Von Manuel Priego-Thimmel
FRANKFURT (Dow Jones)--Das Schlimmste ist vorbei. Nach der Stabilisierung der vergangenen zwei Wochen an den Börsen sind solche oder ähnliche Kommentare immer häufiger zu hören. Das Problem dabei ist, dass sich die eingepreisten Basisszenarien für die weitere Entwicklung der Coronavirus-Krise als zu optimistisch erweisen dürften. In einem solchen Fall ist nicht nur mit einem Rückfall auf die Tiefs sondern mit neuen Tiefs zu rechnen.
In der nächsten Wochen könnte es mit den Kursen zunächst durchaus nach oben gehen. Nach dem gescheiterten Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs steht nun das Eurogruppen-Treffen am Dienstag an. Die Chancen stehen gut, dass man sich zumindest in Grundzügen auf ein Finanzierungspaket mit einem Volumen von mehreren hundert Milliarden Euro einigen wird, wobei auch der ESM-Rettungsschirm angezapft werden dürfte.
Eine Einigung der Finanzminister hätte vor allem symbolischen Charakter, würde sie doch an den Märkten als Solidaritätsbeweis der EU für die EU aufgenommen werden. Nüchtern betrachtet, ist sie von nur geringer praktischer Bedeutung, werden die in der aktuellen Krise anfallenden gigantischen Schulden ohnehin weitgehend auf der Bilanz der EZB anfallen. Dies birgt natürlich mittelfristig erheblichen politischen und finanztechnischen Sprengstoff - aber nicht in dieser Krise.
Teil der Nachfrage wird wohl nicht wiederkommen
Einiges schiefgehen kann noch in der aktuellen Krise. Der Markt erfreut sich an abflachenden Infektionskurven in Italien und Spanien. Im Basisszenario wird davon ausgegangen, dass die Wirtschaft in Europa und den USA im zweiten Quartal völlig einbrechen wird, um sich dann im dritten Quartal fulminant V-förmig zu erholen: also im Prinzip eine Wiederholung der Dramaturgie der Finanzkrise 2008/09.
Es mehren sich aber die kritischen Stimmen. Nicht nur wird ein Teil der eingebrochenen Nachfrage in Bereichen wie etwa Touristik, Kultur oder Gastronomie nicht wieder aufzuholen sein, auch strukturelle Änderungen bei Nachfrage und Angebot stehen zu befürchten. Über die langfristigen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und damit das zukünftige Konsumverhalten der Menschen kann man derzeit nur spekulieren.
Der dramatische Anstieg der wöchentlichen Erstanträge auf Arbeitslosenhilfe in den USA lässt befürchten, dass die bislang verabschiedeten Fiskalpakete der Regierungen bei weitem nicht ausreichen werden. Im Konsens wird erwartet, dass die US-Arbeitslosenquote im Rahmen der Coronakrise auf über 10 Prozent steigen wird. Zur Einordnung: Der Höchststand seit Ende des Zweiten Weltkriegs lag laut Commerzbank 1982 bei 10,2 Prozent.
Drastische Abwärtsrevisionen bei den Gewinnen stehen an
Bank of America (BoA) hat sich in der Zwischenzeit von der Konsensprognose verabschiedet. Die Analysten rechnen damit, dass die US-Arbeitslosenquote bis auf 15,6 Prozent steigen wird. Verabschiedet hat sich BoA hat auch von der Vorstellung einer Erholung der US-Wirtschaft im dritten Quartal. Mit Blick auf die Eurozone stellt sich BoA im zweiten Quartal auf einen Einbruch von 50 Prozent ein.
Nach Einschätzung der DWS werden die Schätzungen der 2020er-Unternehmensgewinne demnächst drastisch nach unten revidiert werden. Ein Rückgang bei den Unternehmensgewinnschätzungen für den S&P-500 von etwa 30 Prozent läge historisch bereits drei Standardabweichungen vom historischen Mittelwert entfernt. Aktuell sind wir bei minus 10 Prozent. Oaktree Capital warnt indes, dass bereits Extrem-Schätzungen im Markt kursierten, die einen Rückgang der S&P-Gewinne von 120 Prozent nicht ausschließen.
Unabhängig davon, wie stark die Unternehmensgewinne letztlich einbrechen werden, die aktuellen Börsenkurse preisen in bester Tradition des inhärenten Berufsoptimismus die beste aller möglicher Welten ein. Das Problem aus Anlegersicht dabei ist, dass keinerlei Sicherheitspuffer in den aktuellen Kursen eingebaut ist. Sobald die Konsenserwartungen Risse bekommen, ist an den Börsen mit einem neuen Abrutscher zu rechnen - dann vermutlich auf neue Tiefs.
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April 03, 2020 08:06 ET (12:06 GMT)
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