Von Hans Bentzien
FRANKFURT (Dow Jones)--Die "Facebook"-Währung Libra könnte nach Einschätzung von Ökonomen zwar den Verbrauchern rein technisch gesehen gute Dienste leisten, brächte aber zugleich ernste Risiken mit sich. Bei einer Diskussionsrunde der Börsen-Zeitung und des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Frankfurt warnten Experten vor negativen Auswirkungen für den Bankensektor, die Geldpolitik und den Datenschutz. Dass die Aufsichtsbehörden Libra zulassen werden, erscheint ihnen vor diesem Hintergrund zweifelhaft.
"Hat Libra eine Zukunft? Aus meiner Sicht nein, und sie sollte auch keine haben", sagte Ulrich Kater, der Chefvolkswirt der Dekabank. Und IW-Ökonom Markus Demary sagte, es sei "fraglich", ob die Aufsichtsbehörden "das" mitmachen würden.
Mit "das" ist ein vom Libra-Konsortuium betriebenes Zahlungssystem gemeint, das von weltweit 2,4 Milliarden Facebook-Teilnehmern genutzt werden könnte. Für viele dieser Nutzer - jene aus Entwicklungs- und Schwellenländern - wäre Libra ein besseres Zahlungssystem als ihr aktuelles oder überhaupt das erste. Demary geht daher davon aus, dass Libra in solchen Ländern schnell viele Nutzer finden könnte.
In den Industrieländern dagegen ist der Anreiz für Konsumenten geringer, Libra zu nutzen. Allerdings sehen die Ökonomen durchaus einen gewissen Druck auf das angestammte Bankensystem, die Zahlungsdienstleistungen zu modernisieren. "Libra ist ein Weckruf an Zentralbanken, einen digitalen Euro oder Dollar zu entwickeln", meinte er.
Die Frage ist, was genau damit gemeint ist: Eine Zentralbank, die allen Bürgern Zugang zu Zentralbankgeld gewährt und deren Konten unterhält? Dann würden wohl die Banken überflüssig. Ein System, das einen schnellen Austausch von Bankeinlagen und Zentralbankreserven ermöglicht? "Das würde die Fähigkeit der Banken, Liquidität und Einlagen zu planen und Kredite zu vergeben, einschränken", warnte Deka-Chefvolkswirt Kater. Eine Art Parallelwährung für digitale Dienstleistungen?
Die Experten waren sich einig, dass digitales Zentralbankgeld starke Auswirkungen für die Geldpolitik hätte. "Vielleicht werden in Libra ja auch Einlagen gehalten, dann ist das für das Eurosystem mit seiner Negativverzinsung ein Problem", sagte Deka-Chefvolkswirt Kater.
Nach Ansicht von Ulrich Grosch, Abteilungsleiter Zahlungsbilanz bei der Deutschen Bundesbank, hätte aber auch ein staatliches digitales Zentralbankgeld geldpolitische Auswirkungen. "Man muss sich im internationalen Kontext überlegen, wie man die Austauschverhältnisse organisiert, wenn nur eine Zentralbank digitales Geld einführt, oder wenn es mehrere sind", sagte er.
Diskutiert wurde auch die Frage, wie sich eine digitale Währung auf die Finanzstabilität auswirken würde. Als problematisch wurde angesehen, dass Libra mit Staatsanleihen hinterlegt werden soll, was die Währung anfällig für Störungen in diesem Markt mache. Auch schaffe Libra zusätzliche Risiken, deren Bewältigung das Libra-Konsortium dem Staat überlasse, also Trittbrettfahrerei betreibe.
Markus Demary schließlich äußerte die Einschätzung, dass ein digitaler Euro die Finanzstabilität erhöhen könnte, weil er als das lange gesuchte "sichere Asset" des Euroraums dienen könnte, der ja keine gemeinsame Staatsanleihe habe.
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December 09, 2019 10:46 ET (15:46 GMT)
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