Winterthur - Die Malerei der Neuen Sachlichkeit aus der Zwischenkriegszeit ist als Stilrichtung heute wenig präsent. Das Museum Oskar Reinhart stellt sie nun auf den Prüfstand. Dies schreibt Journal 21 in der Ausgabe vom 9. Oktober.
Eine der Folgen des Ersten Weltkriegs war die Destabilisierung im überlieferten Wertgefüge der westlichen Welt. Ein unvorstellbares Ausmass an Grausamkeit und Zerstörung war von kriegführenden Ländern verübt worden, die sich stolz als "Kulturnationen" verstanden. In der Folge war das geistige Erbe der vorangegangenen Jahrhunderte in seiner Geltung als Basis der Gesellschaft schwer erschüttert.
Das Beben war schon angekündigt
Wichtige Strömungen der Kunst hatten das Beben frühzeitig angekündigt. Aufbrüche zu neuen Themen, Formen und Stilen hatten schon im "Fin de siècle" begonnen und sich im frühen 20. Jahrhundert radikalisiert. In und nach der Katastrophe des grossen Kriegs sahen viele gerade auch die Kultur an einem Nullpunkt. In Musik, Schriftstellerei und bildender Kunst kam es zu radikalen Neuansätzen. Sie definieren bis heute die Spannweite künstlerischer Ausdrucksformen.
Seither ist in der bildenden Kunst die Ästhetik des Abbildens aufgebrochen durch Reflexion und Abstraktion. Die einst selbstverständlich gebotene naturalistische Malweise steht nun neben expressiven und konstruktiven Stilen. Neue Medien wie Ready Mades und Installationen haben die bildnerischen Mittel erweitert. Seit hundert Jahren bewegt sich das visuelle Gestalten in einem entgrenzten Raum des Vorstellbaren, wie dies in ähnlicher Weise auch etwa in den Naturwissenschaften der Fall ist.
In der Nähe des Surrealismus
Die in der Zwischenkriegszeit entstandene Malerei der "Neuen Sachlichkeit" wird oft als Gegenbewegung zu diesen modernen Aufbrüchen gesehen, als ein Zurück zur figurativen, die Natur abbildenden Kunst. Die Ausstellung "Neu. Sachlich. Schweiz." im Museum Oskar Reinhart gibt Gelegenheit, diese Einschätzung zu überprüfen. In der Tat ist eine neue Bewertung und Einordnung fällig. Eine Überblicksschau der Schweizer Neusachlichen hat es seit vierzig Jahren nicht mehr und in dieser konsequenten Ausrichtung noch gar nie gegeben.
Konsequent zu sein bei Erfassung und Abgrenzung der Neuen Sachlichkeit ist allerdings schwierig. Die unter diesem Label gezeigten Künstler (ja, es sind alles Männer) haben sich nie als Gruppe formiert und ihr Verständnis von Malerei nicht selber formuliert. Gemeinsam ist ihnen das Figurative, das ...
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