von Christa Spoerle
Moneycab: Herr Acket , die Schweizer Wirtschaft wächst trotz Rezession im Euroraum, wird das bis zum Jahresende so bleiben? Wie sehen ihre Prognosen für 2013 und 2014 aus?
Janwillem Acket: Die Wahrscheinlichkeit, dass wir bis zum Ende des Jahres wachsen, ist sehr gross. Unsere Wachstumsprognosen lauten auf 1,4% für 2013 und 1,6% für 2014. In den letzten anderthalb Jahren sind wir überrascht worden von der starken Inlandsnachfrage. Sie wurde vor allem ausgelöst durch das deutliche Bevölkerungswachstum mit dem Zuzug qualifizierter Arbeitskräfte aus dem EU-Raum. Die robuste Konjunktur hängt aber auch mit der Beruhigung an der Währungsfront durch die SNB seit dem 6. September 2011 zusammen, die bei Bedarf mit unbeschränkten Eurokäufen den Mindestkurs von EUR/CHF bisher erfolgreich verteidigt.
Die grosse Bedrohung durch den Euro hat sich damit abgeschwächt, insbesondere auch seit EZB-Präsident Mario Draghi im Sommer 2012 seine Entschlossenheit, alles zu tun, um den Euro zu retten, zum Ausdruck gebracht hat. Am 6 September 2012 präsentierte er das umstrittene Outright Monetary Transactions Programm (OMT), unter dem die EZB unter strengen Bedingungen unlimitiert Staatsanleihen der Euro-Zone kaufen kann. Diese Periode mit grossen Interventionen und starken Zunahmen der Währungsreserven hat die Schweiz gut überstanden. Davon konnte vor allem auch die Exportwirtschaft profitieren, die trotzdem kein einfaches Leben mit den deflationären Tendenzen in Europa und der allgemein schwachen Weltkonjunktur hat. Statt 5-6% wächst der Welthandel mit lediglich 1,5-2,5%. bisher nur schwach.
"Die Inlandnachfrage wird Hauptwachstumsträger sein."
Janwillem Acket, Chefökonomen Bank Julius Bär
Welches sind die wichtigsten Einflussfaktoren für unser Wachstum?
Der Konsum ist für die Schweizer Konjunktur zum dominanten Faktor geworden, rund 60% des Bruttoinlandprodukts werden vom inländischen Konsum getragen. Er kompensiert die Schwäche der Ausrüstungsinvestitionen. Während der Bausektor durch die historisch tiefen Hypothekarzinsen ebenfalls einen positiven Beitrag leisten sollte. Allerdings hat die Zweitwohnungsinsitiative auch für zwischenzeitlich etwas hektische Baubewilligungen und somit leichte Verzerrungen bei der Bauaktivität gesorgt. Die Wohnbaunachfrage dürfte bald nicht im gleichen Tempo wie bisher weiter wachsen, aber durch Infrastrukturausgaben könnte sich der Tiefbau auch als Wachstumsträger erweisen.
Insgesamt kann man also sagen, dass die starke inländische Nachfrage eine gewisse Schwäche im Exportbereich kompensieren kann. Der Wachstumsbeitrag des inländischen Konsums auf die erwarteten 1,4% BIP-Wachstum 2013 dürfte bei 1,3% liegen, der Nettoexportbereich nur einen leicht positiven Einfluss haben, die Ausrüstungsinvestitionen leicht bremsen, die Investitionen insgesamt neutral bleiben. 2014 ist allerdings mit Nachholbedarf bei den Investitionen zu rechnen, während die Exporte sogar einen leicht negativen Einfluss ausüben könnten. Insgesamt wird aber die Inlandnachfrage wieder Hauptwachstumsträger sein.
Welche Branchen sind bevorzugt, welche zeigen etwas Mühe?
Exporteure im Metall-, Elektronik und Maschinenbereich, aber zum Teil auch bei der Chemie und Textilindustrie dürften noch zu kämpfen haben. Luxusgüter, Nahrungs- und Genussmittel schneiden auch in schwach wachsenden Märkten besser ab. Die Branchen, die konsumnahe auf das Inland konzentriert sind, bleiben begünstigt. Je nach Region kämpft die Tourismusbranche ganz unterschiedlich mit der starken ausländischen Konkurrenz. Diejenigen Regionen, die auf asiatische Länder ausgerichtet sind, dürften besser abschneiden, als diejenigen, die vor allem nach Europa orientiert sind. Nicht zuletzt wegen der Wechselkurssituation. In den Messestädten Basel, Zürich, aber auch Genf, dürfte die Hotellerie dagegen gut laufen.
Haben die Banken aus der Immobilienkrise der 90er Jahre wirklich etwas gelernt? Wird der Immobilienboom bei steigenden Zinsen ein moderates Ende finden?
Ja, davon bin ich überzeugt. Die Banken haben aus der Immobilienkrise gelernt haben. Der Immobilienboom wird sich bei steigenden Zinsen wieder normalisieren und ein moderates Ende finden. Regional ist dieser Boom allerdings sehr unterschiedlich ausgeprägt, mit einigen überhitzten Zonen. Die SNB hat jetzt den antizyklischen Kapitalpuffer eingesetzt, der aber erst ab September greifen wird. Diesen kann sie noch verschärfen und damit auch das Verhalten der Banken beeinflussen.
Für die SNB bleiben Inlandbanken mit überdurchschnittlichen Hypothekarwachstumsraten im kritischen Fokus. Wichtig wird vor allem sein, dass man die, wie ich sie nenne, Grenzwohnungskäufer gut betreut. Das sind diejenigen, die sich etwas kurzfristig orientiert ausrechnen, dass günstige Hypotheken billiger sind als Mieten, aber nur über wenig Eigenmittel verfügen. Glücklicherweise simulieren die betroffenen Banken für ihre Kreditportfolien auch Szenarien mit Hypozinsen von 5% und mehr, um die Anfälligkeit ihres Hypothekenportfolios vor Zahlungsausfällen zu überprüfen; jede Bank geht da aber individuell etwas anders vor. Ich bin heute überzeugt, die betroffenen Banken sind sich der möglichen Probleme durchaus bewusst, zu schmerzhaft waren die Erfahrungen der 1990er Jahre.
"Die Banken sind sich der möglichen Probleme (am Immobilienmarkt) durchaus bewusst, zu schmerzhaft waren die Erfahrungen der 1990er Jahre."
Wird die SNB den Frankenkurs weiter bei 1,20 zum Euro halten und die Wirtschaft grosszügig mit Geld versorgen wollen?
Solange wir noch eine grosse Euro-Reformbaustelle haben, wird die Schweizerische Nationalbank (SNB) an ihrer Mindestkurspolitik festhalten. Im vergangenen Mai gab es eine deutliche Entspannung mit Kursen gegen 1,27 für den Euro. Aber die Ankündigung von Fed-Chef Ben Bernanke, am 22. Mai, sich langsam von den unkonventionellen Massnahmen seiner Geldpolitik zu lösen, hat kurzfristig fast panische Reaktionen an allen Finanzmärkten ausgelöst. Er hat ein mögliches Ende des Anleihekaufprogramms "Quantitative Easing 3? schon für Mitte 2014 ankündigt, sollten sich US-Wirtschaft und Arbeitsmarkt so entwickeln, wie das Federal Reserve Board es erwartet. Die Folge war auch eine schnelle Korrektur des Frankens wieder näher zum Niveau des Mindestkurses, also ein Warnschuss für die SNB.
In ihrer Halbjahres-Standortbestimmung für die Geldpolitik am 20. Juni hat die SNB kommentiert, dass bis 2016 keine Teuerungsgefahren zu erwarten sind und die 3-Monats-CHF-Libor-Zinsen vorerst nahe dem Nullniveau gehalten werden können. Sicher dürfte dies 2014 und vermutlich auch in 2015 noch der Fall sein, wenn keine Gefahr für Instabilität besteht. Erst wenn sich die Lage in Europa zumindest beruhigt hat und der Euro-Franken-Kurs sich dem Kaufkraftniveau von 1,30 CHF annähert, dann könnte man davon ausgehen, dass die SNB stillschweigend auf einen Mindestkurs verzichten dürfte. Solange aber die massiven Unsicherheiten weiter bestehen, wird die SNB kein Exit-Szenario ins Auge fassen.
Mit den Makrodaten, welche die Schweiz im Umfeld eines rezessiven Europas aufweist, darf man sie getrost als Insel der Glückseligen bezeichnen. Dazu kommt noch die leicht negative Preisentwicklung, ohne deflationär zu wirken; all dies macht die Schweiz nun mal attraktiv. Wieso sollte der Franken dann eigentlich schwächer werden? Da müsste eher die Annäherung Europas an die Schweizer Verhältnisse für eine Veränderung der Wechselkurssituation sorgen. Aufgrund der Qualität der Schweizer Wirtschaft ist die SNB gezwungen, an ihrer Mindestkurspolitik und an ihrer grosszügigen Geldpolitik festzuhalten. ...
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