Gelähmtes Land Es ist ein Ritual der Franzosen: Immer wenn eine Regierung die Sozialsysteme oder das Arbeitsrecht reformieren will, gehen sie in Massen auf die Straße. Ihre Gewerkschaften drohen dann mit Generalstreik, um das Vorhaben zu kippen - und die Regierung gleich mit. Oft schon haben die Massen, die ihren Reflex zur Reverenz an die Französische Revolution überhöhen, die Kämpfe gewonnen. Doch mit jedem Kampf, den sie gewinnen, lähmen sie Frankreich mehr. Ein Musterbeispiel für den Irrsinn des Revolutionsreflexes sind die Proteste gegen den ?Ersteinstellungsvertrag?, mit dem der aktuelle Premier Dominique de Villepin den Kündigungsschutz für junge Arbeitnehmer in den ersten zwei Berufsjahren abschaffen will: Ein Großteil derer, die am Samstag auf der Straße waren, sind von der Reform überhaupt nicht betroffen, weil sie schon lang im Arbeitsleben stehen. Ihr Protest ist prophylaktisch, damit die Regierung nicht auf die Idee kommt, eines Tages an die Privilegien heranzugehen, die viele französische Arbeitnehmer besitzen. Auch die Studenten sind nicht jene, auf die de Villepins Reform zielt, weil sie meist wenig Probleme haben, einen Job zu finden. Das Gros der jungen Arbeitslosen, die von der Flexibilisierung des Arbeitsrechts profitieren sollen, sind jene, die am elitistischen Schulsystem scheitern und für die der Staat keine Alternative bereithält. Das sind nicht die Kinder der Mittelschicht, die heute vereinzelt Autos anzünden - es sind jene, die im Herbst in den Vorstadtghettos Autos zu Tausenden abfackelten. Ihnen könnte die Reform tatsächlich helfen bei der Integration in die Arbeitswelt und in die Gesellschaft. De Villepins Fehler war, sie nicht allein für diese Gruppe gelten zu lassen. Aber selbst dann hätte er damit rechnen müssen, dass die französische Mittelschicht alles tut, um die Unreformierbarkeit des Landes zu beweisen.
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Leo Klimm - 040/31990311
Dies ist eine Pressestimme der Financial Times Deutschland. Für Text und Inhalt ist ausschließlich die Financial Times Deutschland verantwortlich. Die geäußerten Ansichten reflektieren auch nicht die Ansichten von Dow Jones Newswires oder der Dow Jones and Company Inc.
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