BERLIN (Dow Jones)--Kurz vor dem Spitzentreffen der Koalition zur Grundrente sehen Spitzenpolitiker der Union noch keine Einigung. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und der Verhandlungsführer der CDU, Vizefraktionschef Hermann Gröhe, dementierten laut AFP Berichte über eine Grundsatzeinigung, derzufolge die Union ihre Forderung nach einer Bedürftigkeitsprüfung aufgegeben habe. "Nichts ist bislang zur Grundrente geeinigt", erklärte Gröhe. Spahn stellte drei Bedingungen für eine Grundrenteneinigung auf.
Spahns erste Bedingung ist eine "harte Einkommensprüfung als Bedürftigkeitsprüfung". Sie solle sicherstellen, "dass nur Rentner unterstützt werden, die trotz mehr als 35 Jahren Arbeit sehr wenig zum Leben haben". Rentner mit Mieteinnahmen "gehören übrigens nicht dazu", schrieb Spahn. "Jede Einigung muss sich am Koalitionsvertrag messen lassen", der eine Bedürftigkeitsprüfung vorsieht.
Gröhe sprach nicht mehr von einer Bedürftigkeitsprüfung, sondern von einer "am tatsächlichen Bedarf ausgerichteten Ausgestaltung einer Grundrente". Der Einkommensprüfung komme hier "entscheidende Bedeutung" zu. Dabei solle bei Ehepaaren auch das Einkommen des Partners berücksichtigt werden, nicht jedoch selbst genutztes Wohneigentum.
Die Entscheidung über die jährlichen Ausgaben für die neue Sozialleistung soll in der Koalition Chefsache werden: Über die "zentrale Frage des Finanzvolumens" solle erst der Koalitionsausschuss am Montagabend entscheiden, kündigte Gröhe an. Spahn nannte als weitere Bedingung eine Begrenzung der Gesamtausgaben, wobei er keine konkrete Summe erwähnte.
Forderung nach Wachstumsstimuli
Spahn und Gröhe forderten zudem Maßnahmen zur Konjunkturförderung im Gegenzug für eine Koalitionseinigung zur Grundrente. Spahn nannte dabei eine Senkung der Unternehmenssteuer. Als "falsch" bezeichnete Spahn einen "Bild"-Bericht, wonach sich die Unterhändler der Koalition darauf verständigt hätten, dem Wunsch der SPD zu folgen und auf eine Prüfung der Bedürftigkeit als Voraussetzung für die Auszahlung der Grundrente zu verzichten.
Das mögliche Kompromissmodell der Koalition sieht vor, dass die Auszahlung nur von der Höhe des versteuerten Einkommens abhängig gemacht werden solle, nicht aber vom Vermögen des Rentners. Die Rentenversicherung solle dafür automatisch den Steuerbescheid prüfen. Nicht überprüft werden sollen laut "Bild" Vermögen, Erträge aus Aktien und der Besitz von Immobilien.
Union und SPD hatten sich im Koalitionsvertrag darauf verständigt, die Auszahlung der Grundrente von einer Bedürftigkeitsprüfung abhängig zu machen. Die SPD fordert nun aber den Verzicht auf eine solche Prüfung, um möglichst viele Rentner von der neuen Leistung profitieren zu lassen.
Auch in der Unionsfraktion hielt der Widerstand gegen den diskutierten Grundrenten-Kompromiss an. Der CDU-Haushaltspolitiker Eckhardt Rehberg beharrte auf der Bedürftigkeitsprüfung. "Die Prüfung über den Steuerbescheid des Finanzamts überzeugt uns nicht", sagte Rehberg der "Bild". "Viele Rentner müssten dafür erstmals eine Steuererklärung abgeben."
Die kommissarische SPD-Vorsitzende Malu Dreyer rechnet derweil mit einer schnellen Verständigung mit der Union über die Grundrente. "Ich bin zuversichtlich, dass wir bald eine Einigung in Sachen Grundrente bekommen", sagte der rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Zugleich stellte auch Dreyer Bedingungen: "Die Grundrente soll für mehr Gerechtigkeit sorgen und automatisch gezahlt werden", forderte sie. Niemand solle "zum Amt gehen und einen riesigen Stapel an Formularen ausfüllen müssen." Der SPD gehe es "nicht um eine Sozialleistung, sondern um die Anerkennung von Lebensleistung".
Arbeiter warnen vor Kosten
Derweil mischen sich auch die Arbeitgeber in die Diskussion ein. Der Arbeitgeberverband BDA hat die Unions-Fraktion im Deutschen Bundestag eindringlich vor einem Grundrentenkompromiss mit der SPD gewarnt. In einem Brandbrief an den Fraktionsvorsitzenden Ralph Brinkhaus (CDU), der "Bild am Sonntag" vorliegt, bittet BDA-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter "dringend", von den am Wochenende bekannt gewordenen Grundrentenplänen abzusehen. "Es darf nicht sein, dass immer weitere Milliarden für das Koalitionsklima statt für dringend nötige Infrastruktur- und Zukunftsmaßnahmen investiert werden", heißt es in dem Schreiben.
Die Regierungsfraktionen hatten neun Monate um einen Kompromiss in der Grundrente gerungen. Größter Streitpunkt war die Ablehnung einer Bedürftigkeitsprüfung seitens der SPD. Als Kompromiss möchte man sich nun am Montag auf eine Einkommensprüfung einigen. Doch auch dieses Modell hält Kampeter für unangemessen teuer. Es würde rund zehnmal so viel kosten wie die im Koalitionsvertrag vorgesehenen 200 Millionen Euro.
Die Koalition strebt nach Monaten des Streits für Montag einen Durchbruch an. Am Nachmittag soll zunächst erneut die zuständige Arbeitsgruppe aus Koalitionspolitikern tagen und einen Vorschlag ausarbeiten, der dann am Montagabend bei einem Treffen Koalitionsspitzen finalisiert und beschlossen werden soll.
Mit Material von AFP.
Kontakt zum Autor: maerkte.de@dowjones.com
DJG/flf
(END) Dow Jones Newswires
November 03, 2019 06:57 ET (11:57 GMT)
Copyright (c) 2019 Dow Jones & Company, Inc.