Ein historischer Tarifabschluss von Matthias Loke Billiger hätten die Arbeitgeber diesen Tarifvertrag kaum bekommen können. Die IG Metall hatte von vornherein keinen Zweifel daran gelassen, dass für sie nur eine Drei vor dem Komma der Einkommenssteigerung für die 3,4 Millionen Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie akzeptabel war. Alles andere wäre für die Gewerkschaft ein Billig-Abschluss gewesen, der mit der Gewinnsituation und der Auftragslage in der Branche nicht zu vereinbaren gewesen wäre. Anders als bei der Schwestergewerkschaft Verdi, die sich seit Wochen im Öffentlichen Dienst um einen Tarifabschluss über die Arbeitszeit der Beschäftigten der Länder bemüht, war bei der IG Metall klar, dass sie den nötigen Druck entwickeln kann. Ein Arbeitskampf hätte innerhalb kürzester Zeit zu erheblichen Produktionsstörungen in wichtigen Unternehmen geführt. Das war den Arbeitgebern klar. Sie wissen auch nur zu gut, dass ein einmal begonnener Streik schnell eskalieren kann und die Erwartungen über den Lohnabschluss erst recht in die Höhe treibt. Der Tarifabschluss liegt für die Arbeitgeber sicherlich am oberen Rand des Möglichen. Doch sie haben etwas geschafft, was mit Sicherheit das herausragendste Ergebnis dieser lange hart umstrittenen Tarifrunde ist. Erstmals werden Einkommensbestandteile nicht mehr von den Tarifparteien verhandelt, sondern können vor Ort in den Betrieben entschieden werden. Neben einer Lohnerhöhung von drei Prozent haben beide Seiten für drei Monate eine so genannte Einmalzahlung vereinbart. Diese kann ganz und gar gestrichen werden, wenn es dem Unternehmen nicht sonderlich gut geht. Sie kann aber auch verdoppelt werden, wenn die Ertragssituation überdurchschnittlich gut ist. In den Unternehmen selbst gibt es damit nun die vertraglich fixierte Möglichkeit, jeweils nach der eigenen Ertragssituation flexibel über einen Teil des Einkommens entscheiden zu können. Dazu bedarf es der Verhandlung mit dem Betriebsrat. Jetzt können also sowohl die Arbeitnehmervertreter auf Erhöhung der Bezüge pochen wie die Unternehmensleitung auf eine gewünschte Absenkung. Bisher war eine solche Flexibilität nur bei der Arbeitszeit möglich. Jetzt ist sie in der zentralen Frage jeder Tarifrunde, der Lohnfindung, hinzugekommen. Das ist eine fast revolutionär zu nennende Tarifinnovation, die keiner Seite schaden muss, aber beiden nutzen kann. Dabei ist der Gedanke einer Lohndifferenzierung nach Ertragslage der Unternehmen in der IG Metall keineswegs ein neues Thema. Schon vor nunmehr fünf Jahren hatte der heutige IG-Metall-Vize Berthold Huber, der aller Voraussicht nach im kommenden Jahr an die Spitze der größten Industriegewerkschaft der Welt wechseln wird, mit dem Vorschlag eines zweistufigen Tarifsystems für heiße Debatten in der Organisation gesorgt. Der damalige Vorschlag lief darauf hinaus, dass es für alle Beschäftigten höhere Grundentgelte geben soll, aber die Betriebe, denen es besonders gut geht, sollten oben draufpacken. Huber hatte damals völlig zu Recht darauf verwiesen, dass das deutsche System des Flächentarifvertrags in Europa ein Unikat ist. Für Huber war klar, dass man im Sinne der Arbeitnehmer eine positive Antwort auf die zunehmende Differenzierung in der Wirtschaft finden müsse. Einen Schritt in diese Richtung hat die IG Metall mit ihrer jüngsten Tarifeinigung vollzogen. In der Metall- und Elektroindustrie, einer der wenigen Stützen der Konjunktur in Deutschland, vollzieht sich damit ein langsamer, aber bemerkenswerter Wandel in der Tarifpolitik. Bereits vor zwei Jahren hatten sich die Tarifparteien auf größere Gestaltungsspielräume für die Unternehmen geeinigt. Mit dem so genannten Pforzheimer Abschluss erhielten in Bedrängnis geratene Unternehmen die Chance, unter anderem mit längeren Arbeitszeiten ihre Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft zu stärken. Diese Möglichkeit haben inzwischen einige hundert Firmen genutzt. Gewerkschaft und Arbeitgeber sind bislang mit dieser Flexibilisierungsmaßnahme – die zwar Einschnitte für die Arbeitnehmer bringt, aber längerfristig auch die Arbeitsplätze sicherer macht – verantwortungsvoll umgegangen. Es gibt keinen Anlass zu der Befürchtung, dass dies bei der neuen Lohnregel anders sein wird. Der Lohnabschluss insgesamt ist für einen Teil der kleineren und mittleren Firmen sicherlich hart. Das war den Arbeitgebern der Einstieg in eine näher an den betrieblichen Gegebenheiten orientierte Bezahlung allemal wert.
Kompromisse bei Volkswagen von Thomas H. Wendel Es ist nicht viel nach draußen gedrungen über das, was die Volkswagen-Spitze mit ihrem kränkelnden Kern VW vor hat. Was jedoch nun durchsickert, lässt zumindest erahnen, wie die Sanierung des Konzerns voran getrieben werden soll – nämlich mit Hilfe vieler Kompromisse. Ob die als faul bezeichnet werden müssen, hängt ganz vom Standpunkt des Betrachters ab. Zumindest die Arbeitnehmer im Stammwerk Wolfsburg dürfen hoffen: Die Blockadehaltung von VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh zahlt sich aus. Schließlich konnten die Belegschaftsvertreter dafür sorgen, dass der Vertrag von Konzernchef Bernd Pischetsrieder vorerst nicht verlängert wurde. Man wolle erst über die Strategie Pischetsrieders Klarheit erhalten, bevor man ihn mit einer Vertragsverlängerung beglücke, lautet Osterlohs Devise. Das scheint zu wirken: Plötzlich ist mehr über Sparmaßnahmen an der Peripherie des Konzerns zu hören als über solche in Wolfsburg. Da stehen nun angeblich VW-Werke in Brasilien und Belgien zur Disposition. Auch über die Rolle der Tochter Audi wird spekuliert: Es werde überlegt, die Produktion des Audi A3 von Ingolstadt nach Wolfsburg zu verlagern. So ließe sich das Stammwerk besser auslasten, heißt es. Dass Audi-Chef Martin Winterkorn das kaum goutieren kann, ist verständlich: Schließlich soll die A3-Produktion in Wolfsburg 20 Prozent teurer sein als jene in Bayern. Solche Einwände dürften aber letzten Endes wenig zählen. Schließlich ist nicht nur der VW-Betriebsrat an vielen Jobs in Wolfsburg interessiert sondern auch Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU), dessen Land rund 20 Prozent der VW-Aktien hält. Und auch die Mitarbeiter des größten VW-Aktionärs Porsche werden sich wohl daran gewöhnen müssen, nicht mehr allein im Mittelpunkt ihrer Führungsetage zu stehen: Leute von VW werden womöglich in die Produktion des künftigen Porsche-Coupés Panamera wechseln. All das klingt beruhigend für die VW-Arbeitnehmer in Wolfsburg. Ob es die ökonomisch sinnvollste Lösung für den Konzern darstellt, darf jedoch bezweifelt werden. Seite 10
Dies ist eine Meldung der Berliner Zeitung. Für den Inhalt ist ausschließlich die Berliner Zeitung verantwortlich.
Kompromisse bei Volkswagen von Thomas H. Wendel Es ist nicht viel nach draußen gedrungen über das, was die Volkswagen-Spitze mit ihrem kränkelnden Kern VW vor hat. Was jedoch nun durchsickert, lässt zumindest erahnen, wie die Sanierung des Konzerns voran getrieben werden soll – nämlich mit Hilfe vieler Kompromisse. Ob die als faul bezeichnet werden müssen, hängt ganz vom Standpunkt des Betrachters ab. Zumindest die Arbeitnehmer im Stammwerk Wolfsburg dürfen hoffen: Die Blockadehaltung von VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh zahlt sich aus. Schließlich konnten die Belegschaftsvertreter dafür sorgen, dass der Vertrag von Konzernchef Bernd Pischetsrieder vorerst nicht verlängert wurde. Man wolle erst über die Strategie Pischetsrieders Klarheit erhalten, bevor man ihn mit einer Vertragsverlängerung beglücke, lautet Osterlohs Devise. Das scheint zu wirken: Plötzlich ist mehr über Sparmaßnahmen an der Peripherie des Konzerns zu hören als über solche in Wolfsburg. Da stehen nun angeblich VW-Werke in Brasilien und Belgien zur Disposition. Auch über die Rolle der Tochter Audi wird spekuliert: Es werde überlegt, die Produktion des Audi A3 von Ingolstadt nach Wolfsburg zu verlagern. So ließe sich das Stammwerk besser auslasten, heißt es. Dass Audi-Chef Martin Winterkorn das kaum goutieren kann, ist verständlich: Schließlich soll die A3-Produktion in Wolfsburg 20 Prozent teurer sein als jene in Bayern. Solche Einwände dürften aber letzten Endes wenig zählen. Schließlich ist nicht nur der VW-Betriebsrat an vielen Jobs in Wolfsburg interessiert sondern auch Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU), dessen Land rund 20 Prozent der VW-Aktien hält. Und auch die Mitarbeiter des größten VW-Aktionärs Porsche werden sich wohl daran gewöhnen müssen, nicht mehr allein im Mittelpunkt ihrer Führungsetage zu stehen: Leute von VW werden womöglich in die Produktion des künftigen Porsche-Coupés Panamera wechseln. All das klingt beruhigend für die VW-Arbeitnehmer in Wolfsburg. Ob es die ökonomisch sinnvollste Lösung für den Konzern darstellt, darf jedoch bezweifelt werden. Seite 10
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