Bleibt ehrlich, Christdemokraten
Die CDU darf sich mit ihrem neuen Grundsatzprogramm nicht von Reformen und der Realität verabschieden/ von Andreas Theyssen
Die CDU gibt sich ein neues Grundsatzprogramm. Das ist auch gut so. Die Zeiten sind schnelllebig, die Globalisierung ist gnadenlos, und das alte Programm der Christdemokraten stammt von 1994. Da hatten sie beispielsweise übersehen, dass Deutschland ein demografisches Problem bekommt und das Land ein paar Antworten braucht. Ergo besteht in der Tat akuter Renovierungsbedarf.
Schon vor der ersten Sitzung der Grundsatzprogrammkommission an diesem Montag hat die interne Debatte der Christdemokraten allerdings einen unerquicklichen Spin bekommen. Denn sie wird nicht unter programmatischen, sondern unter wahlkampfstrategischen Vorzeichen geführt. Man will in der Kommission den Bundestagswahlkampf 2005 aufarbeiten, der mit einem miserablen Stimmenergebnis endete. Die Diskussion darüber hatte Parteichefin Angela Merkel - aus sehr nachvollziehbaren Gründen - bislang abgewürgt.
Die Wahl ging reichlich in die Hose, so die Analyse der Adenauer-Haus-Spitze, weil Reformen wie Mehrwertsteuererhöhung oder Kopfpauschale beim Wähler nicht ankamen. Die Konsequenz der CDU-Spitzenanalysten: Mit einem marktwirtschaftlichen Programm könne man keine Mehrheiten holen, die Partei müsse sich sozialer gerieren. Übersetzung aus dem Christdemokratischen: Wir erzählen den Wählern nicht mehr ehrlich, was getan werden muss, sondern was sie hören wollen.
Es ist reichlich seltsam, was die Regierungspartei gerade veranstaltet. Zum einen gehört die laufende Debatte nicht in eine Grundsatzprogrammkommission. Denn dort muss etwa geklärt werden, wie die CDU mit der Überalterung Deutschlands umzugehen gedenkt, an welchem Familienbild sie ihre Politik ausrichtet, wie das Handling einer von Zuwanderung geprägten Bevölkerung aussehen könnte.
Zum anderen sind langfristig angelegte Wahlkampfstrategien mittlerweile ein aufwändiger Beitrag zur Bestückung von Papierkörben. Die Entscheidungen der Wähler fallen immer kurzfristiger, wie das Debakel der Demoskopen bei der letzten Bundestagswahl belegt. Auch 2002 ist ein gutes Beispiel: Ein bisschen Flut im ganz nahen Osten, ein dräuender Krieg im Mittleren Osten - beides keine planbaren Wahlkampfevents - reichten dem angeschlagenen Gerhard Schröder, um den Favoriten Edmund Stoiber zu schlagen.
Vor allem übersehen die Christdemokraten, dass das Ergebnis ihrer Wahlkampfanalyse falsch ist. Denn Hauptursache ihrer Schlappe waren weder zu viel Reformeifer noch zu viel Ehrlichkeit - die Ursache war Angela Merkel.
Nur im Biotop der Berliner Parteizentralen kann man auf die Idee verfallen, der Wähler orientiere sich bei der Stimmabgabe an Parteiprogrammen. Das Gros entscheidet nach Eindrücken, die sich am einfachsten anhand der Spitzenkandidaten festmachen lassen. So wurde Schröder 1998 Kanzler, weil er frischer, lockerer wirkte als der verbrauchte Patriarch Helmut Kohl. 2002 blieb er Kanzler, weil er den Deutschen letztendlich sympathischer erschien als der bayerische Aktenvertilger Edmund Stoiber. 2005 wäre er um ein Haar Kanzler geblieben, weil der nach außen joviale Schulterklopfer den Wählern vertrauter erschien als die verschlossene Ostdeutsche Angela Merkel, deren jahrelang herabhängende Mundwinkel sich ins kollektive Gedächtnis eingegraben hatten.
Den Merkel-Malus braucht die CDU indes nicht mehr zu fürchten. 2009 wird die Spitzenkandidatin den Deutschen vertrauter sein als jeder derzeit denkbare SPD-Herausforderer. Seit sie Kanzlerin ist, wirkt sie zudem gelöster und souveräner. Und sie wird noch geraume Zeit von der im Moment vorherrschenden Meinung profitieren, dass sie ihren Job - vor allem dank internationaler Auftritte - sehr ordentlich macht. Kurzum: Merkel war ein Problem für die CDU, wird künftig aber keines mehr sein.
Die Christdemokraten sollten daher auf den Weg zurückkehren, den sie auf ihrem Leipziger Parteitag Ende 2003 eingeschlagen - und nach der letzten Bundestagswahl verlassen - haben. Sehr rational hatten sie die deutsche Malaise analysiert, Rezepte für Gegenmaßnahmen erarbeitet und ihre bittere Arznei im Wahlkampf offensiv und ehrlich publik gemacht.
Warum sollte die CDU hinter diese Linie zurückfallen? Ein bisschen Riester-Rente und vielleicht demnächst ein Quäntchen Kopfpauschale ändern nichts an dem Umstand, dass in Deutschland Renten-, Gesundheits-, Pflegeversicherung und das Steuersystem radikal umgebaut werden müssen. Denn eine durch Überalterung der Gesellschaft schrumpfende Arbeitsbevölkerung wird von den Lasten, die ihnen das gegenwärtige Sozialversicherungssystem aufbürden wird, erdrückt werden. An diesem Umstand hat sich in den letzten zwei Jahren nichts geändert, und in diesem Punkt braucht auch die CDU keine Veränderung.
Ausgerechnet die konservative CDU war im letzten Herbst Avantgarde. Mit ihrer Ankündigung, im Falle eines Wahlsieges die Mehrwertsteuer deutlich erhöhen zu wollen, löste sie sich von einem bis dato ehernen Kampagnenprinzip: vor der Wahl ausschließlich Wohltaten zu verheißen, um nach dem Sieg die notwendigen Schweinereien durchzuziehen. Versteht sich, dass derlei Verhalten zu massiver Parteien-, wenn nicht gar zur Demokratieverdrossenheit bei den Wählern geführt hat. Mit ihrer Mehrwertsteuernummer war die CDU insofern im besten Sinne des Wortes staatstragend.
Es wäre also grundverkehrt, wenn sich die Christdemokraten von ihrer Leipziger Linie lösen wollen. Und vielleicht sollten sie einmal ein paar Jahre in ihrer Parteigeschichte zurückschauen. 1999 versprach der christdemokratische Oppositionsführer Peter Müller mitten im Wahlkampf, im Falle seines Sieges werde er in der Bergbauregion Saarland die Kohlesubventionen streichen. Müllers Saar-CDU setzte sich trotz dieser vermeintlichen Zumutung mit absoluter Mehrheit gegen die seit 14 Jahren regierenden Sozialdemokraten durch.
Mitunter zahlt sich Ehrlichkeit eben doch aus. Sogar in der Politik. Und sogar für die CDU.
Kontakt: Kommentar@ftd.de
Ines Zöttl - 030/22074169
Horst von Buttlar - 040/31990236
Leo Klimm - 040/31990311
Dies ist eine Pressestimme der Financial Times Deutschland. Für Text und Inhalt ist ausschließlich die Financial Times Deutschland verantwortlich. Die geäußerten Ansichten reflektieren auch nicht die Ansichten von Dow Jones Newswires oder der Dow Jones and Company Inc.
Die CDU darf sich mit ihrem neuen Grundsatzprogramm nicht von Reformen und der Realität verabschieden/ von Andreas Theyssen
Die CDU gibt sich ein neues Grundsatzprogramm. Das ist auch gut so. Die Zeiten sind schnelllebig, die Globalisierung ist gnadenlos, und das alte Programm der Christdemokraten stammt von 1994. Da hatten sie beispielsweise übersehen, dass Deutschland ein demografisches Problem bekommt und das Land ein paar Antworten braucht. Ergo besteht in der Tat akuter Renovierungsbedarf.
Schon vor der ersten Sitzung der Grundsatzprogrammkommission an diesem Montag hat die interne Debatte der Christdemokraten allerdings einen unerquicklichen Spin bekommen. Denn sie wird nicht unter programmatischen, sondern unter wahlkampfstrategischen Vorzeichen geführt. Man will in der Kommission den Bundestagswahlkampf 2005 aufarbeiten, der mit einem miserablen Stimmenergebnis endete. Die Diskussion darüber hatte Parteichefin Angela Merkel - aus sehr nachvollziehbaren Gründen - bislang abgewürgt.
Die Wahl ging reichlich in die Hose, so die Analyse der Adenauer-Haus-Spitze, weil Reformen wie Mehrwertsteuererhöhung oder Kopfpauschale beim Wähler nicht ankamen. Die Konsequenz der CDU-Spitzenanalysten: Mit einem marktwirtschaftlichen Programm könne man keine Mehrheiten holen, die Partei müsse sich sozialer gerieren. Übersetzung aus dem Christdemokratischen: Wir erzählen den Wählern nicht mehr ehrlich, was getan werden muss, sondern was sie hören wollen.
Es ist reichlich seltsam, was die Regierungspartei gerade veranstaltet. Zum einen gehört die laufende Debatte nicht in eine Grundsatzprogrammkommission. Denn dort muss etwa geklärt werden, wie die CDU mit der Überalterung Deutschlands umzugehen gedenkt, an welchem Familienbild sie ihre Politik ausrichtet, wie das Handling einer von Zuwanderung geprägten Bevölkerung aussehen könnte.
Zum anderen sind langfristig angelegte Wahlkampfstrategien mittlerweile ein aufwändiger Beitrag zur Bestückung von Papierkörben. Die Entscheidungen der Wähler fallen immer kurzfristiger, wie das Debakel der Demoskopen bei der letzten Bundestagswahl belegt. Auch 2002 ist ein gutes Beispiel: Ein bisschen Flut im ganz nahen Osten, ein dräuender Krieg im Mittleren Osten - beides keine planbaren Wahlkampfevents - reichten dem angeschlagenen Gerhard Schröder, um den Favoriten Edmund Stoiber zu schlagen.
Vor allem übersehen die Christdemokraten, dass das Ergebnis ihrer Wahlkampfanalyse falsch ist. Denn Hauptursache ihrer Schlappe waren weder zu viel Reformeifer noch zu viel Ehrlichkeit - die Ursache war Angela Merkel.
Nur im Biotop der Berliner Parteizentralen kann man auf die Idee verfallen, der Wähler orientiere sich bei der Stimmabgabe an Parteiprogrammen. Das Gros entscheidet nach Eindrücken, die sich am einfachsten anhand der Spitzenkandidaten festmachen lassen. So wurde Schröder 1998 Kanzler, weil er frischer, lockerer wirkte als der verbrauchte Patriarch Helmut Kohl. 2002 blieb er Kanzler, weil er den Deutschen letztendlich sympathischer erschien als der bayerische Aktenvertilger Edmund Stoiber. 2005 wäre er um ein Haar Kanzler geblieben, weil der nach außen joviale Schulterklopfer den Wählern vertrauter erschien als die verschlossene Ostdeutsche Angela Merkel, deren jahrelang herabhängende Mundwinkel sich ins kollektive Gedächtnis eingegraben hatten.
Den Merkel-Malus braucht die CDU indes nicht mehr zu fürchten. 2009 wird die Spitzenkandidatin den Deutschen vertrauter sein als jeder derzeit denkbare SPD-Herausforderer. Seit sie Kanzlerin ist, wirkt sie zudem gelöster und souveräner. Und sie wird noch geraume Zeit von der im Moment vorherrschenden Meinung profitieren, dass sie ihren Job - vor allem dank internationaler Auftritte - sehr ordentlich macht. Kurzum: Merkel war ein Problem für die CDU, wird künftig aber keines mehr sein.
Die Christdemokraten sollten daher auf den Weg zurückkehren, den sie auf ihrem Leipziger Parteitag Ende 2003 eingeschlagen - und nach der letzten Bundestagswahl verlassen - haben. Sehr rational hatten sie die deutsche Malaise analysiert, Rezepte für Gegenmaßnahmen erarbeitet und ihre bittere Arznei im Wahlkampf offensiv und ehrlich publik gemacht.
Warum sollte die CDU hinter diese Linie zurückfallen? Ein bisschen Riester-Rente und vielleicht demnächst ein Quäntchen Kopfpauschale ändern nichts an dem Umstand, dass in Deutschland Renten-, Gesundheits-, Pflegeversicherung und das Steuersystem radikal umgebaut werden müssen. Denn eine durch Überalterung der Gesellschaft schrumpfende Arbeitsbevölkerung wird von den Lasten, die ihnen das gegenwärtige Sozialversicherungssystem aufbürden wird, erdrückt werden. An diesem Umstand hat sich in den letzten zwei Jahren nichts geändert, und in diesem Punkt braucht auch die CDU keine Veränderung.
Ausgerechnet die konservative CDU war im letzten Herbst Avantgarde. Mit ihrer Ankündigung, im Falle eines Wahlsieges die Mehrwertsteuer deutlich erhöhen zu wollen, löste sie sich von einem bis dato ehernen Kampagnenprinzip: vor der Wahl ausschließlich Wohltaten zu verheißen, um nach dem Sieg die notwendigen Schweinereien durchzuziehen. Versteht sich, dass derlei Verhalten zu massiver Parteien-, wenn nicht gar zur Demokratieverdrossenheit bei den Wählern geführt hat. Mit ihrer Mehrwertsteuernummer war die CDU insofern im besten Sinne des Wortes staatstragend.
Es wäre also grundverkehrt, wenn sich die Christdemokraten von ihrer Leipziger Linie lösen wollen. Und vielleicht sollten sie einmal ein paar Jahre in ihrer Parteigeschichte zurückschauen. 1999 versprach der christdemokratische Oppositionsführer Peter Müller mitten im Wahlkampf, im Falle seines Sieges werde er in der Bergbauregion Saarland die Kohlesubventionen streichen. Müllers Saar-CDU setzte sich trotz dieser vermeintlichen Zumutung mit absoluter Mehrheit gegen die seit 14 Jahren regierenden Sozialdemokraten durch.
Mitunter zahlt sich Ehrlichkeit eben doch aus. Sogar in der Politik. Und sogar für die CDU.
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Ines Zöttl - 030/22074169
Horst von Buttlar - 040/31990236
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