Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) hat mit seinen Äußerungen über einen möglichen Verzicht auf die geplante Mehrwertsteuer-Erhöhung heftigen Widerspruch ausgelöst. Die Ministerpräsidenten von Hessen und Thüringen, Roland Koch und Dieter Althaus (beide CDU), sahen keinen Spielraum für einen solchen Schritt. Kritik kam auch von SPD und Grünen. Die FDP fühlte sich dagegen mit ihren Einwänden gegen die geplante Anhebung bestätigt.
Böhmer hatte seinen Vorstoß unter den Vorbehalt einer Konjunkturverbesserung gestellt. Aus heutiger Sicht sei es zwar erforderlich, die Mehrwertsteuer zum 1. Januar 2007 von 16 auf 19 Prozent zu erhöhen, sagte er der "Bild am Sonntag". "Doch wenn sich die Steuerentwicklung im Lauf des Jahres weiter verbessert, sollte man diese Frage Ende des Jahres noch einmal neu stellen." Die Wirtschaftsforschungsinstitute hatten zuletzt ihre Wachstumsprognosen nach oben korrigiert und damit auch höhere Steuereinnahmen in Aussicht gestellt.
Koch sagte am Sonntagabend in der ZDF-Sendung "Berlin direkt", die im Koalitionsvertrag festgelegten Ziele zur Haushaltssanierung seien "so ambitioniert und auch so mutig gerechnet, dass ich im Moment niemandem Hoffnung machen möchte, dass es anders geht, als wir verabredet haben". Dies betreffe auch die Mehrwertsteuererhöhung. Althaus sagte der "Thüringer Allgemeinen" (Montag), die zusätzlichen Einnahmen aus der Mehrwertsteuererhöhung sollten auf Bundes- und Landesebene zu einer Senkung der Neuverschuldung eingesetzt werden.
Die Grünen warfen Böhmer "unverbindliches Wahlkampfgetöse" angesichts der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt im März vor. "Wir unterstützen seinen Vorschlag, aber halten ihn nicht für glaubwürdig. Das ist eine Kampfansage mit eingebautem Verfallsdatum: dem 26. März", sagte Parteigeschäftsführerin Steffi Lemke der dpa in Berlin.
Der Vorsitzende der SPD-Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt, Jens Bullerjahn, sagte der "Mitteldeutschen Zeitung" (Montag), wenn die Neuverschuldung wie von Böhmer angekündigt deutlich verringert werden solle, sei die Mehrwertsteuererhöhung unverzichtbar. Der SPD- Finanz-Experte und Sprecher des SPD-rechten Seeheimer Kreises, Klaas Hübner, sagte dem Blatt, für den Bund bedeuteten ein Prozent mehr Wachstum zusätzliche Einnahmen von rund zwei Milliarden Euro. Ein Prozent Mehrwertsteuer mache aber acht Milliarden aus.
Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der FDP- Bundestagsfraktion, Cornelia Pieper, sagte dagegen dem Blatt: "Unsere Einwände gegen die Erhöhung haben offenbar gewirkt." Steuererhöhungen seien insbesondere in den neuen Ländern "Gift für die Wirtschaft".
Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) warnte unterdessen mit Blick auf den Wunsch von Sozialpolitikern der großen Koalition, die Mitversicherung von Kindern über Steuern zu finanzieren: "Wer das fordert, müsste also auch sagen, dass die Mehrwertsteuer dann von 19 auf 21 Prozent steigt oder dass die Einkommensteuersätze angehoben werden." Er fügte in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" hinzu: "Dazu schweigen die verehrten Kollegen allerdings."
Schleswig-Holsteins Finanzminister Rainer Wiegard (CDU) forderte in einem dpa-Gespräch die Abschaffung des ermäßigten Mehrwertsteuer- Satzes für Lebensmittel und andere Produkte. "Anstatt diesen Bonus gleichmäßig auf alle zu verteilen, sollten wir lieber etwas zu Gunsten der wirklich Bedürftigen auf die Sozialrente oder Sozialhilfe draufsetzen." Der ermäßigte Satz (7 statt 16 Prozent) solle ja eigentlich dazu dienen, allen Menschen steuervergünstigt Grundnahrungsmittel wie Kartoffeln oder Brot zur Verfügung zu stellen. Das System werde aber durch Tricks oft unterlaufen./ll/bk/DP/zb
AXC0061 2006-01-22/19:35