veröffentlichten Urteil zu dem Schluss, dass die von Attac geführten Kampagnen keine gemeinnützige politische Bildungsarbeit sind. Der fünfte Senat verweist in der Entscheidung auf die Abgabenordnung, in der die gemeinnützigen Tätigkeitsbereiche festgelegt sind. Dazu zählt aber nicht die Tagespolitik - auch Parteien sind im Steuerrecht nicht gemeinnützig.
Damit lösten die Richter sofort eine Kontroverse aus: Attac und der Linken-Vorsitzende Bernd Riexinger warfen dem Bundesfinanzhof einen Angriff auf die kritische Zivilgesellschaft vor. Der BFH dagegen betonte ausdrücklich, dass es nicht um die politischen Inhalte von Attac gehe, sondern um die Grundsatzfrage, ob "allgemeinpolitische Tätigkeit" mit der Gemeinnützigkeit vereinbar sein könne. Das verneinten die Richter, weil das im Steuerrecht so nicht vorgesehen ist. "Komplett politisch neutral", nannte der Senatsvorsitzende Bernd Heuermann das Urteil.
Wegen des Rechtsstreits können Spenden an Attac seit einigen Jahren nicht mehr von der Steuer abgesetzt werden. Aktuell macht die Organisation unter anderem gegen internationale Handelsabkommen Front und fordert eine höhere Besteuerung von Konzernen.
In der ersten Instanz vor dem hessischen Finanzgericht im Jahr 2016 hatte Attac noch Recht bekommen. Diese Entscheidung hat der BFH in der Revision nun kassiert und das Verfahren an das Finanzgericht zurückverwiesen.
Würde Attac die gegenteiligen Forderungen vertreten - etwa eine Senkung der Konzernsteuern verlangen - wäre das Urteil ebenso ausgefallen, betonte Richter Heuermann. Attac und die Linke dagegen stellten die Entscheidung in Zusammenhang mit autoritären Tendenzen rechtsgerichteter Regierungen wie in Ungarn. "Wir (...) erleben nun auch hierzulande, wie Regierung und Parteien immer öfter versuchen, politisch missliebige Organisationen über das Gemeinnützigkeitsrecht mundtot zu machen", sagte Dirk Friedrichs vom Vorstand des Attac-Trägervereins. "Die Entscheidung der Finanzrichter aus München fügt sich in die Reihe von Angriffen auf gemeinnützige Organisationen und Verbände", sagte Riexinger.
Das bezieht sich auf die Überlegungen der Union, der Deutschen Umwelthilfe die Gemeinnützigkeit zu entziehen. Beide Fälle sind jedoch ganz unterschiedlich gelagert: Der Umwelthilfe werfen ihre Kritiker vor, dass es sich dabei lediglich um einen als Umweltorganisation getarnten Abmahnverein handle, der mit seinen zahllosen Prozessen Geld verdiene.
Und in beiden Fällen hat niemand gefordert, beiden Vereinen ihre Aktivitäten zu verbieten - sondern nur, diesen ihre bisherigen Steuervorteile zu entziehen.
Der rechtliche Hintergrund: Im Paragraf 52 der Abgabenordnung sind exakt 25 gemeinnützige Aktivitäten aufgeführt. Auch Steuerrechtler räumen ein, dass es sich dabei um ein ziemlich wahlloses Sammelsurium handelt: Gemeinnützig sind Amateurfunk, Modellflug und der Hundesport, aber auch die "Volksbildung" und die "allgemeine Förderung des demokratischen Staatswesens" - mit dem für das Urteil entscheidenden Nachsatz: "Hierzu gehören nicht Bestrebungen, die nur bestimmte Einzelinteressen staatsbürgerlicher Art verfolgen (...)."
Und bei Attac sehen die Münchner Richter nicht eine selbstlose Förderung des demokratischen Staatswesens, sondern einen Verein, der politische Ziele verfolgt - eben das, was im Gesetz als "Einzelinteressen" bezeichnet wird.
Wie BFH-Präsident Rudolf Mellinghoff und seine Richterkollegen erläuterten, bedeutet das Urteil auch keineswegs, dass gemeinnützige Organisationen überhaupt nicht politisch aktiv sein dürfen. Im Vordergrund müsse aber der gemeinnützige Zweck stehen, nicht politische Kampagnen. Attac ist nach Auffassung der Richter anders gelagert: "Wir haben einen allgemeinen Aktionismus in der Tagespolitik, der weit über einen Zweck hinausgeht", sagte Heuermann./cho/DP/stw
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