100 Tage Pragmatismus
Rot-Schwarz kommt gut an, weil die große Koalition so ist wie Deutschland selbst: Durchschnitt/ von Margaret Heckel
Seit 16 Jahren sitzt Ronald Pofalla schon im Bundestag für die CDU, und dennoch klagten einige Abgeordnete, sie wüssten gar nicht, wofür er steht. Trotzdem wurde der 46-jährige Rechtsanwalt vorige Woche mit überwältigender Mehrheit zum neuen CDU-Generalsekretär gewählt. Seine Profillosigkeit scheint kein Nachteil, sondern eher ein Vorteil zu sein. Pofalla gilt als wenig ideologisch, offen, gesprächsbereit. Und vor allem: effizient.
Damit ist er so etwas wie der Prototyp der großen Koalition. Deren Ziel ist es nicht, Deutschland zu verändern. Sie will, dass das Land wieder funktioniert. Oder, um in der Merkel-Sprache zu bleiben: ?Kleine Schritte? statt ?großer Würfe ?. Das ist weit weniger ambitioniert als das Kohlsche Werte- und Vereinigungspathos oder das rot-grüne Projekt.
Dafür scheint es weder die Protagonisten noch die Bevölkerung zu überfordern. Nachdem Deutschland in vielen Bereichen von der Bildung bis zum Wirtschaftswachstum in den vergangenen Jahren unterdurchschnittlich war, könnte es so immerhin gelingen, wieder Durchschnitt zu werden. Mehr allerdings auch nicht.
Das bislang illustrativste Beispiel für diesen Politikstil ist die Debatte um die Absetzbarkeit von Betreuungskosten für Kinder. Eigentlich wollte Familienministerin Ursula von der Leyen ein höchst elitäres Programm starten: Doppelverdiener mit Kindern sollten ermuntert werden, mit Hilfe von großzügigen Steuerabzügen Haushaltshilfen legal einzustellen. Dies war eine Politik für eine Minderheit in der Bevölkerung - allerdings eine sehr zielgerichtete. Mit den vorgesehenen Förderbeträgen wäre es realistisch gewesen, dass in Privathaushalten einige Zehntausend neuer legaler Jobs geschaffen worden und entsprechend viele Menschen aus der Arbeitslosigkeit geholt worden wären.
Doch der Politneuling von der Leyen hatte keine Chance gegen die Durchschnittspolitiker und ihre Durchschnittsargumente. Nun wird die Förderung so ausgelegt, dass alle mit Kindern etwas abbekommen. Wenig, aber dafür im Durchschnitt. Das befriedigt das Gerechtigkeitsempfinden und wird deshalb anscheinend als gut empfunden. Das eigentliche Ziel wird jedoch nicht erreicht, denn kein einziger neuer Arbeitsplatz dürfte dadurch geschaffen werden.
Durchschnittspolitik ist auch der soeben aufgestellte Haushalt für dieses Jahr. Fast alle Experten - unter der Hand auch der Finanzminister - sagen, dass es möglich gewesen wäre, dieses Jahr das Drei-Prozent-Defizitkriterium einzuhalten. Allerdings hätte das neue Sparprogramm einen großen Kraftakt bedeutet. Mithin also das Gegenteil einer Politik, von der der Durchschnitt profitiert. Also wird Deutschland in diesem Jahr wieder gegen die Defizitgrenze verstoßen und sich dafür der verschärften Aufsicht der EU-Kommission unterwerfen. Sollte diese radikale, also nicht durchschnittliche, Schritte einfordern, kann man die Verantwortung dafür bequem auf sie abschieben.
Wenn Politik für den Durchschnitt allerdings bedeutet, Klientelpolitik zu entsagen, ist sie manchmal sogar ausgesprochen hilfreich. Hier ist die 100-Tage-Bilanz von Rot-Schwarz noch nicht eindeutig. Einerseits hat die große Koalition die so genannte 58er-Regel verlängert, nach der Ältere unter bestimmten Bedingungen vor dem regulären Rentenalter in Frührente gehen können. Das nützt einer kleinen Gruppe von Betroffenen und ihren Arbeitgebern, muss aber von der Allgemeinheit der Sozialabgabenzahler teuer mitfinanziert werden.
Auf der anderen Seite hat Bundesarbeitsminister Franz Müntefering bislang bei dem sozialpolitisch viel wichtigeren Projekt der ?Rente mit 67? Klientelforderungen standgehalten. Das ist umso verdienstvoller, als weite Teile seiner eigenen Partei Ausnahmen für bestimmte Berufsgruppen fordern. Bleibt es dabei, wird hier sinnvoll Politik für den Durchschnitt gemacht: Wer 45 Jahre Beiträge gezahlt hat, kann ohne Abschläge in Rente gehen. Wer nicht, muss länger arbeiten, gegebenenfalls bis 67.
Eine Rückkehr zum Durchschnitt im Sinne einer Abkehr von Extratouren lässt sich auch in der Außenpolitik konstatieren. Hier war es Angela Merkel selbst, die als Bundeskanzlerin den abweichenden Kurs ihres Vorgängers korrigiert hat. Statt auf Sonderwegen mit Frankreich zu marschieren, hat sie Deutschland wieder auf mittleren Kurs gelenkt - ins Zentrum der EU, kritisch-distanzierter zu Russland, näher an der transatlantischen Wertegemeinschaft.
Nun sind 100 Tage nicht viel mehr als ein mehr oder weniger willkürlich festgelegter Zeitraum. Ursprünglich geht die 100-Tage-Frist auf den US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt zurück, der sein ?New Deal?-Programm in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts so begründete: Man werde in 100 Tagen die ersten positiven Folgen der Reform sehen können.
Nach 100 Tagen Merkel/Müntefering lässt sich konstatieren, dass sich die Bevölkerung vom rot-grünen Reformstress erholt hat. Was offensichtlich als Überforderung empfunden wurde, hat nachgelassen. Was jetzt gefordert wird, scheint als machbar gesehen zu werden.
Dass die Regierung hier wieder im Einklang mit der Bevölkerung ist, ist vor allem für ihre oberste Repräsentantin angenehm, für Angela Merkel. Es spiegelt sich sehr klar in ihren außerordentlich guten Ratings wider. Keiner ihrer Vorgänger hat eine derartige Popularität im Volk erreicht wie die Frau aus dem Osten, der dies kaum einer vor ihrer Wahl zugetraut hätte.
Ausgerechnet für sie dürfte die Durchschnittlichkeit ihrer Regierung allerdings auch zum größten Problem werden. Mit diesem Politikstil verabschiedet sie sich von Spitzenleistungen und Radikalreformen, die sie vor ihrer Wahl noch gefordert hatte. Das dürfte natürlich dem Schock der Wahlnacht geschuldet sein.
Dass Angela Merkel heute so viel milder, gemäßigter und massenkompatibler erscheint, dürfte sehr viel mit diesen Stunden zu tun haben, als die Wähler ihr Radikalprogramm abstraften. Und der Koalitionsarithmetik von Rot-Schwarz kommt Durchschnittlichkeit ohnehin sehr viel mehr entgegen als Spitzenanstrengungen. Macht weniger Mühe und mehr Freunde.
Kontakt: Kommentar@ftd.de
Ines Zöttl - 030/22074169
Horst von Buttlar - 040/31990236
Leo Klimm - 040/31990311
Dies ist eine Pressestimme der Financial Times Deutschland. Für Text und Inhalt ist ausschließlich die Financial Times Deutschland verantwortlich. Die geäußerten Ansichten reflektieren auch nicht die Ansichten von Dow Jones Newswires oder der Dow Jones and Company Inc.
Rot-Schwarz kommt gut an, weil die große Koalition so ist wie Deutschland selbst: Durchschnitt/ von Margaret Heckel
Seit 16 Jahren sitzt Ronald Pofalla schon im Bundestag für die CDU, und dennoch klagten einige Abgeordnete, sie wüssten gar nicht, wofür er steht. Trotzdem wurde der 46-jährige Rechtsanwalt vorige Woche mit überwältigender Mehrheit zum neuen CDU-Generalsekretär gewählt. Seine Profillosigkeit scheint kein Nachteil, sondern eher ein Vorteil zu sein. Pofalla gilt als wenig ideologisch, offen, gesprächsbereit. Und vor allem: effizient.
Damit ist er so etwas wie der Prototyp der großen Koalition. Deren Ziel ist es nicht, Deutschland zu verändern. Sie will, dass das Land wieder funktioniert. Oder, um in der Merkel-Sprache zu bleiben: ?Kleine Schritte? statt ?großer Würfe ?. Das ist weit weniger ambitioniert als das Kohlsche Werte- und Vereinigungspathos oder das rot-grüne Projekt.
Dafür scheint es weder die Protagonisten noch die Bevölkerung zu überfordern. Nachdem Deutschland in vielen Bereichen von der Bildung bis zum Wirtschaftswachstum in den vergangenen Jahren unterdurchschnittlich war, könnte es so immerhin gelingen, wieder Durchschnitt zu werden. Mehr allerdings auch nicht.
Das bislang illustrativste Beispiel für diesen Politikstil ist die Debatte um die Absetzbarkeit von Betreuungskosten für Kinder. Eigentlich wollte Familienministerin Ursula von der Leyen ein höchst elitäres Programm starten: Doppelverdiener mit Kindern sollten ermuntert werden, mit Hilfe von großzügigen Steuerabzügen Haushaltshilfen legal einzustellen. Dies war eine Politik für eine Minderheit in der Bevölkerung - allerdings eine sehr zielgerichtete. Mit den vorgesehenen Förderbeträgen wäre es realistisch gewesen, dass in Privathaushalten einige Zehntausend neuer legaler Jobs geschaffen worden und entsprechend viele Menschen aus der Arbeitslosigkeit geholt worden wären.
Doch der Politneuling von der Leyen hatte keine Chance gegen die Durchschnittspolitiker und ihre Durchschnittsargumente. Nun wird die Förderung so ausgelegt, dass alle mit Kindern etwas abbekommen. Wenig, aber dafür im Durchschnitt. Das befriedigt das Gerechtigkeitsempfinden und wird deshalb anscheinend als gut empfunden. Das eigentliche Ziel wird jedoch nicht erreicht, denn kein einziger neuer Arbeitsplatz dürfte dadurch geschaffen werden.
Durchschnittspolitik ist auch der soeben aufgestellte Haushalt für dieses Jahr. Fast alle Experten - unter der Hand auch der Finanzminister - sagen, dass es möglich gewesen wäre, dieses Jahr das Drei-Prozent-Defizitkriterium einzuhalten. Allerdings hätte das neue Sparprogramm einen großen Kraftakt bedeutet. Mithin also das Gegenteil einer Politik, von der der Durchschnitt profitiert. Also wird Deutschland in diesem Jahr wieder gegen die Defizitgrenze verstoßen und sich dafür der verschärften Aufsicht der EU-Kommission unterwerfen. Sollte diese radikale, also nicht durchschnittliche, Schritte einfordern, kann man die Verantwortung dafür bequem auf sie abschieben.
Wenn Politik für den Durchschnitt allerdings bedeutet, Klientelpolitik zu entsagen, ist sie manchmal sogar ausgesprochen hilfreich. Hier ist die 100-Tage-Bilanz von Rot-Schwarz noch nicht eindeutig. Einerseits hat die große Koalition die so genannte 58er-Regel verlängert, nach der Ältere unter bestimmten Bedingungen vor dem regulären Rentenalter in Frührente gehen können. Das nützt einer kleinen Gruppe von Betroffenen und ihren Arbeitgebern, muss aber von der Allgemeinheit der Sozialabgabenzahler teuer mitfinanziert werden.
Auf der anderen Seite hat Bundesarbeitsminister Franz Müntefering bislang bei dem sozialpolitisch viel wichtigeren Projekt der ?Rente mit 67? Klientelforderungen standgehalten. Das ist umso verdienstvoller, als weite Teile seiner eigenen Partei Ausnahmen für bestimmte Berufsgruppen fordern. Bleibt es dabei, wird hier sinnvoll Politik für den Durchschnitt gemacht: Wer 45 Jahre Beiträge gezahlt hat, kann ohne Abschläge in Rente gehen. Wer nicht, muss länger arbeiten, gegebenenfalls bis 67.
Eine Rückkehr zum Durchschnitt im Sinne einer Abkehr von Extratouren lässt sich auch in der Außenpolitik konstatieren. Hier war es Angela Merkel selbst, die als Bundeskanzlerin den abweichenden Kurs ihres Vorgängers korrigiert hat. Statt auf Sonderwegen mit Frankreich zu marschieren, hat sie Deutschland wieder auf mittleren Kurs gelenkt - ins Zentrum der EU, kritisch-distanzierter zu Russland, näher an der transatlantischen Wertegemeinschaft.
Nun sind 100 Tage nicht viel mehr als ein mehr oder weniger willkürlich festgelegter Zeitraum. Ursprünglich geht die 100-Tage-Frist auf den US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt zurück, der sein ?New Deal?-Programm in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts so begründete: Man werde in 100 Tagen die ersten positiven Folgen der Reform sehen können.
Nach 100 Tagen Merkel/Müntefering lässt sich konstatieren, dass sich die Bevölkerung vom rot-grünen Reformstress erholt hat. Was offensichtlich als Überforderung empfunden wurde, hat nachgelassen. Was jetzt gefordert wird, scheint als machbar gesehen zu werden.
Dass die Regierung hier wieder im Einklang mit der Bevölkerung ist, ist vor allem für ihre oberste Repräsentantin angenehm, für Angela Merkel. Es spiegelt sich sehr klar in ihren außerordentlich guten Ratings wider. Keiner ihrer Vorgänger hat eine derartige Popularität im Volk erreicht wie die Frau aus dem Osten, der dies kaum einer vor ihrer Wahl zugetraut hätte.
Ausgerechnet für sie dürfte die Durchschnittlichkeit ihrer Regierung allerdings auch zum größten Problem werden. Mit diesem Politikstil verabschiedet sie sich von Spitzenleistungen und Radikalreformen, die sie vor ihrer Wahl noch gefordert hatte. Das dürfte natürlich dem Schock der Wahlnacht geschuldet sein.
Dass Angela Merkel heute so viel milder, gemäßigter und massenkompatibler erscheint, dürfte sehr viel mit diesen Stunden zu tun haben, als die Wähler ihr Radikalprogramm abstraften. Und der Koalitionsarithmetik von Rot-Schwarz kommt Durchschnittlichkeit ohnehin sehr viel mehr entgegen als Spitzenanstrengungen. Macht weniger Mühe und mehr Freunde.
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