München (ots) -
"Bei SOS-Kinderdorf durften wir erfahren, dass Familie nicht nur aus leiblicher Verwandtschaft besteht - sondern aus Menschen, die da sind, wenn es darauf ankommt." Das sagt Antje Campmann, die gemeinsam mit ihrem Bruder Michael in den 70er Jahren im SOS-Kinderdorf Worpswede aufgewachsen ist.
Was war das Besondere an einer Kindheit bei SOS-Kinderdorf? Was hat geprägt, was haben Betreute mitgenommen? Und was denken sie heute über ihr Aufwachsen in Kinderdorffamilien und Wohngruppen?
Anlässlich der Gründung des deutschen SOS-Kinderdorfvereins vor 70 Jahren erzählen sieben ehemalige Betreute von SOS-Kinderdorf ihre Geschichten. Sieben Geschichten aus sieben Jahrzehnten SOS-Kinderdorf. Den Impuls zur Gründung von SOS-Kinderdorf gaben die Schrecken der Nachkriegszeit: Als Medizinstudent erlebte der spätere Gründer Hermann Gmeiner das Leid der vielen Kriegswaisen und heimatlosen Kinder. Was es heißt, ohne Mutter aufzuwachsen, hatte er selbst früh erfahren müssen. In eine kinderreichen Bauernfamilie geboren, verlor er die Mutter schon früh. Seine ältere Schwester Elsa sprang tatkräftig ein und kümmerte sich um die jüngeren Geschwister.
In 70 Jahren hat sich viel getan. Aus einem SOS-Kinderdorf wurde ein deutschlandweites Netzwerk an Hilfen für Kinder, Jugendliche und Familien, das jedes Jahr über 130.000 Menschen in Notlagen erreicht. Aktuell unterhält der SOS-Kinderdorf e.V. 38 Einrichtungen in Deutschland und ist an 271 Standorten aktiv.
"Geschwister bleiben zusammen - das war unser großes Glück": Antje Campmann, 60, & Michael Reincke, 63, von 1972 bis 1984 im SOS-Kinderdorf Worpswede
Im November 1972 kamen Antje und ihr Bruder Michael ins SOS-Kinderdorf Worpswede, mit gerade einmal sieben und zehn Jahren. Ihre Mutter war an einer schweren Krankheit gestorben, ihr Vater aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage, sich um die Kinder zu kümmern.
Dass Geschwister gemeinsam aufgenommen wurden, war damals nicht selbstverständlich, zumal Michael mit zehn Jahren eigentlich zu alt für eine Kinderdorffamilie war. Doch SOS-Kinderdorf folgte einem seiner wichtigsten Prinzipien: Geschwister bleiben zusammen. So wurde "Haus 3" ihr neues gemeinsames Zuhause. Und dort wartete jemand auf die Beiden, die ihr Leben für immer prägen sollte: Kinderdorfmutter Christa Emde - bald nur noch "Muddi Emde" genannt: "Das Leben im Kinderdorf war ein Geschenk. Es gab eine Indianerwiese mit Ponys, eine Töpfer- und Holzwerkstatt und Segelboote. Wir durften spielen, entdecken, Kind sein. Und gleichzeitig lernen, Verantwortung zu übernehmen und an uns selbst zu glauben", so Antje Campmann.
Dank "Muddi Emde" wurde Michael das erste Kind im SOS-Kinderdorf Worpswede, das aufs Gymnasium ging und Abitur machte. Als Michael im Studium finanziell in Not geriet, bekam er vom SOS-Kinderdorf ein Darlehen, um sein Diplom machen zu können. Diese Hilfe war mehr als Unterstützung - sie war ein Versprechen: Wir sind weiter für euch da.
Ihre Wege führte das Geschwister-Paar später in unterschiedliche Richtungen: Michael absolvierte eine Lehre, studierte Medizintechnik und arbeitet international als selbstständiger medizinisch-technischer Auditor. Antje ging nach Jurastudium und Kunstschule zum Fernsehen - als Producerin großer TV-Events wie dem Eurovision Song Contest. Ihre SOS-Geschwister sind bis heute ein Teil ihres Lebens. Michael Reincke: "Unsere Muddi Emde blieb bis zu ihrem Tod eng an unserer Seite. Wir durften erfahren, dass Familie nicht nur aus leiblicher Verwandtschaft besteht - sondern aus Menschen, die da sind, wenn es darauf ankommt."
"SOS-Kinderdorf war für mich Familie": Manola Kraus, 59, von 1978 bis 1982 im SOS-Kinderdorf Ammersee
"Meine Kindheit und Jugend wurde stark durch meine Kinderdorfmutter Hildegard Wahl geprägt. Sie war eine der ersten Menschen in meinem Leben, die mich nicht verurteilt haben", erzählt Manola Kraus, die heute als Leadership Coach und Beraterin für "Positive Leadership" arbeitet und kürzlich ein Buch zu diesem Thema veröffentlicht hat.
Bereits im Alter von zwei Jahren war Manola in ein privates Kinderheim in der Nähe von Augsburg gekommen. Als das Heim schließen musste, wechselte sie1978 ins SOS-Kinderdorf Ammersee. Dort lernte sie mit Hildegard ihre Herzensmutter kennen: "Ich hatte jemanden gefunden, der ein echtes Herz hatte. Ich nannte sie sofort Mom."
Ab diesem Zeitpunkt ging es für Manola bergauf: "Ich war angekommen und hatte die Freiheit, alles zu lernen, was ich wollte: Instrumente, Skifahren, Schlittschuhlaufen, und vieles mehr. Unser Haus 15 war ein Anziehungspunkt, dorthin sind alle aus dem Kinderdorf gern gegangen. SOS-Kinderdorf war für mich Familie, auch wenn wir keinen Vater hatten. Wir waren auch oft bei kulturellen Veranstaltungen wie dem Kunsthandwerkermarkt oder einem Konzert. Hildegard hatte einen Sinn für Schönheit und das hat sie uns nahegebracht."
Manolas Kinderdorfmutter verhalf ihr später zu einem Wechsel in die SOS-Wohngruppe nach Augsburg - damit sie dort ihren schulischen Weg erfolgreich beenden konnte. Nach Auslandsaufenthalten in England und Spanien sowie Entwicklungshilfe-Einsätzen in Lateinamerika folgte das Studium der Psychologie - ein mühsamer, aber prägender Weg.
Mit ihren Kinderdorfgeschwistern, die in Dießen leben, ist Manola noch heute in Kontakt: "Der Ort, der See, all die Wege, die wir mit unserer Mom gegangen sind, das ist für mich nach wie vor Heimatgefühl."
"Ich will SOS-Kinderdorf etwas zurückgeben": Dr. Eric Baumgartner, 49, von 1989 bis 1992 im SOS-Kinderdorf Sauerland
Eric war bereits knapp 14 Jahre alt, als er in das SOS-Kinderdorf in Lüdenscheid zog. Dort lebte er mit mehreren Kindern und unterschiedlichen Erzieher*innen in einer Kinderdorffamilie: "In meinen drei Jahren dort habe ich viele Freiräume zur Entwicklung erleben dürfen. Natürlich musste ich erst einmal meinen Platz finden und wir hatten auch viele Pflichten. Wir haben in der Gemeinschaft im Kinderdorf stets im Haushalt mitgeholfen. Daher war ich sehr früh selbstständig."
Bereits im Alter von 17 Jahren ging Eric nach Bochum, um dort das Abitur zu machen: "Schon damals hatte ich die Idee, nach England zu ziehen. Diesen Wunsch habe ich mir nach dem Zivildienst erfüllt! Ich habe zunächst in Restaurants gejobbt und schließlich die Möglichkeit bekommen, als Englischlehrer zu arbeiten. So bin ich in Durham gelandet und arbeite heute als Professor im Bereich Bildung und Sozialwissenschaft an einer der besten Universitäten in Großbritannien." Besonders wichtig ist ihm heute der Aspekt der "Widening Participation": Also Menschen zu helfen, die - wie es bei ihm damals der Fall war - keine guten familiären Erfahrungen mit Bildung gemacht haben.
Für Eric stellte sich die Frage, ob er dem SOS-Kinderdorf-Verein, dem er viel verdankt, etwas zurückgeben kann: "Ich kann Sprachen unterrichten, kann erklären, wie eine Sprache dabei unterstützen kann, sich selbst positiv zu erleben und darzustellen, ein neues Leben aufzubauen. Und so kam ich auf den Gedanken, dies auch Kindern aus meinem ehemaligen Kinderdorf mitzugeben." So reiste er schließlich nach Deutschland, um in "seinem" Dorf Sprach-Workshops zu geben. Anschließend haben Eric und sein Team eine Gruppe von Jugendlichen im Sommer für eine Woche nach England eingeladen: "Ein hoffentlich für alle Beteiligten inspirierendes Erlebnis."
"Toleranz, Offenheit und Respekt sind die SOS-Werte, die mich geprägt haben": Denis Berisha, 31, von 2001 bis 2018 im SOS-Kinderdorf Worpswede
"Kindeswohlgefährdung - teils durch physische und psychische Gewalt, teils durch Desinteresse und Abwesenheit unserer Eltern": Mit dieser Vorgeschichte kamen Denis und seine drei Geschwister im Jahr 2001 im SOS-Kinderdorf Worpswede an. Seine erste Anlaufstelle war damals das "Haus 7" nahe dem Dorfplatz, erinnert sich der heute 31-Jährige und erzählt über gemeinschaftliche Ausflüge in das italienische SOS-Ferienlager Caldonazzo, Campingurlaube, Skifahren in Österreich und vieles mehr. "Es gab mehr als genug Aktivitäten, die mich nachhaltig geprägt haben."
Ein früh gestellter Wecker, Schule, gemeinsames Mittagessen mit anschließender Mittagspause für Hausaufgaben. Den Alltag im SOS-Kinderdorf beschreibt Denis wie den einer normalen Familie: "Spätestens ab 16 Uhr waren Freizeit und Abenteuer angesagt: Tischtennis, im Grünen spielen, Jugendclub, Fußballverein, Treffen mit Freunden". Allerdings gab es auch sehr klare Regeln wie Pünktlichkeit und Verlässlichkeit, an die sich Denis und seine Geschwister halten mussten.
Mit 17 Jahren zog Denis in eine größere Stadt, um sein Abitur selbstständig zu organisieren. Anschließend entschied er sich für ein duales Studium. Heute hat Denis das BWL-Bachelorstudium erfolgreich abgeschlossen und startet nun bei einem Arbeitgeber im Textilhandel: "Die Zeit im SOS-Kinderdorf hat mich geprägt. Toleranz, Offenheit und Respekt sind Werte, die ich dort genauso gelernt habe wie den Umgang mit Konflikten und Verlusten, wenn zum Beispiel Freundschaften zerbrochen sind. Meine wichtigste Lektion aber war: Wenn ich bereit bin, Gutes zu teilen, werde ich ebenfalls gefördert."
"Der Zusammenhalt meiner SOS-Familie ist bis heute sehr eng": Vanessa, 25, von 2002 bis 2018 im SOS-Kinderdorf Saar
Vanessa kam im Jahr 2002 in das SOS-Kinderdorf Saar in Merzig. Ihre leiblichen Eltern lebten damals getrennt und hatten Suchtprobleme. Daher wurden Vanessa, mit zwei Jahren, und ihre Schwester, mit sechs Jahren, aus der Familie genommen. Zusammengewohnt haben die leiblichen Geschwister mit vier weiteren Kindern und ihrer Kinderdorfmutter, die alle Mama nannten: "Wir sind schnell zu einer richtigen Familie zusammengewachsen. Wir haben den Tagesablauf gemeinsam gestaltet, alles mit klaren Regeln und Strukturen. Ich erinnere mich, dass wir im Sommer nach dem Abendessen immer länger draußen bleiben durften, um gemeinsam zu spielen."
Mit 18 Jahren ist Vanessa in das "Betreute Wohnen" gezogen und hat später mit ihrem ehemaligen Kinderdorfbruder eine WG gegründet. Seit dem Abschluss ihrer Erzieherinnen-Ausbildung lebt Vanessa in Merzig: "Ich bin in einem Kindergarten der Stadt angestellt und betreue dort sogar junge Menschen aus meinem ehemaligen Kinderdorf."
Der Zusammenhalt der SOS-Familie ist heute noch sehr eng: "Wir treffen uns reihum zum Kaffeetrinken, auch Feste wie Weihnachten feiern wir gemeinsam, meine Geschwister leben fast alle verteilt im Saarland, unsere Kinderdorfmutter sogar in Merzig."
Dass das Modell Kinderdorffamilie auch in die Kritik geraten ist, kann Vanessa zum Teil nachvollziehen: Ihre Kinderdorfmutter musste 2012 frühzeitig in Rente gehen. In den folgenden Jahren hatte sie verschiedene Erzieher*innen im Kinderdorf: "Langfristig Vertrauen aufzubauen, war schwierig, denn nach 24 Stunden war Schichtwechsel."
"Könnte mir vorstellen, bei SOS-Kinderdorf zu arbeiten": Celine Bernhardt, 28, von 2009 bis 2014 im SOS-Kinderdorf Württemberg
Im SOS-Kinderdorf lebte Celine mit vielen gleichaltrigen Kindern zusammen, alle waren untereinander schnell befreundet: "Bis auf normale Streitereien kamen wir sehr gut miteinander aus", so die 28-Jährige. Zuneigung und liebevoller Umgang waren allgegenwärtig: "Ich habe mich dort sehr wohlgefühlt, und bin sehr früh selbstständig geworden. Das war unseren Erzieher*innen ein großes Anliegen. Sie haben alles dafür getan, uns auf das Leben nach SOS-Kinderdorf vorzubereiten. Den Umständen entsprechend war es eine schöne Zeit."
Mit 17 Jahren ist Celine aus dem Kinderdorf ausgezogen, um nach einem Freiwilligen Sozialen Jahr eine Ausbildung zur Kinderpflegerin zu machen. Ursprünglich wollte sich Celine noch zur Erzieherin fortbilden, doch dann ist sie mit ihrem ersten Kind schwanger geworden. Heute sind Celine und ihr Mann glückliche Eltern zweier Söhne im Alter von einem und vier Jahren.
Da Celine mit ihrer Familie nahe dem SOS-Kinderdorf in Schorndorf wohnt, ist sie regelmäßig zu Besuch, besonders wichtig ist ihr dies am Muttertag: "Es ist immer schön, meine alten Erzieherinnen wiederzusehen, zwei sind noch in meinem ehemaligen Wohnhaus. Sobald meine Kinder älter sind, könnte ich mir gut vorstellen, bei SOS-Kinderdorf zu arbeiten. Die Anliegen der Kinder und Jugendlichen würde ich auf jeden Fall gut verstehen."
"Bei SOS durfte ich einfach ich selbst sein": Leonidas, 19, von 2021 bis heute im SOS-Kinderdorf Schleswig-Holstein
Als Leonidas mit 15 Jahren in eine Wohngruppe im SOS-Kinderdorf Schleswig-Holstein kam, hatte er schon einiges hinter sich. Als er fünf Jahre alt war, konnte seine alleinerziehende Mutter sich nicht mehr gut um ihn kümmern. Es folgte eine Kindheit in vier verschiedenen Pflegefamilien: "Ich habe früh gelernt, dass man nicht überall bleiben kann. Ich erinnere mich nicht an alles - aber das Gefühl, nicht gewollt zu sein, kenne ich gut." Als er ins SOS-Kinderdorf Schleswig-Holstein kam, fühlte er sich endlich angenommen - und angekommen: "In meiner Wohngruppe habe ich mich von Anfang an zu Hause gefühlt. Wir hatten viele Freiheiten, aber trotzdem einen klaren Rahmen, alle begegneten mir mit großem Respekt und auf Augenhöhe", erzählt er.
Nach Realschulabschluss und Fachabitur absolviert Leonidas inzwischen eine Ausbildung zum informationstechnischen Fachverkäufer. Und was noch wichtiger für ihn ist: Mit Hilfe der Betreuer*innen von SOS-Kinderdorf konnte er wieder Kontakt mit seiner leiblichen Mutter aufnehmen und ist kürzlich sogar großer Bruder geworden: "Ich sehe meine kleine Schwester regelmäßig und auch mit dem Lebensgefährten meiner Mutter verstehe ich mich gut. Wir wachsen langsam wieder als Familie zusammen."
Aktuell lebt Leonidas im sogenannten Verselbstständigungswohnen des Kinderdorfs; in seinem eigenen kleinen Apartment, mit eigenem Haushalt und allen Pflichten, aber eng angebunden an die Wohngruppe im selben Haus. Er sagt zurecht: "Ich bin schon ein bisschen stolz darauf, wie weit ich heute gekommen bin."
Pressekontakt:
SOS-Kinderdorf e.V.
Gregor Staltmaier
Pressesprecher
Mobil: +49 (0)160 9078 6623
gregor.staltmaier@sos-kinderdorf.de
Original-Content von: SOS-Kinderdorf e.V., übermittelt durch news aktuell
Originalmeldung: https://www.presseportal.de/pm/12506/6095336
"Bei SOS-Kinderdorf durften wir erfahren, dass Familie nicht nur aus leiblicher Verwandtschaft besteht - sondern aus Menschen, die da sind, wenn es darauf ankommt." Das sagt Antje Campmann, die gemeinsam mit ihrem Bruder Michael in den 70er Jahren im SOS-Kinderdorf Worpswede aufgewachsen ist.
Was war das Besondere an einer Kindheit bei SOS-Kinderdorf? Was hat geprägt, was haben Betreute mitgenommen? Und was denken sie heute über ihr Aufwachsen in Kinderdorffamilien und Wohngruppen?
Anlässlich der Gründung des deutschen SOS-Kinderdorfvereins vor 70 Jahren erzählen sieben ehemalige Betreute von SOS-Kinderdorf ihre Geschichten. Sieben Geschichten aus sieben Jahrzehnten SOS-Kinderdorf. Den Impuls zur Gründung von SOS-Kinderdorf gaben die Schrecken der Nachkriegszeit: Als Medizinstudent erlebte der spätere Gründer Hermann Gmeiner das Leid der vielen Kriegswaisen und heimatlosen Kinder. Was es heißt, ohne Mutter aufzuwachsen, hatte er selbst früh erfahren müssen. In eine kinderreichen Bauernfamilie geboren, verlor er die Mutter schon früh. Seine ältere Schwester Elsa sprang tatkräftig ein und kümmerte sich um die jüngeren Geschwister.
In 70 Jahren hat sich viel getan. Aus einem SOS-Kinderdorf wurde ein deutschlandweites Netzwerk an Hilfen für Kinder, Jugendliche und Familien, das jedes Jahr über 130.000 Menschen in Notlagen erreicht. Aktuell unterhält der SOS-Kinderdorf e.V. 38 Einrichtungen in Deutschland und ist an 271 Standorten aktiv.
"Geschwister bleiben zusammen - das war unser großes Glück": Antje Campmann, 60, & Michael Reincke, 63, von 1972 bis 1984 im SOS-Kinderdorf Worpswede
Im November 1972 kamen Antje und ihr Bruder Michael ins SOS-Kinderdorf Worpswede, mit gerade einmal sieben und zehn Jahren. Ihre Mutter war an einer schweren Krankheit gestorben, ihr Vater aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage, sich um die Kinder zu kümmern.
Dass Geschwister gemeinsam aufgenommen wurden, war damals nicht selbstverständlich, zumal Michael mit zehn Jahren eigentlich zu alt für eine Kinderdorffamilie war. Doch SOS-Kinderdorf folgte einem seiner wichtigsten Prinzipien: Geschwister bleiben zusammen. So wurde "Haus 3" ihr neues gemeinsames Zuhause. Und dort wartete jemand auf die Beiden, die ihr Leben für immer prägen sollte: Kinderdorfmutter Christa Emde - bald nur noch "Muddi Emde" genannt: "Das Leben im Kinderdorf war ein Geschenk. Es gab eine Indianerwiese mit Ponys, eine Töpfer- und Holzwerkstatt und Segelboote. Wir durften spielen, entdecken, Kind sein. Und gleichzeitig lernen, Verantwortung zu übernehmen und an uns selbst zu glauben", so Antje Campmann.
Dank "Muddi Emde" wurde Michael das erste Kind im SOS-Kinderdorf Worpswede, das aufs Gymnasium ging und Abitur machte. Als Michael im Studium finanziell in Not geriet, bekam er vom SOS-Kinderdorf ein Darlehen, um sein Diplom machen zu können. Diese Hilfe war mehr als Unterstützung - sie war ein Versprechen: Wir sind weiter für euch da.
Ihre Wege führte das Geschwister-Paar später in unterschiedliche Richtungen: Michael absolvierte eine Lehre, studierte Medizintechnik und arbeitet international als selbstständiger medizinisch-technischer Auditor. Antje ging nach Jurastudium und Kunstschule zum Fernsehen - als Producerin großer TV-Events wie dem Eurovision Song Contest. Ihre SOS-Geschwister sind bis heute ein Teil ihres Lebens. Michael Reincke: "Unsere Muddi Emde blieb bis zu ihrem Tod eng an unserer Seite. Wir durften erfahren, dass Familie nicht nur aus leiblicher Verwandtschaft besteht - sondern aus Menschen, die da sind, wenn es darauf ankommt."
"SOS-Kinderdorf war für mich Familie": Manola Kraus, 59, von 1978 bis 1982 im SOS-Kinderdorf Ammersee
"Meine Kindheit und Jugend wurde stark durch meine Kinderdorfmutter Hildegard Wahl geprägt. Sie war eine der ersten Menschen in meinem Leben, die mich nicht verurteilt haben", erzählt Manola Kraus, die heute als Leadership Coach und Beraterin für "Positive Leadership" arbeitet und kürzlich ein Buch zu diesem Thema veröffentlicht hat.
Bereits im Alter von zwei Jahren war Manola in ein privates Kinderheim in der Nähe von Augsburg gekommen. Als das Heim schließen musste, wechselte sie1978 ins SOS-Kinderdorf Ammersee. Dort lernte sie mit Hildegard ihre Herzensmutter kennen: "Ich hatte jemanden gefunden, der ein echtes Herz hatte. Ich nannte sie sofort Mom."
Ab diesem Zeitpunkt ging es für Manola bergauf: "Ich war angekommen und hatte die Freiheit, alles zu lernen, was ich wollte: Instrumente, Skifahren, Schlittschuhlaufen, und vieles mehr. Unser Haus 15 war ein Anziehungspunkt, dorthin sind alle aus dem Kinderdorf gern gegangen. SOS-Kinderdorf war für mich Familie, auch wenn wir keinen Vater hatten. Wir waren auch oft bei kulturellen Veranstaltungen wie dem Kunsthandwerkermarkt oder einem Konzert. Hildegard hatte einen Sinn für Schönheit und das hat sie uns nahegebracht."
Manolas Kinderdorfmutter verhalf ihr später zu einem Wechsel in die SOS-Wohngruppe nach Augsburg - damit sie dort ihren schulischen Weg erfolgreich beenden konnte. Nach Auslandsaufenthalten in England und Spanien sowie Entwicklungshilfe-Einsätzen in Lateinamerika folgte das Studium der Psychologie - ein mühsamer, aber prägender Weg.
Mit ihren Kinderdorfgeschwistern, die in Dießen leben, ist Manola noch heute in Kontakt: "Der Ort, der See, all die Wege, die wir mit unserer Mom gegangen sind, das ist für mich nach wie vor Heimatgefühl."
"Ich will SOS-Kinderdorf etwas zurückgeben": Dr. Eric Baumgartner, 49, von 1989 bis 1992 im SOS-Kinderdorf Sauerland
Eric war bereits knapp 14 Jahre alt, als er in das SOS-Kinderdorf in Lüdenscheid zog. Dort lebte er mit mehreren Kindern und unterschiedlichen Erzieher*innen in einer Kinderdorffamilie: "In meinen drei Jahren dort habe ich viele Freiräume zur Entwicklung erleben dürfen. Natürlich musste ich erst einmal meinen Platz finden und wir hatten auch viele Pflichten. Wir haben in der Gemeinschaft im Kinderdorf stets im Haushalt mitgeholfen. Daher war ich sehr früh selbstständig."
Bereits im Alter von 17 Jahren ging Eric nach Bochum, um dort das Abitur zu machen: "Schon damals hatte ich die Idee, nach England zu ziehen. Diesen Wunsch habe ich mir nach dem Zivildienst erfüllt! Ich habe zunächst in Restaurants gejobbt und schließlich die Möglichkeit bekommen, als Englischlehrer zu arbeiten. So bin ich in Durham gelandet und arbeite heute als Professor im Bereich Bildung und Sozialwissenschaft an einer der besten Universitäten in Großbritannien." Besonders wichtig ist ihm heute der Aspekt der "Widening Participation": Also Menschen zu helfen, die - wie es bei ihm damals der Fall war - keine guten familiären Erfahrungen mit Bildung gemacht haben.
Für Eric stellte sich die Frage, ob er dem SOS-Kinderdorf-Verein, dem er viel verdankt, etwas zurückgeben kann: "Ich kann Sprachen unterrichten, kann erklären, wie eine Sprache dabei unterstützen kann, sich selbst positiv zu erleben und darzustellen, ein neues Leben aufzubauen. Und so kam ich auf den Gedanken, dies auch Kindern aus meinem ehemaligen Kinderdorf mitzugeben." So reiste er schließlich nach Deutschland, um in "seinem" Dorf Sprach-Workshops zu geben. Anschließend haben Eric und sein Team eine Gruppe von Jugendlichen im Sommer für eine Woche nach England eingeladen: "Ein hoffentlich für alle Beteiligten inspirierendes Erlebnis."
"Toleranz, Offenheit und Respekt sind die SOS-Werte, die mich geprägt haben": Denis Berisha, 31, von 2001 bis 2018 im SOS-Kinderdorf Worpswede
"Kindeswohlgefährdung - teils durch physische und psychische Gewalt, teils durch Desinteresse und Abwesenheit unserer Eltern": Mit dieser Vorgeschichte kamen Denis und seine drei Geschwister im Jahr 2001 im SOS-Kinderdorf Worpswede an. Seine erste Anlaufstelle war damals das "Haus 7" nahe dem Dorfplatz, erinnert sich der heute 31-Jährige und erzählt über gemeinschaftliche Ausflüge in das italienische SOS-Ferienlager Caldonazzo, Campingurlaube, Skifahren in Österreich und vieles mehr. "Es gab mehr als genug Aktivitäten, die mich nachhaltig geprägt haben."
Ein früh gestellter Wecker, Schule, gemeinsames Mittagessen mit anschließender Mittagspause für Hausaufgaben. Den Alltag im SOS-Kinderdorf beschreibt Denis wie den einer normalen Familie: "Spätestens ab 16 Uhr waren Freizeit und Abenteuer angesagt: Tischtennis, im Grünen spielen, Jugendclub, Fußballverein, Treffen mit Freunden". Allerdings gab es auch sehr klare Regeln wie Pünktlichkeit und Verlässlichkeit, an die sich Denis und seine Geschwister halten mussten.
Mit 17 Jahren zog Denis in eine größere Stadt, um sein Abitur selbstständig zu organisieren. Anschließend entschied er sich für ein duales Studium. Heute hat Denis das BWL-Bachelorstudium erfolgreich abgeschlossen und startet nun bei einem Arbeitgeber im Textilhandel: "Die Zeit im SOS-Kinderdorf hat mich geprägt. Toleranz, Offenheit und Respekt sind Werte, die ich dort genauso gelernt habe wie den Umgang mit Konflikten und Verlusten, wenn zum Beispiel Freundschaften zerbrochen sind. Meine wichtigste Lektion aber war: Wenn ich bereit bin, Gutes zu teilen, werde ich ebenfalls gefördert."
"Der Zusammenhalt meiner SOS-Familie ist bis heute sehr eng": Vanessa, 25, von 2002 bis 2018 im SOS-Kinderdorf Saar
Vanessa kam im Jahr 2002 in das SOS-Kinderdorf Saar in Merzig. Ihre leiblichen Eltern lebten damals getrennt und hatten Suchtprobleme. Daher wurden Vanessa, mit zwei Jahren, und ihre Schwester, mit sechs Jahren, aus der Familie genommen. Zusammengewohnt haben die leiblichen Geschwister mit vier weiteren Kindern und ihrer Kinderdorfmutter, die alle Mama nannten: "Wir sind schnell zu einer richtigen Familie zusammengewachsen. Wir haben den Tagesablauf gemeinsam gestaltet, alles mit klaren Regeln und Strukturen. Ich erinnere mich, dass wir im Sommer nach dem Abendessen immer länger draußen bleiben durften, um gemeinsam zu spielen."
Mit 18 Jahren ist Vanessa in das "Betreute Wohnen" gezogen und hat später mit ihrem ehemaligen Kinderdorfbruder eine WG gegründet. Seit dem Abschluss ihrer Erzieherinnen-Ausbildung lebt Vanessa in Merzig: "Ich bin in einem Kindergarten der Stadt angestellt und betreue dort sogar junge Menschen aus meinem ehemaligen Kinderdorf."
Der Zusammenhalt der SOS-Familie ist heute noch sehr eng: "Wir treffen uns reihum zum Kaffeetrinken, auch Feste wie Weihnachten feiern wir gemeinsam, meine Geschwister leben fast alle verteilt im Saarland, unsere Kinderdorfmutter sogar in Merzig."
Dass das Modell Kinderdorffamilie auch in die Kritik geraten ist, kann Vanessa zum Teil nachvollziehen: Ihre Kinderdorfmutter musste 2012 frühzeitig in Rente gehen. In den folgenden Jahren hatte sie verschiedene Erzieher*innen im Kinderdorf: "Langfristig Vertrauen aufzubauen, war schwierig, denn nach 24 Stunden war Schichtwechsel."
"Könnte mir vorstellen, bei SOS-Kinderdorf zu arbeiten": Celine Bernhardt, 28, von 2009 bis 2014 im SOS-Kinderdorf Württemberg
Im SOS-Kinderdorf lebte Celine mit vielen gleichaltrigen Kindern zusammen, alle waren untereinander schnell befreundet: "Bis auf normale Streitereien kamen wir sehr gut miteinander aus", so die 28-Jährige. Zuneigung und liebevoller Umgang waren allgegenwärtig: "Ich habe mich dort sehr wohlgefühlt, und bin sehr früh selbstständig geworden. Das war unseren Erzieher*innen ein großes Anliegen. Sie haben alles dafür getan, uns auf das Leben nach SOS-Kinderdorf vorzubereiten. Den Umständen entsprechend war es eine schöne Zeit."
Mit 17 Jahren ist Celine aus dem Kinderdorf ausgezogen, um nach einem Freiwilligen Sozialen Jahr eine Ausbildung zur Kinderpflegerin zu machen. Ursprünglich wollte sich Celine noch zur Erzieherin fortbilden, doch dann ist sie mit ihrem ersten Kind schwanger geworden. Heute sind Celine und ihr Mann glückliche Eltern zweier Söhne im Alter von einem und vier Jahren.
Da Celine mit ihrer Familie nahe dem SOS-Kinderdorf in Schorndorf wohnt, ist sie regelmäßig zu Besuch, besonders wichtig ist ihr dies am Muttertag: "Es ist immer schön, meine alten Erzieherinnen wiederzusehen, zwei sind noch in meinem ehemaligen Wohnhaus. Sobald meine Kinder älter sind, könnte ich mir gut vorstellen, bei SOS-Kinderdorf zu arbeiten. Die Anliegen der Kinder und Jugendlichen würde ich auf jeden Fall gut verstehen."
"Bei SOS durfte ich einfach ich selbst sein": Leonidas, 19, von 2021 bis heute im SOS-Kinderdorf Schleswig-Holstein
Als Leonidas mit 15 Jahren in eine Wohngruppe im SOS-Kinderdorf Schleswig-Holstein kam, hatte er schon einiges hinter sich. Als er fünf Jahre alt war, konnte seine alleinerziehende Mutter sich nicht mehr gut um ihn kümmern. Es folgte eine Kindheit in vier verschiedenen Pflegefamilien: "Ich habe früh gelernt, dass man nicht überall bleiben kann. Ich erinnere mich nicht an alles - aber das Gefühl, nicht gewollt zu sein, kenne ich gut." Als er ins SOS-Kinderdorf Schleswig-Holstein kam, fühlte er sich endlich angenommen - und angekommen: "In meiner Wohngruppe habe ich mich von Anfang an zu Hause gefühlt. Wir hatten viele Freiheiten, aber trotzdem einen klaren Rahmen, alle begegneten mir mit großem Respekt und auf Augenhöhe", erzählt er.
Nach Realschulabschluss und Fachabitur absolviert Leonidas inzwischen eine Ausbildung zum informationstechnischen Fachverkäufer. Und was noch wichtiger für ihn ist: Mit Hilfe der Betreuer*innen von SOS-Kinderdorf konnte er wieder Kontakt mit seiner leiblichen Mutter aufnehmen und ist kürzlich sogar großer Bruder geworden: "Ich sehe meine kleine Schwester regelmäßig und auch mit dem Lebensgefährten meiner Mutter verstehe ich mich gut. Wir wachsen langsam wieder als Familie zusammen."
Aktuell lebt Leonidas im sogenannten Verselbstständigungswohnen des Kinderdorfs; in seinem eigenen kleinen Apartment, mit eigenem Haushalt und allen Pflichten, aber eng angebunden an die Wohngruppe im selben Haus. Er sagt zurecht: "Ich bin schon ein bisschen stolz darauf, wie weit ich heute gekommen bin."
Pressekontakt:
SOS-Kinderdorf e.V.
Gregor Staltmaier
Pressesprecher
Mobil: +49 (0)160 9078 6623
gregor.staltmaier@sos-kinderdorf.de
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